Krebsforscher trainieren weiße Blutkörperchen für Attacken gegen Tumorzellen

Neutrophile lassen sich durch ein spezielles Training zur Behandlung von Tumoren einsetzen. Die Wirkung des Trainings setzt bereits bei der Blutbildung (Granulopeose) ein.
© Lydia Kalafati

Wissenschaftler am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) und der Hochschulmedizin Dresden konnten gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam erstmals zeigen, dass sich bestimmte weiße Blutkörperchen – so genannte Neutrophile Granulozyten – nach Absolvierung eines speziellen Trainingsprogramms möglicherweise zur Behandlung von Tumoren einsetzen lassen.

Als Reiz für das Training dieses Teils des angeborenen Immunsystems nutzten sie Beta-Glucan, ein langkettiges Zuckermolekül, das als natürlicher Ballaststoff hauptsächlich in Zellwänden von Pilzen, Hafer oder Gerste vorkommt. Die Wirkung des Immun-Trainings setzte bereits auf der Ebene der Blutbildung im Knochenmark bei den Vorläuferzellen der Neutrophilen Granulozyten ein. Basierend auf dem nun beschriebenen Mechanismus könnten künftig neuartige Krebs-Immuntherapien entwickelt werden, die die Behandlung für Krebspatienten verbessern. Die Wissenschaftler veröffentlichten ihre Ergebnisse im renommierten Fachmagazin „Cell“.

Tumorzellen können dem Immunsystem auf verschiedene Weise ausweichen und damit seine schützende Wirkung aushebeln. Immuntherapien zielen darauf ab, diese Ausweichmanöver zu unterbinden und die natürlichen Abwehrmechanismen im Körper der Patienten wieder auf die Krebszellen zu lenken. Moderne Immuntherapien setzen hierbei auf die Spezialisten unseres Abwehrsystems wie T-Zellen, dendritische Zellen oder bestimmte Antikörper. Diese sind als Teil des spezifischen Immunsystems in der Lage, geeignete Strukturen auf Tumor- oder Immunzellen zu erkennen und eine passgenaue Abwehrreaktion einzuleiten oder auszuführen.

Wissenschaftler am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) und der Dresdner Hochschulmedizin konnten nun erstmals zeigen, dass sich auch die unspezifische Immunantwort unseres Körpers durch ein spezielles Training gegen Tumoren in Stellung bringen lässt. „Basierend auf dem beschriebenen Mechanismus sind neue Formen der Krebs-Immuntherapie denkbar, die künftig die Heilungschancen für bestimmte Patienten verbessern könnten“, sagt Prof. Triantafyllos Chavakis, Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (IKL) des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden.

Training von Neutrophilen Granulozyten hemmt Tumorwachstum

Im Zentrum des beschriebenen Mechanismus stehen spezielle Immunzellen, so genannte Neutrophile Granulozyten – kurz Neutrophile. Diese bilden die häufigste Untergruppe der weißen Blutkörperchen und sind Teil der angeborenen, unspezifischen Immunabwehr. Anders als der spezifische Anteil unseres Immunsystems, der fremde Strukturen im Körper zunächst genau analysiert, um dann mit zeitlicher Verzögerung maßgeschneiderte Abwehrmechanismen zu aktivieren, fungiert der unspezifische Anteil unserer körpereigenen Abwehr als schnelle Einsatztruppe: Wenn Krankheitserreger in den Körper eindringen oder Zellen entarten, reagiert es sehr rasch und meist stereotyp.

Durch bestimmte Reize lässt sich jedoch auch die unspezifische Immunantwort beeinflussen, gleichsam trainieren. Das Training bewirkt, dass bestimmte Akteure der schnellen Einsatztruppe veränderte Eigenschaften aufweisen und ihre Aufgaben über einen längeren Zeitraum besser erledigen als zuvor – die Truppe gewinnt an Schlagkraft. Die Forscher konnten nun erstmals nachweisen, dass sich dieser Effekt, der bereits bei Infektionen bekannt ist, auch gegen Tumoren nutzen lässt.

Eine wichtige Rolle spielen hierbei die Neutrophilen Granulozyten, die sich bei bestimmten Tumoren verstärkt in der Umgebung des Tumors ansammeln oder in den Tumor einwandern. Diese direkt am Tumor befindlichen, so genannten tumorassoziierten Neutrophile, können das Tumorwachstum hemmen, besitzen zum Teil aber auch tumorfördernde Eigenschaften. Vermutet wird, dass der Tumor selbst Stoffe abgibt, die die Neutrophilen zu Treibern des Tumorwachstums machen. Diesen für den Heilungsprozess negativen Vorgang konnten die Wissenschaftler in experimentellen Modellen durch ein spezielles Training der unspezifischen Immunantwort teilweise umkehren.

Als stimulierenden Reiz für das Immunsystem nutzten sie das langkettige Zuckermolekül (Polysaccharid) Beta-Glucan, das als natürlicher Ballaststoff hauptsächlich in Zellwänden von Pilzen, Hafer oder Gerste vorkommt. Die Gabe von Beta-Glucan bewirkte, dass der Anteil der Neutrophilen mit tumorhemmenden Eigenschaften deutlich zunahm und das Tumorwachstum zurückging.

Veränderte Blutbildung sorgt für langfristigen Effekt

Besonders wichtig war hierbei der Nachweis, dass die Umprogrammierung der Neutrophilen Granuloyzenten bereits im Knochenmark einsetzt. Hier entwickeln sich aus Stammzellen verschiedene Vorläuferzellen, aus denen schließlich die unterschiedlichen Blutzellen hervorgehen. Durch die Gabe von Beta-Glucan veränderte sich die Genaktivität der myeloischen Vorläuferzellen, aus denen sich später auch die Neutrophilen entwickeln. „Dies bewirkt, dass sich die Eigenschaften der kurzlebigen Neutrophilen längerfristig hin zu einer gegen den Tumor gerichteten Aktivität verändern. Denn die Vorläuferzellen bilden über einen längeren Zeitraum hinweg Neutrophile mit tumorhemmenden Eigenschaften“, erklärt Co-Erstautorin Lydia Kalafati vom IKL und vom NCT/UCC.

Im nächsten Schritt wäre es denkbar, dass das Prinzip des Neutrophilen-Trainings in Kombination mit bereits zugelassenen Immuntherapien bei Krebspatienten eingesetzt wird. „Dabei wollen wir auch untersuchen, bei welchen Tumorarten die Methode besonders gut wirkt, um sie dann künftig ganz gezielt einsetzen zu können“, sagt Prof. Martin Bornhäuser, Mitglied im geschäftsführenden Direktorium des NCT/UCC und Direktor der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Dresden.

Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR).

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NCT/UCC Dresden
Dresden ist seit 2015 neben Heidelberg der zweite Standort des Nationalen Centrums für Tumor-erkrankungen (NCT). Das Dresdner Zentrum ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebs-forschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR).
Das NCT hat es sich zur Aufgabe gemacht, Forschung und Krankenversorgung so eng wie möglich zu verknüpfen. Damit können Krebspatienten in Dresden und Heidelberg auf dem jeweils neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse behandelt werden. Gleichzeitig erhalten die Wissenschaftler durch die Nähe von Labor und Klinik wichtige Impulse für ihre praxisnahe Forschung. Gemeinsamer Anspruch beider Standorte ist es, das NCT zu einem internationalen Spitzenzentrum der patientennahen Krebsforschung zu entwickeln. Das Dresdner Zentrum baut auf den Strukturen des Universitäts KrebsCentrums Dresden (UCC) auf, das 2003 als eines der ersten Comprehensive Cancer Center (CCC) in Deutschland gegründet wurde. Seit 2007 wurde das UCC von der Deutschen Krebshilfe e.V. (DKH) kontinuierlich als „Onkologisches Spitzenzentrum“ ausgezeichnet.

Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ)
Das DKFZ ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.
Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden bietet medizinische Betreuung auf höchstem Versorgungsniveau. Als Krankenhaus der Maximalversorgung deckt es das gesamte Spektrum der modernen Medizin ab. Das Universitätsklinikum vereint 20 Kliniken und Polikliniken, vier Institute und zehn interdisziplinäre Zentren, die eng mit den klinischen und theoretischen Instituten der Medizinischen Fakultät zusammenarbeiten.
Mit 1.295 Betten und 160 Plätzen für die tagesklinische Behandlung von Patienten ist das Dresdner Uniklinikum das größte Krankenhaus der Stadt und zugleich das einzige Krankenhaus der Maximalversorgung in Ostsachsen. Rund 860 Ärzte decken das gesamte Spektrum der modernen Medizin ab. 1.860 Schwestern und Pfleger kümmern sich um das Wohl der Patienten. Wichtige Behandlungsschwerpunkte des Uniklinikums sind die Versorgung von Patienten, die an Krebs, an Stoffwechsel- und an neurodegenerativen Erkrankungen.
Deutschlands größter Krankenhausvergleich des Nachrichtenmagazins „Focus“ bescheinigt dem Universitätsklinikum Carl Gustav Dresden eine hervorragende Behandlungsqualität. Die Dresdner Hochschulmedizin belegt deshalb Platz zwei im deutschlandweiten Ranking.

Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden
Die Hochschulmedizin Dresden, bestehend aus der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus und dem gleichnamigen Universitätsklinikum, hat sich in der Forschung auf die Bereiche Onkologie, metabolische sowie neurologische und psychiatrische Erkrankungen spezialisiert. Bei diesen Schwerpunkten sind übergreifend die Themenkomplexe Degeneration und Regeneration, Imaging und Technologieentwicklung, Immunologie und Inflammation sowie Prävention und Versorgungsforschung von besonderem Interesse. Internationaler Austausch ist Voraussetzung für Spitzenforschung – die Hochschulmedizin Dresden lebt diesen Gedanken mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus 73 Nationen sowie zahlreichen Kooperationen mit Forschern und Teams in aller Welt.

Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR)
Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) forscht auf den Gebieten Energie, Gesundheit und Materie. Folgende Fragestellungen stehen hierbei im Fokus:
• Wie nutzt man Energie und Ressourcen effizient, sicher und nachhaltig?
• Wie können Krebserkrankungen besser visualisiert, charakterisiert und wirksam behandelt werden?
• Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?
Zur Beantwortung dieser wissenschaftlichen Fragen betreibt das HZDR große Infrastrukturen, die auch von externen Messgästen genutzt werden: Ionenstrahlzentrum, Hochfeld-Magnetlabor Dresden und ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen.
Das HZDR ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, hat sechs Standorte (Dresden, Freiberg, Görlitz, Grenoble, Leipzig, Schenefeld bei Hamburg) und beschäftigt knapp 1.200 Mitarbeiter – davon etwa 500 Wissenschaftler inklusive 170 Doktoranden.

Originalpublikation:

Lydia Kalafati*, Ioannis Kourtzelis*,… Triantafyllos Chavakis: Innate immune training of granulopoiesis promotes anti-tumor activity,
https://www.cell.com/cell/fulltext/S0092-8674(20)31299-X
DOI:https://doi.org/10.1016/j.cell.2020.09.058

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