Physiologen entwickeln Grundlagen für Therapie einer angeborenen Entwicklungsstörung des Gehirns

Diese schwere Erberkrankung führt dazu, dass die Mädchen sich nach der Geburt zunächst normal entwickeln. Zwischen dem 6. und dem 18. Lebensmonat aber stoppt das Wachstum der Nervenzellen und ein langsamer Abbauprozess beginnt. Die Mädchen verlieren die Fähigkeit zu sprechen, leiden unter Atemaussetzern und werden körperlich inaktiv.

Auf der Suche nach dem zellulären Mechanismus der Krankheitsentstehung identifizierten Wissenschaftler aus den USA und Deutschland Astrozyten, die größte Gruppe so genannter Gliazellen im Gehirn, als wichtige Komponente für Therapieansätze. Eine gezielte Gentherapie der Astrozyten in Mäusen mit Rett-Syndrom erhöhte wieder deren Aktivität, verbesserte die Atmung und reduzierte den Abbau der Nervenzellen. Physiologen der Saar-Uni waren an den Experimenten, deren Ergebnisse zu einer Therapie von Rett-Patientinnen führen sollen, beteiligt. Die Studie wird in der aktuellen Ausgabe von Nature online vorgestellt.

Schuld an dem Rett-Syndrom hat ein Gen mit der Bezeichnung MECP2. Dieses Gen ist ein so genanntes Mastergen, das die Funktion weiterer Gene in allen Nerven- und Gliazellen des Gehirns steuert. Wissenschaftler aus der Physiologie der Universität des Saarlandes konnten Kollegen in den USA mit einer gentechnisch veränderten Maus weiterhelfen, die eine selektive Gentherapie in den häufigsten Gliazellen, den Astrozyten, ermöglichen. Astrozyten haben viele Funktionen: Sie stellen den benachbarten Nervenzellen Nährstoffe zur Verfügung, kontrollieren das Milieu außerhalb der Zellen und können die Aktivität der Nervenzellen verändern. Der erfolgreiche Versuch zeigt, dass die Einführung eines gesunden MECP2-Genes allein in Astrozyten zu einer Verbesserung des Krankheitsbildes führt. Die Experimente stellen die Wissenschaftler in der aktuellen Online-Ausgabe des Fachmagazins Nature vor.

Die Forscher um Professor Frank Kirchhoff (Uni des Saarlandes) und Dr. Petra Hirrlinger (jetzt Universität Leipzig) haben in den vergangenen Jahren gentechnisch veränderte Mäuse hergestellt, die in vielen Labors der Welt bei der Untersuchung der Gliazellen des Nervensystems und seiner Erkrankungen weiterhelfen. Zuvor forschten beide gemeinsam am Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin und Zentrum für Molekulare Physiologie des Gehirns in Göttingen.

Die hier benutzte „GFAP-CreERT2“-Maus erlaubt die gezielte Veränderung des Erbgutes in Astrozyten. Die Kollegen aus den USA um Gail Mandel vom Howard Hughes Medical Institute in Portland, Oregon, nutzten diese Maus, um ein gesundes MECP2-Gen gezielt in Astrozyten kranker Mäuse wieder anzuschalten. Die Wissenschaftler verabreichten der Maus dazu den Wirkstoff Tamoxifen, der die Reparatur des defekten Gens in den Zellkernen der Astrozyten startet, um die Symptome des Rett-Syndroms zu lindern.

In ihren Versuchen haben die Forscher zunächst das Bewegungsverhalten und die Atmungsaktivität kranker Mäuse verglichen mit dem Verhalten und der Atmung behandelter Mäuse. Vor der Tamoxifen-Behandlung waren kranke Mäuse wesentlich inaktiver und litten im Gegensatz zu normalen Mäusen unter häufigen Atemaussetzern. Der erfolgreiche Verlauf des Experimentes konnte an den behandelten Mäusen direkt beobachtet werden: Sie waren nach der Reparatur des Gens deutlich aktiver und litten weniger unter Atemaussetzern. Untersuchungen im Gehirn der Mäuse zeigten einen deutlich geringeren Nervenzellschaden.

„Unsere Studie hat zwei wichtige Ergebnisse“, bewertet Professor Frank Kirchhoff diesen Erfolg. „Obwohl wir ein gesundes MECP2-Gen nur in Astrozyten wieder eingeführt haben, konnten wir an den Mäusen eine deutliche Verbesserung des Krankheitsbildes beobachten. Das heißt, Astrozyten müssen Faktoren freisetzen, die einen positiven Effekt auf die benachbarten Nervenzellen ausüben. Diese müssen in zukünftigen Forschungsarbeiten identifiziert werden. Außerdem zeigen die erfolgreiche Aktivierung des gesunden MECP2-Gens in erkrankten Tieren und die eingetretene Verbesserung das Potenzial für eine zellspezifische Gentherapie des Rett-Syndroms.“

Bis aus den Erkenntnissen allerdings eine Therapie für Menschen entwickelt werden kann, wird es noch Jahre oder gar Jahrzehnte dauern. „Das Experiment zeigt aber: Eine Gentherapie ist möglich und verbessert die Symptome bei bereits Erkrankten“, erklärt Physiologe Frank Kirchhoff den Durchbruch, der den Wissenschaftlern mit diesem Experiment gelungen ist.

Kontakt:
Professor Dr. Frank Kirchhoff
Tel.: (06841) 1626489
E-Mail: frank.kirchhoff@uks.eu
Hinweise zum Artikel „A role for glia in the progression of Rett syndrome“: Um den Artikel zu lesen, rufen Sie folgende Adresse auf: http://dx.doi.org/ und geben Sie in das Suchfenster folgende Nummer ein: 10.1038/nature10214
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Thorsten Mohr Universität des Saarlandes

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