Informationsfluss im Gehirn ist keine Einbahnstraße
Eine alte Frage der Gehirnforschung lautet, wie Informationen im Gehirn verarbeitet werden. Einen Beitrag zur Antwort liefern jetzt Neurowissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin, des Exzellenzclusters NeuroCure und der Universität Newcastle.
In einer aktuellen Studie konnten sie zeigen, dass Signale nicht nur im Nervenzellkörper entstehen, sondern auch in deren Leitbahnen, den Axonen. Eine besondere Filterzelle reguliert dabei die Signalweiterleitung. Die Ergebnisse wurden jetzt im Fachjournal Science* veröffentlicht.
Bisher nahm man an, dass der Informationsfluss in Nervenzellen nach dem Einbahnstraßen-Prinzip erfolgt. Vom Zellkörper ausgehend wird eine Vielzahl an Signalen über die Axon-Leitbahn zur nächsten Nervenzelle gesendet, wo sie von Zellfortsätzen, den Dendriten, wie von Antennen empfangen werden. Dass dieses Prinzip jedoch ergänzt werden muss, zeigt nun das Team um die Charité-Wissenschaftler Tengis Gloveli und Tamar Dugladze. Sie entdeckten, dass Signale auch im Axon, also außerhalb des Zellkörpers, entstehen können. Das geschieht, wenn Aktivitäten in den Nervenzellen zeitlich hoch synchron ablaufen, wie es zum Beispiel im Zustand erhöhter Aufmerksamkeit der Fall ist. Diese axonal erzeugten Signale laufen jedoch in zwei Richtungen und stellen ein neues Prinzip der Informationsverarbeitung dar: Zum einen werden sie vom Ort ihrer Entstehung zu anderen Nervenzellen geleitet. Zum anderen werden die Signale auch in Richtung Zellkörper gelenkt, also entgegen der Einbahnstraße. Durch diese rückläufigen Signale besteht jedoch die Gefahr einer übermäßigen Erregung der Zelle.
Allerdings stellten die Forscher fest, dass das rückläufige Signal den Zellkörper im Normalzustand nicht erreicht. Grund dafür ist ein natürlicher Filter, der die Signale nicht durchlässt. „Die axon-axonischen Zellen, ein hemmender Zelltyp, reguliert die Signalleitung und nimmt dadurch eine herausragende strategische Position ein“, erklärt Tamar Dugladze. Durch die Filterfunktion lassen diese Zellen die aus dem Zellkörper generierten Signale passieren, unterdrücken aber zugleich die zusätzlich im Axon entstandenen rückläufigen Signale. Dadurch wird eine übermäßige Aktivierung des Zellkörpers unterbunden. Im Versuch konnten die Wissenschaftler zeigen, dass bei einer Deaktivierung der Filterzelle, die Signale durchgelassen werden und die Zelle zusätzlich erregen.
Durch verschiedene, neurologische Krankheiten können diese Filterzellen geschädigt werden. Die damit verbundene Fehlregulation hat dann fatale Auswirkungen auf die Informationsverarbeitung im Gehirn. „Die Ergebnisse der Studie werfen einerseits ein neues Licht auf die alte Frage, wie Signale im Gehirn verarbeitet werden. Andererseits besteht aber auch die Hoffnung, die Entstehung und den Verlauf neuronaler Erkrankungen wie zum Beispiel Epilepsie, die auf einer übermäßigen synchronen Aktivität vieler Nervenzellen beruht, besser zu verstehen. Dieses Wissen könnte dann neue Therapiewege eröffnen“, erläutert Tengis Gloveli. Daher werden sich die Neurowissenschaftler in ihrer weiteren Forschung sowohl auf das grundlegende Verständnis der Mechanismen des Signalflusses in den Nervenbahnen konzentrieren, als auch auf deren Bedeutung in der Entstehung von Epilepsie.
* T. Dugladze, D. Schmitz, M.A. Whittington, I. Vida, T. Gloveli: Segregation of axonal and somatic activity during fast network oscillations. Science 336, 6087 (2012).
Kontakt:
Prof. Tengis Gloveli
Institut für Neurophysiologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin
t: +49 30 450 528 214
tengis.gloveli[at]charite.de
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