Falscher Alarm des Immunsystems bei Muskelkrankheit

Gemeinsam gehen Prof. Claudia Günther (li) aus Dresden und Prof. Eva Bartok (re) aus Bonn dem Zusammenhang zwischen Myotoner Dystrophie und Autoimmunerkrankungen auf den Grund.
Fotos: Universitätsklinikum Dresden & Universitätsklinikum Bonn

Neue Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Myotoner Dystrophie und Autoimmunkrankheiten.

(Bonn / Dresden) Forschende an den Universitätskliniken Dresden und Bonn aus dem DFG Transregio 237 sowie vom Exzellenzcluster ImmunoSensation2 der Universität Bonn klä-ren, warum Personen mit myotoner Dystrophie 2 eine höhere Neigung zur Entwicklung von Autoimmunerkrankungen haben. Ihr Ziel ist es, die Entstehung der Krankheit zu verste-hen. Die Ergebnisse der Studie eröffnen neue, potenzielle therapeutische Ziele, und sind jetzt im renommierten Fachjournal „Nature Communications“ veröffentlicht.

Mikroskopische Gegenüberstellung von Zellen: rechts grün gefärbt, links grün mit rotem Rand © Universitätsklinikum Dresden / Sarah Rösing

In das Zytoplasma ausgetretene DNA (grün) kolokalisiert mit dem DNA-Sensor cGAS (rot) in der Haut von Patienten mit myotoner Dystrophie Typ 2

Myotone Dystrophie 2 (DM2) ist eine Form der Muskeldystrophie, eine Krankheit, die zu fort-schreitender Muskeldegeneration führt. Sie wird durch die Ausdehnung einer sich wiederholen-den DNA-Sequenz – hier die Abfolge der Nukleobasen CCTG – in einer Erbanlage, dem CNBP-Gen, verursacht. Generell trägt die Reihenfolge der Nukleobasen in der DNA die genetischen Informationen. Die Betroffenen leiden unter Muskelschwäche, die mehr im Bereich der rumpf-nahen Muskulatur ausgeprägt ist, sowie anhaltender Muskelsteifigkeit und Schmerzen. Obwohl DM2 bei etwa einem von 10.000 Menschen in Deutschland auftritt, gibt es keine gezielten The-rapien. In ersten Studien beobachteten Prof. Claudia Günther und ihr Team des Universitätsklini-kums Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden auch, dass Personen mit DM2 mehr unter Autoimmunerkrankungen, die mit einer erhöhten Produktion von Antikörpern im Blut einhergehen, leiden als die Allgemeinbevölkerung. Der zugrundeliegende Mechanismus für diese Symptome war bisher jedoch unbekannt.

Antivirale Reaktion ohne Virus

Zusätzlich zu den höheren Raten von Autoimmunität, also einer gestörten Tolleranz gegenüber bestimmten körpereigenen Stoffen, beobachtete Günthers Team eine ungewöhnliche Gensignatur in Zellen, die von DM2-Patienten stammen. „In den Patientenzellen waren Gene hochreguliert, die normalerweise für die Bekämpfung von Viren zuständig sind“, so Erstautorin Sarah Rösing, Doktorandin in der Dresdner Arbeitsgruppe von Prof. Günther. „Wir haben schnell erkannt, dass dies eine wichtige Entdeckung ist. Diese Art der Immunantwort ist zwar gut, um Virusinfektio-nen zu bekämpfen, aber eine chronische Aktivierung ist oft mit Autoimmunität verbunden, so-dass wir unbedingt verstehen mussten, woher sie kommt.” Um den Zusammenhang zwischen den erweiterten DNA-Wiederholungen (CCTG)n bei DM2-Patienten, der antiviralen Antwort und Autoimmunerkrankungen aufzuklären, untersuchten Forschende des DFG-geförderten Transregio 237 „Nukleinsäure-Immunität“ an den Universitätskliniken Dresden und Bonn und des Exzel-lenzclusters ImmunoSensation2 der Universität Bonn gemeinsam die molekulare Signatur in Zellen von DM2-Patienten.

DM2-Zellen stehen unter chronischem Stress durch Junk-Proteine

In enger Zusammenarbeit zeigten die Forschenden in Dresden und Bonn, dass in den Zellen von DM2-Patienten die DNA-Wiederholungen (CCTG)n in toxische Nonsense-Proteine übersetzt werden. Deren Bildung führt zu einer chronischen Form von Stress des endoplasmatischen Reti-kulums (ER), einem verzweigten Gangsystem als Erweiterung der Kernmembran, und damit zu einer chronischen Schädigung der Mitochondrien, dem Energiekraftwerk der Zellen. „Mito-chondrienschäden und ER-Stress in unseren Zellen sind klare Signale, dass etwas nicht stimmt“, kommentiert Prof. Eva Bartok, Leiterin des Teams der Forschenden aus Bonn und eine der bei-den Hauptautorinnen der Publikation, „diese Art von Stress kann durchaus wie eine Virusinfekti-on aussehen und eine antivirale Reaktion auslösen“.

Zellulärer Stress löst die Immunreaktion aus

Diese „gestressten Mitochondrien“ setzen kleine Mengen an DNA in der Zelle frei, die dann vom angeborenen Immunsystem als Gefahrensignal erkannt werden. Denn die cGAMP-Synthase (cGAS), ein wichtiger DNA-Rezeptor des angeborenen Immunsystems, erkennt diese mito-chondriale DNA und löst so einen Alarmzustand aus, der durch die Freisetzung von dem wich-tigsten antiviralen Mediator, Interferon vom Typ I, vermittelt wird. „Das war unser Aha-Erlebnis“, sagt Prof. Günther, korrespondierende Autorin der Publikation. „Wir haben einen Me-chanismus und einen Weg erkannt, die uns jetzt neue Möglichkeiten für gezielte Therapien der Krankheit erschließen.“

Bestätigung durch Untersuchungen und Ausblick

Diese wichtigen Erkenntnisse bieten neue Möglichkeiten, mit gezielten Therapien die Entstehung der Autoimmunerkrankung bei den Betroffenen zu unterdrücken. „Unsere Daten liefern eine wichtige Grundlage für die Hemmung von cGAS und des Typ-I-Interferon-Signalwegs bei My-otoner Dystrophie 2″, kommentiert Prof. Bartok. „Es ist sehr spannend zu sehen, wie die Ergeb-nisse unserer Grundlagenforschung die Versorgung dieser Betroffenen potenziell verbessern könnten“, schließt Prof. Günther.

Über die TU Dresden:
Die Technische Universität Dresden (TUD) zählt als Exzellenzuniversität zu den leistungsstärksten Forschungseinrichtungen Deutschlands. Sie ist mit rund 8.300 Mitarbeitenden sowie rund 29.000 Studierenden in 17 Fakultäten eine der größten technisch ausgerichteten Universitäten. Im Jahr 1828 gegründet, ist sie heute eine global bezogene, regional verankerte Spitzenuniversität, die innovative Beiträge zur Lösung weltweiter Herausforderungen leisten will. In Forschung und Lehre vereint sie Ingenieur- und Naturwissenschaften mit den Geistes- und Sozialwissenschaften und der Medizin. Diese bundesweit herausragende Vielfalt an Fächern ermöglicht der Universität, die Interdisziplinarität zu fördern und Wissenschaft in die Gesellschaft zu tragen.

Über die Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden:
Die Dresdner Universitätsmedizin, bestehend aus der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus und dem gleichnamigen Universitätsklinikum, hat sich auf die Forschung in den Bereichen Onkologie, Metabolismus sowie neurologische und psychiatrische Erkrankungen spezialisiert. Innerhalb dieser Schwerpunkte sind die Themen Degeneration und Regeneration, Bildgebung und Technologieentwicklung, Immunologie und Entzündungen sowie Prävention und Versorgungsforschung von besonderem Interesse. Internationalität ist eine Voraussetzung für Spitzenforschung – das Universitätsklinikum Dresden lebt dieses Konzept mit Mitarbeitern aus 82 Nationen und zahlreichen Kooperationen mit Forschern und Teams aus aller Welt.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Claudia Günther
Klinik und Poliklinik für Dermatologie
E-Mail: Claudia.Guenther@ukdd.de
Universitätsklinikum Dresden

Prof. Dr. Eva Bartok
Institut für Experimentelle Hämatologie und Transfusionsmedizin
Universitätsklinikum Bonn
Exzellenzcluster ImmunoSensation2, Universität Bonn
Telefon: +49-228-287-16730
E-Mail: ebartok@uni-bonn.de

Originalpublikation:

Publikation: Sarah Rösing, Fabian Ullrich, Susann Meisterfeld, Franziska Schmidt, Laura Mlitzko, Marijana Croon, Ryan Nattrass, Nadia Eberl, Julia Mahlberg, Martin Schlee, Anja Wie-land, Philipp Simon, Daniel Hilbig, Ulrike Reuner, Alexander Rapp, Julia Bremser, Peter Mirt-schink, Stephan Drukewitz, Thomas Zillinger, Stefan Beissert, Katrin Paeschke, Gunther Hart-mann, Aleksandra Trifunovic, Eva Bartok and Claudia Günther; Chronic endoplasmic reti-culum stress in myotonic dystrophy type 2 promotes autoimmunity via mito-chondrial DNA release; Nature Communications; DOI: 10.1038/s41467-024-45535-1

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