Medikamentöse Blutdrucktherapie senkt Demenzrisiko bei Menschen mit Bluthochdruck
In Deutschland leben derzeit etwa 1,2 Millionen Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Pro Jahr kommen schätzungsweise 244.000 Betroffene neu hinzu. Die Demenz kann Ausdruck und Folge verschiedener Erkrankungen sein wie der Alzheimer-Krankheit, der Lewy-Körperchen-Demenz oder Folge gefäßbedingter Schädigungen im Gehirn (z.B. nach Schlaganfall, man spricht dann von vaskulärer Demenz).
Laut S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie [2] sind etwa 50-70% der Demenzerkrankten der Alzheimer-Demenz und ca. 15-25% der vaskulären Demenz zuzuordnen.
Nachgewiesen ist, dass die medikamentöse Blutdrucksenkung z.B. das Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko signifikant reduziert – doch hat sie auch einen Effekt auf die Demenzrate? Und wenn ja, welche Substanzklasse von Blutdrucksenkern – ACE-Hemmer, Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker, Betablocker, Calciumkanalblocker oder Diuretika – ist diesbezüglich besonders effektiv?
Diesen Fragen ging eine Metaanalyse [1] nach, die in der Januarausgabe von „Lancet Neurology“ publiziert wurde.
Die vorliegende Arbeit wertete sechs große Kohorten prospektiver Beobachtungsstudien mit insgesamt knapp über 31.000 Menschen ohne vorbestehende Demenzerkrankung im Alter von über 55 Jahren aus – und stratifizierte sie in zwei Gruppen:
Eine Gruppe umfasste Studienteilnehmer, die zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses normale Blutdruckwerte (< 140/< 90 mm Hg) aufwiesen (n=15.553), die andere jene mit erhöhten Blutdruckwerten (n=15.537). Der Anteil der Studienteilnehmer, die eine medikamentöse blutdrucksenkende Therapie erhielten, variierte in den sechs Studien, die in die Analyse eingegangen waren, und lag zwischen 32,5% und 62,1%.
Im Ergebnis erkrankten insgesamt 3.728 Studienteilnehmer während des Beobachtungszeitraums neu an einer Demenz, bei 1.741 Patienten handelte es sich um eine Alzheimer-Demenz. Verglich man die Erkrankungsrate von Patienten mit Bluthochdruck, die medikamentöse Blutdrucksenker einnahmen, mit denjenigen, die unbehandelt waren, zeigte sich nach Adjustierung der Daten, dass die medikamentöse Bluthochdrucktherapie vor Demenz schützt:
Die Patienten, deren Bluthochdruckerkrankung behandelt wurde, hatten ein um 12% signifikant geringeres Risiko, an Demenz (HR: 0,88; p=0,019) bzw. ein um 16% niedrigeres Risiko an Alzheimer (HR: 0,84; p=0,021) zu erkranken. Hatte es zuvor z.T. widersprüchliche Daten zur Rolle des Bluthochdruckdrucks gegeben, zeigt diese Metaanalyse deutlich einen positiven und klinisch relevanten Einfluss der Bluthochdruckkontrolle.
Prof. Richard Dodel, DGN-Experte für dementielle Erkrankungen, sieht hier ein großes Potenzial für die Prävention: „Bluthochdruck ist ein immenses Gesundheitsproblem in unserer Bevölkerung. Im Alter von über 60 ist fast jeder Zweite davon betroffen und viele Patienten sind unbehandelt oder unzureichend eingestellt.
Wir wissen nun, dass diese Menschen durch die medikamentöse Blutdrucksenkung nicht nur ihr Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen verringern können, sondern auch das Risiko, später an Demenz zu erkranken. Dieses Präventionspotenzial sollte unbedingt ausgeschöpft werden, letztlich auch, weil wir bis heute keine krankheitsmodifizierende Therapie gegen Demenz haben und die Zahl der Erkrankten weiter steigt.“
Die Auswertung zeigte außerdem, dass es nicht entscheidend war, mit welcher Substanzklasse die Patienten behandelt worden waren, keine der fünf verschiedenen Substanzklassen erwies sich hinsichtlich der Risikoreduktion gegenüber den anderen als überlegen.
„Es ist also nicht so, dass eine bestimmte Klasse von Blutdrucksenkern einen ‚Anti-Demenz-Effekt‘ hätte, sondern, dass eine erfolgreiche Blutdrucksenkung in den Zielwertbereich unter 140/90 mm Hg zur Reduktion des Demenzrisikos führt“, so der Experte weiter. Dementsprechend zeigte sich auch bei den Studienteilnehmern mit normalen Blutdruckwerten, die – aus welchen Gründen auch immer – Blutdrucksenker eingenommen hatten, im Hinblick auf die Demenzrate kein Effekt.
„Wir Neurologen können gar nicht oft genug daran appellieren, dass Menschen mit Bluthochdruck konsequent behandelt werden und die Blutdrucksenker wie verschrieben regelmäßig einnehmen. Damit schützen sie sich gleich vor zwei neurologischen ‚Volkskrankheiten‘: Schlaganfall und Demenz“, erklärt Professor Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen, Pressesprecher der DGN, abschließend.
[1] Ding J, Davies-Plourde KL, Sedaghat S et al. Antihypertensive medications and risk for incident dementia and Alzheimer´s disease: a meta-analysis of individual participant data from prospective cohort studies. Lancet Neurology 2020; 19: 61-70.
doi: 10.1016/S1474-4422(19)30393-X
[2] S3-Leitlinie „Demenzen“ (Langversion–Januar 2016), abrufbar unter https://www.dgn.org/leitlinien/3176-leitlinie-diagnose-und-therapie-von-demenzen…
Pressekontakt
Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
c/o albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
E-Mail: presse@dgn.org
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 9900 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org
Präsidentin: Prof. Dr. med. Christine Klein
Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
Past-Präsident: Prof. Dr. Gereon R. Fink
Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
Geschäftsführer: Dr. rer. nat. Thomas Thiekötter
Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org
DOI 10.1016/S1474-4422(19)30393-X
Media Contact
Weitere Informationen:
http://www.dgn.orgAlle Nachrichten aus der Kategorie: Medizin Gesundheit
Dieser Fachbereich fasst die Vielzahl der medizinischen Fachrichtungen aus dem Bereich der Humanmedizin zusammen.
Unter anderem finden Sie hier Berichte aus den Teilbereichen: Anästhesiologie, Anatomie, Chirurgie, Humangenetik, Hygiene und Umweltmedizin, Innere Medizin, Neurologie, Pharmakologie, Physiologie, Urologie oder Zahnmedizin.
Neueste Beiträge
Selen-Proteine …
Neuer Ansatzpunkt für die Krebsforschung. Eine aktuelle Studie der Uni Würzburg zeigt, wie ein wichtiges Enzym in unserem Körper bei der Produktion von Selen-Proteinen unterstützt – für die Behandlung von…
Pendler-Bike der Zukunft
– h_da präsentiert fahrbereiten Prototyp des „Darmstadt Vehicle“. Das „Darmstadt Vehicle“, kurz DaVe, ist ein neuartiges Allwetter-Fahrzeug für Pendelnde. Es ist als schnelle und komfortable Alternative zum Auto gedacht, soll…
Neuartige Methode zur Tumorbekämpfung
Carl-Zeiss-Stiftung fördert Projekt der Hochschule Aalen mit einer Million Euro. Die bisherige Krebstherapie effizienter gestalten bei deutlicher Reduzierung der Nebenwirkungen auf gesundes Gewebe – dies ist das Ziel eines Projekts…