Kokosöl verlängert Leben bei peroxisomalen Störungen

In Kontrollen (oben rechts und links) sind wenig abgestorbene Gehirnzellen (magenta). Fliegen ohne Peroxisomen haben dagegen viele (unten links), was sich durch Kokosöldiät verbessert (unten rechts). © Margret Bülow/Julia Sellin

In dem Filmdrama aus dem Jahr 1992 wird die wahre Geschichte von Lorenzo Odone erzählt, der an der seltenen Erkrankung Adrenoleukodystrophie (ALD) litt, die unter anderem zu einer Schädigung des Nervensystems führt. Die Eltern suchen verzweifelt nach einer Therapiemöglichkeit, die schließlich in „Lorenzos Öl“ mündet.

Die seltene Erbkrankheit beruht auf der Fehlfunktion so genannter „Peroxisomen“. Es handelt sich dabei um winzige, von einer Membran umhüllte Bläschen, die vor allem für die Entgiftung der Zellen zuständig sind. Neben schädlichem Wasserstoffperoxid werden dort auch besonders langkettige Fettsäuren verstoffwechselt.

Sind die Peroxisomen geschädigt oder nicht vorhanden, kommt es zu einer toxischen Ansammlung langkettiger Fettsäuren. Während die Wissenschaft bislang vor allem diese langkettigen Fettsäuren als Ursache der Erkrankung im Blick hatte, untersuchte das Forscherteam um Dr. Margret Bülow vom LIMES-Institut der Universität Bonn die Bedeutung der Fettsäuren mit mittleren Kettenlänge. „Diese Fettsäuren sind viel häufiger als die sehr langkettigen“, sagt Bülow. „Ihre Bedeutung wurde bislang unterschätzt.“

Für ihre Untersuchungen nutzte das Forscherteam Taufliegen als klassischen Modellorganismus. Den Fliegen fehlte ein Gen, das einen wichtigen Baustein für die Peroxisomen codiert, wodurch die Entgiftungsfabriken nicht richtig arbeiten konnten. Die Erkrankung glich der Peroxisomen-Fehlfunktion beim Menschen: In den Fliegen waren Gehirnzellen abgestorben, wodurch sie weder fliegen noch krabbeln konnten.

„Auffällig an diesen Tieren war, dass sie einen Mangel an Fettsäuren mittlerer Kettenlänge aufwiesen“, berichtet Erstautorin Dr. Julia Sellin. „Gerade diese Fettsäuren dienen als Treibstoff zur Energiegewinnung in den Zellkraftwerken – den Mitochondrien.“ Die Vermutung lag deshalb nahe, dass ein Zufüttern mit den fehlenden Fettsäuren die Schäden kompensieren könnte.

Fliegen auf Kokosöl-Diät

Die Wissenschaftler setzten deshalb einen Teil der Fliegen mit dem fehlenden Gen auf eine Diät mit Kokosöl, das viele Fettsäuren mittlerer Kettenlänge enthält. Eine Kontrollgruppe wurde ganz herkömmlich ernährt. Dabei zeigte sich, dass sich von den Taufliegenlarven mit dem Standardfutter nur rund 20 Prozent zu erwachsenen Exemplaren weiterentwickelten.

Davon starben die meisten binnen 24 Stunden – während die normale Lebenserwartung rund 40 bis 50 Tage beträgt. Dagegen gingen aus den mit Kokosöl gefütterten Larven rund 55 Prozent erwachsene Taufliegen hervor, die mehrere Wochen überlebten. „Mit der Diät sind die an der Peroxisomen-Störung erkrankten Taufliegen überlebensfähig, während eine herkömmliche Ernährung dies nicht ermöglicht“, fasst der zweite Erstautor Dr. Christian Wingen zusammen.

Die geschädigten Fliegenlarven zeigten Symptome von Hungerstress. Auf der Suche nach den Ursachen stieß das Forscherteam auf die Lipase 3. Es handelt sich dabei um ein Enzym, dass bei Nahrungsmangel aus dem Speicherfett Fettsäuren als Brennstoff mobilisiert. Die Lipase 3 war hochreguliert, um mehr Energie zur Verfügung zu stellen. Allerdings sind bei Peroxisomen-Erkrankungen die Mitochondrien in Mitleidenschaft gezogen, weshalb die Fettsäuren nicht vollständig verarbeitet werden konnten und sich zu einer toxischen Menge anreicherten.

Bülow: „Das ist wahrscheinlich die Ursache für den Tod der Fliegen.“ Eine weitere wichtige Rolle spielt die „Ceramid-Synthase Schlank“, die bereits Jahre zuvor am LIMES-Institut entdeckt wurde. Befindet sich die Synthase außerhalb des Zellkerns, wird die Lipase 3 hochreguliert – was zu den beschriebenen Schäden führt. Die Kokosöl-Diät dämpfte hingegen die verstärkte Aktivität der Lipase 3 und mindert dadurch Zellschäden. Ein Forscherteam um Dr. Reinhard Bauer konnte kürzlich zeigen, dass Schlank an der Regulation von Lipase 3 beteiligt ist.

Lassen sich die Befunde an den Taufliegen auch auf Menschen übertragen? Die Forscher untersuchten zusätzlich humane Zelllinien, die von Patienten mit einer peroxisomalen Biogenese-Erkrankung stammen. Auch hier zeigte sich, dass ohne Kokosöldiät die Mitochondrien anschwollen und sich freie Fettsäuren in toxischen Konzentrationen anreicherten. „Einige Aspekte, die wir an den Fliegen beobachteten, konnten wir auch auf die humanen Zellen übertragen“, fasst Bülow zusammen. Das sei ein wichtiger Anhaltspunkt für einen möglichen Therapieansatz beim Menschen. „Es ist aber noch sehr viel Forschungsarbeit zu leisten.“

Publikation: Julia Sellin, Christian Wingen, Dominic Gosejacob, Deniz Senyilmaz, Lea Hänschke, Sven Büttner, Katharina Meyer, Daniele Bano, Pierluigi Nicotera, Aurelio A. Teleman, Margret H. Bülow: Dietary rescue of lipotoxicity-induced mitochondrial damage in Peroxin19 mutants, PLOS Biology, DOI: 10.1371/journal.pbio.2004893

Kontakt für die Medien:

Dr. Margret Bülow
LIMES-Institut
Universität Bonn
Tel. 0228/7362708
E-Mail: mbuelow@uni-bonn.de

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