Injektionsnadeln mit Neutronen durchleuchtet
Vorgefüllte Fertigspritzen sind eine gängige Möglichkeit, mit der Patienten sich selbst zu Hause medizinisch behandeln können. Diese Spritzen sind bereits mit dem flüssigen Wirkstoff gefüllt und müssen meist kühl gelagert werden. In Abhängigkeit verschiedener Faktoren (Wasserdampfdurchlässigkeit der Nadelschutzkappe, Temperaturverlauf und Langzeitlagerung) ist es möglich, dass eine Injektionsnadel verstopft.
Um dieses Phänomen besser zu verstehen und langfristig zu minimieren, haben Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI, der Universität Basel und des Unternehmens F. Hoffmann-La Roche sich gemeinsam der Frage angenommen, unter welchen Bedingungen der flüssige Wirkstoff unbeabsichtigt ins Innere der Injektionsnadel gelangt. Ihre Forschungsergebnisse zeigen, dass die Lagerbedingungen der vorgefüllten Fertigspritzen in der Tat entscheidend sind.
Neutronen erlauben den Blick ins Innere der Metallnadeln
Die Forschenden nutzten für ihre Untersuchungen die Bildgebung mittels Neutronen, die ausser am PSI weltweit nur an wenigen weiteren Forschungsinstituten verfügbar ist. „Neutronen eignen sich für diese Fragestellung bestens“, erklärt PSI-Forscher Christian Grünzweig, „denn sie durchdringen die Metallnadel fast ungehindert, werden aber an Wasserstoffatomen, wie sie beispielsweise in Wasser vorkommen, von ihrer geraden Bahn abgelenkt.
Der im medizinischen Wirkstoff enthaltene Wasserstoff dient somit als Kontrast im Neutronenbild. Gelangt also etwas von der medizinischen Flüssigkeit in die metallene Injektionsnadel, so können wir das mit den Neutronen sichtbar machen.“
Die Messung für jede Neutronen-Bildgebung dauerte nur etwas mehr als eine Minute. „Wir konnten daher eine repräsentative Anzahl Spritzen – insgesamt 60 Stück – durchtesten“, sagt Grünzweig.
Zusätzlich fertigten die Forschenden von einer verstopften Spritze auch eine Tomografie an, also ein dreidimensionales Bild. Dabei wurden etliche Neutronenbilder derselben Spritze aus verschiedenen Winkeln aufgenommen und hinterher am Computer digital zusammengesetzt. Die Aufnahme der Tomografie-Daten dauerte 20 Stunden. Das resultierende Bild zeigt deutlich, dass sich schräg verlaufende Risse durch das Material im Inneren der Nadel ziehen. „Dass diese Risse schräg und gezackt verlaufen, kann nur bedeuten, dass der Pfropf in der Nadel fest ist; dass also in diesem Fall tatsächlich der flüssige Anteil verdunstet und der Wirkstoff fest geworden ist“, folgert David Mannes, der gemeinsam mit Grünzweig Wissenschaftler am PSI ist.
Lagerbedingungen der Fertigspritzen sind entscheidend
Die Ergebnisse der Forschenden zeigen deutlich, dass eine kühle Lagerung entscheidend ist, um zu verhindern, dass Flüssigkeit unbeabsichtigt in die Injektionsnadel eindringt. Von insgesamt 60 vorgefüllten Fertigspritzen hatten die Forschenden die Hälfte 10 Tage lang sachgemäss bei fünf Grad Celsius gelagert; die andere Hälfte war dagegen für 72 Stunden bei 40 Grad Celsius gelagert worden.
In keiner der 30 kühl gelagerten Spritzen zeigten die Neutronenbilder medizinische Substanz im Inneren der Nadel. Dagegen machten die Neutronen sichtbar, dass in 28 der 30 warm gelagerten Spritzen die medizinische Flüssigkeit ganz oder teilweise in die Nadel eingedrungen war.
Der Verstopfungsprozess der Nadeln beinhaltet, dass bei ungeeigneten Lagerbedingungen ein geringer Teil des flüssigen Wirkstoffs in die ursprünglich nur mit Luft gefüllte Kanüle gelangt, die einen Innendurchmesser von nur 0,2 Millimeter hat. „Der flüssige Anteil der Wirkstofflösung kann dann langsam durch die Schutzkappe der Nadel verdunsten, wenn deren Material eine entsprechend hohe Wasserdampfdurchlässigkeit hat. Die ursprünglich in der medizinischen Flüssigkeit gelösten Stoffe bleiben dann als fester Pfropfen zurück“, erklärt Thomas Jung, der Wissenschaftler sowohl am PSI als auch an der Universität Basel ist.
Diese Studie hat einmal mehr gezeigt, dass die Bildgebung mit Neutronen ein leistungsfähiges Verfahren ist. Die Technik hat in diesem Fall zu einem besseren Verständnis geführt, wie es dazu kommen kann, dass Injektionsnadeln verstopfen. Sie trägt damit zur zukünftigen Entwicklung und dem zuverlässigen Einsatz von vorgefüllten Fertigspritzen als Mittel zur Verabreichung von Arzneimitteln bei.
Text: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2100 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 390 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.
Kontakt/Ansprechpartner
Dr. Christian Grünzweig
Labor für Neutronenstreuung und Imaging
Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 46 62
E-Mail: christian.gruenzweig@psi.ch [Deutsch, Englisch]
Prof. Dr. Thomas Jung
Leiter Gruppe Molekulare Nanowissenschaft, Labor für Mikro- und Nanotechnologie
Paul Scherrer Institut, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 45 18
E-Mail: thomas.jung@psi.ch [Deutsch, Englisch]
Originalveröffentlichung
Clogging in staked-in needle pre-filled syringes (SIN-PFS): Influence of water vapor transmission through the needle shield
M. De Bardi, R. Müller, C. Grünzweig, D. Mannes, M. Rigollet, F. Bamberg, T.A. Jung, K. Yang,
European Journal of Pharmaceutics and Biopharmaceutics, Ausgabe 127, Juni 2018, Seiten 104-111
DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.ejpb.2018.02.016
On the needle clogging of staked-in-needle pre-filled syringes: Mechanism of liquid entering the needle and solidification process
M. De Bardi, R. Müller, C. Grünzweig, D. Mannes, P. Boillat, M. Rigollet, F. Bamberg, T.A. Jung, K. Yanga,
European Journal of Pharmaceutics and Biopharmaceutics, Ausgabe 128, Juli 2018, Seiten 272-281
DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.ejpb.2018.05.006
http://psi.ch/FymC – Darstellung der Mitteilung auf der Webseite des PSI
http://psi.ch/ocUe – Forschung mit Neutronen am PSI
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