Neuer Ansatz gegen Parodontitis

Parodontitis betrifft die Hälfte der erwachsenen deutschen Bevölkerung. Schwere Fälle werden bisher mit Antibiotika bekämpft.
Bild: PerioTrap Pharmaceuticals GmbH

Bakterien im Mundraum hemmen statt zerstören.

Neuartige therapeutische Ansätze bei Parodontitis werden von der PerioTrap Pharmaceuticals GmbH, der Skinomics GmbH, dem Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI und dem Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS im gemeinsamen Projekt »Paropaste« entwickelt. Sie setzen darauf, die dafür verantwortlichen Keime nicht abzutöten, sondern unschädlich zu machen. Diesen Ansatz, der zur Vermeidung von Antibiotika-Resistenzen beitragen könnte, stellt das Forschungs-Konsortium aus Halle (Saale) am 14. März 2024 auf der »IADR/AADOCR/CADR General Session« in New Orleans, USA, vor.

Parodontitis ist eine Volkskrankheit: Die Hälfte der erwachsenen deutschen Bevölkerung ist von dieser chronisch-entzündlichen Erkrankung des Zahnhalteapparates betroffen, die meist durch eine Störung des bakteriellen Gleichgewichts im Mundraum und auf den Zähnen ausgelöst wird. Die Folgen sind keineswegs auf Zahnschmerzen, blutendes Zahnfleisch oder Zahnausfall beschränkt. Durch die ständige Entzündung und die Einwanderung der krankmachenden Keime in den menschlichen Körper werden Erkrankungen wie Diabetes, Rheuma, Alzheimer und chronische entzündliche Darmerkrankungen begünstigt. Weil insbesondere bei schweren Verläufen von Parodontitis auch Antibiotika zur Behandlung eingesetzt werden, tragen die hohen Fallzahlen der Krankheit auch zur Verbreitung von Antibiotika-Resistenzen und zur Entstehung multiresistenter Keime bei, an denen weltweit jährlich mehr als eine Million Menschen sterben.

»Antibiotika sollen bei schweren Fällen von Parodontitis den bakteriellen Biofilm in Zahnfleischtaschen beseitigen. Werden dabei Tabletten verabreicht, wirkt das Medikament aber auf den gesamten Körper. Viele nützliche Bakterien auch an anderen Stellen als im Mundraum kommen mit dem Wirkstoff in Kontakt, werden abgetötet, und es entsteht ein unnötig hohes Risiko für die Ausbildung von Resistenzen«, erläutert Dr.-Ing. Andreas Kiesow, Gruppenleiter »Charakterisierung medizinischer und kosmetischer Pflegeprodukte« am Fraunhofer IMWS.

Im Verbundprojekt »Paropaste«, das im Förderprogramm »KMU-innovativ: Biomedizin« mit insgesamt 3 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird, setzen die Projektpartner deshalb auf einen alternativen Ansatz zur Hemmung der krankmachenden Bakterien: Sie wollen mit einem speziellen Wirkstoff, der direkt im Mundraum appliziert wird, ein Enzym hemmen, das fast ausschließlich in den Paradontitis verursachenden Bakterien vorkommt. Ohne die Wirkung dieses Enzyms kann das Bakterium mehrere sogenannte Virulenzfaktoren nicht mehr produzieren, und somit letztlich keine Erkrankung beim Menschen mehr hervorrufen. »Während klassische Antibiotika das grundsätzliche Wachstum aller guten und schlechten Keime hemmen, wollen wir nur die gefährlichen Bakterien in ihrer krankmachenden Wirkung aus dem Spiel nehmen. So kann das natürliche Mikrobiom im Mundraum erhalten oder wiederhergestellt werden, statt das gesamte Keimspektrum zu zerstören«, sagt Dr. Mirko Buchholz von PerioTrap, wissenschaftlicher Leiter und Mitgründer der Firma.

Die vier Projektpartner, die alle auf dem Weinberg Campus in Halle (Saale) ansässig sind, werden den Ansatz am 14. März auf der »2024 IADR / AADOCR / CADR General Session« in New Orleans, USA, im Vortrag »A new approach for re-balancing the oral microbiome « und mit zwei Posterbeiträgen vorstellen. Die viertägige Fachkonferenz wird ausgerichtet von der International Association for Dental, Oral, and Craniofacial Research (IADR), der American Association for Dental, Oral, and Craniofacial Research (AADOCR) und der Canadian Association for Dental Research (CADR). Sie ist weltweit eine der größten wissenschaftlichen Konferenzen dieser Art.

Das Fraunhofer IMWS bringt im »Paropaste«-Projekt vor allem seine langjährige materialwissenschaftliche Erfahrung für innovative Dental-Care- und Oral-Care-Anwendungen ein. Dabei wird unter anderem untersucht, ob die lokal anzuwendende Formulierung, die im Projekt entsteht, in der gewünschten Weise mit dentalem Gewebe interagiert und für Menschen verträglich ist.

Das Fraunhofer IZI, an dem der innovative Behandlungsansatz generiert wurde und dessen Ausgründung die PerioTrap GmbH ist, entwickelt und validiert die bioanalytischen Methoden zur Charakterisierung der Wirkstoffkandidaten und führt Experimente zum Wirkstofftransport, der lokalen Bioverfügbarkeit und zur Toxizität durch. Skinomics übernimmt im Projekt die Verantwortung für die Auswahl, Charakterisierung und Erprobung eines geeigneten galenischen Trägersystems für ausgewählte Wirkstoffkandidaten sowie regulatorische Zuarbeiten zur klinischen Bewertung und Scaling-up Prozessen.

Wenn die Projektpartner erfolgreich sind und das Wirkpotenzial des Ansatzes nachweisen können, soll »Paropaste« in klinischen Studien erprobt werden. Von einem wirkungsvollen neuen Therapieansatz könnten danach allein in Deutschland jährlich rund 20 Millionen Patientinnen und Patienten profitieren.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr.-Ing. Andreas Kiesow, Gruppenleiter »Charakterisierung medizinischer und kosmetischer Pflegeprodukte«, Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS, Walter-Hülse-Straße 1, 06120 Halle (Saale), Telefon +49 345 5589-118, andreas.kiesow@imws.fraunhofer.de

Weitere Informationen:

https://www.imws.fraunhofer.de/de/presse/pressemitteilungen/parodontitis-bakteri…

Media Contact

Michael Kraft Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Medizin Gesundheit

Dieser Fachbereich fasst die Vielzahl der medizinischen Fachrichtungen aus dem Bereich der Humanmedizin zusammen.

Unter anderem finden Sie hier Berichte aus den Teilbereichen: Anästhesiologie, Anatomie, Chirurgie, Humangenetik, Hygiene und Umweltmedizin, Innere Medizin, Neurologie, Pharmakologie, Physiologie, Urologie oder Zahnmedizin.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Das Potenzial alter Elektroautos nutzen

Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert neues Graduiertenkolleg Circular E-Cars. Recycling als Chance für das Rheinische Revier. Weil in Elektroautos (E-Cars) im Vergleich zu herkömmlichen Automobilen deutlich mehr wertvolle Nichteisenmetalle…

Forscher erzeugen eindimensionales Gas aus Licht

Physiker der Universität Bonn und der Rheinland-Pfälzisch Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) haben ein eindimensionales Gas aus Licht erzeugt. Damit konnten sie erstmals theoretische Vorhersagen überprüfen, die für den Übergang in…

Zwergplanet Ceres: Ursprung im Asteroidengürtel?

Hellgelbe Ablagerungen im Consus Krater zeugen von Ceres‘ kryovulkanischer Vergangenheit – und beleben die Diskussion um ihren Entstehungsort neu. Der Zwergplanet Ceres könnte seinen Ursprung im Asteroidengürtel haben – und…

Partner & Förderer