Nachwachsende Zähne
Haie können es, Krokodile können es, Nagetiere können es und Menschen – theoretisch – auch. Die Rede ist von nachwachsenden Zähnen. Ein Hai muss sich keine Sorgen um mögliche Zahnlücken machen. Fällt ihm ein Zahn aus, wachsen nahezu beliebig oft Zähne nach.
Und wie sieht es beim Menschen aus?
Fallen die bleibenden Zähne aus, hilft nur noch ein Implantat oder die sogenannten „Dritten“, um auch künftig herzhaft zubeißen zu können.
„Zwar gibt es vereinzelt Berichte darüber, dass auch Menschen zum dritten Mal Zähne oder auch ganze Zahnsätze nachwachsen, aber warum das bei manchen Menschen passiert und bei anderen nicht, ist noch weitgehend unbekannt“, beschreibt Dr. Roland Lauster, Professor für medizinische Biotechnologie an der TU Berlin das Forschungsprojekt.
„Grundsätzlich geht die Wissenschaft davon aus, dass auch der menschliche Kiefer lebenslang über die Informationen verfügt, die für das Wachstum neuer Zähne notwendig sind“, so Dr. Jennifer Rosowski, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Roland Lauster, die dem Thema der nachwachsenden Zähne ihre Doktorarbeit gewidmet hat. Die Frage ist, wodurch dieser Prozess getriggert wird.
Natürlicherweise entstehen Haare, Zähne oder auch Nägel als Folge der sogenannten mesenchymalen Kondensation. Im Falle des Zahnwachstums sammeln sich bestimmte Vorläuferzellen im Kiefer unterhalb der äußeren Hautschicht. Diese Zellen kondensieren und bilden eine Art Zahnkeim.
Als Folge dieser Kondensation beginnen sie über spezifische Botenstoffe mit den umliegenden Zellschichten im Kiefer zu interagieren. „Innerhalb der so gebildeten Zahnknospe kommt es zur Differenzierung verschiedener Zelltypen: dem Zahnschmelz-Organ, der Zahnpapille und der Zahnleiste. Diese Gewebe differenzieren nach und nach zu einem kompletten Zahn“, beschreibt Jennifer Rosowski. Die Information, welcher Zahn gebildet werden soll – Schneidezahn oder Backenzahn –, kommt dabei aus dem umliegenden Kiefergewebe.
Der Ansatz der Forscher*innen von der TU Berlin für die natürlichen dritten Zähne klingt ebenso simpel wie genial: Sie gewinnen aus dem Inneren eines extrahierten Zahnes sogenannte dentale Pulpa-Zellen, die sie so kultivieren und de-differenzieren, dass sich daraus ein aktiver Zahnkeim bildet.
Würde man diesen Zahnkeim einem Patienten einpflanzen, so die Idee, beginnt er mit dem umliegenden Gewebe zu kommunizieren und löst damit die gesamte Kaskade an Botenstoffen aus, die die Zahnbildung initiiert.
Konkurrierende Arbeitsgruppen haben im Tiermodell bereits den konzeptionellen Beweis erbracht: Sie konnten zeigen, dass ein in den Kiefer implantierter Zahnkeim tatsächlich wieder zu einem kompletten Zahn auswächst.
Das Team um Roland Lauster sieht jedoch in der eigenen Methode einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil: Alle konkurrierenden Forschungsgruppen verwenden embryonale Stammzellen, um Zahnkeime herzustellen. „Damit ist die reale Anwendung des Verfahrens eigentlich ausgeschlossen, da die Verwendung von Stammzellen in den meisten Ländern ethisch hoch umstritten und gesetzlich nicht zugelassen ist“, erläutert Jennifer Rosowski.
„Wir würden dagegen ausschließlich Zellmaterial aus patienteneigenen Zähnen nutzen. So vermeiden wir alle ethischen und rechtlichen Bedenken und haben dazu den entscheidenden Vorteil, dass es sich im Falle einer realen Anwendung um körpereigenes Gewebe handelt: Der neue Zahn würde also keine Abstoßungsreaktion hervorrufen.“
Die für die Forschung benötigten Zähne stellte die Oralchirurgie der Charité Universitätsmedizin Berlin in Form von herausoperierten Weisheitszähnen zur Verfügung. Um die darin enthaltenen adulten Zellen dazu zu bringen, wieder in eine Art Embryonalzustand zu de-differenzieren und anschließend zu einem Zahnkeim zu aggregieren, haben die Berliner Wissenschaftler*innen eine spezielle Kultivierungsmethode entwickelt.
Dazu werden die dentalen Pulpazellen vereinzelt, gereinigt und anschließend in Mikro-Titerplatten kultiviert, deren Oberfläche mit einem Hydrogel beschichtet wurde. Das Hydrogel verhindert, dass sich die Zellen an der Wand der Titerplatten anheften. Sie schwimmen frei in dem Medium, sind aber eigentlich so programmiert, dass sie eine dreidimensionale Struktur anstreben. Als Folge kondensieren sie selbstständig, ohne äußeren Druck, zu einer Art Zell-Ball. Dieser Prozess dauert 24 Stunden und der entstehende Zell-Ball ist rund 200 bis 500 Mikrometer groß.
„Als einzige Gruppe weltweit konnten wir nachweisen, dass diese eigenständige mesenchymale Kondensation zu einem Zell-Ball die Expression verschiedener Gene triggert und die Produktion von spezifischen Botenstoffen in Gang setzt. Diese Botenstoffe werden benötigt, um mit dem umliegenden Kiefergewebe zu interagieren“, erklärt Jennifer Rosowski das Verfahren, das inzwischen weltweit patentiert wurde.
Um diese sogenannte Induktivität zu beweisen, haben die Wissenschaftler*innen die Zahnkeime zusammen mit Zellen aus dem Zahnfleisch ko-kultiviert. Bei der embryonalen Zahnentwicklung interagieren diese beiden Zelltypen und lösen so die Zahnbildung aus. Genau diese Interaktion konnte die Wissenschaftlerin nachweisen.
Nachdem alle in-vitro-Versuche erfolgreich abgeschlossen wurden, stehen die Zahnkeime jetzt vor den ersten präklinischen Tests.
Fotomaterial zum Download: www.tu-berlin.de/?206844
Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
Prof. Dr. Roland Lauster
TU Berlin
Fachgebiet Medizinische Biotechnologie
Tel.: 030/314-27905
E-Mail: roland.lauster@tu-berlin.de
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