Regenerative Stammzellen als Ursprung entzündungs-assoziierter Darmtumore
Forschungsgruppe der Medizin findet Triggerpunkte für Darmkrebs in jungen Lebensjahren.
Fragt man einen Zellbiologen, wie Krebs entsteht, so lautet die Antwort: durch eine Mutation in einer Stammzelle. In einer neuen Veröffentlichung im Fachmagazin „Nature Genetics“ durchbrechen Wissenschaftler des Erasmus Medical Center (Erasmus MC) in Rotterdam und der Philipps-Universität Marburg dieses Dogma. Sie zeigen, dass ein Darmtumor auch aus einem spezialisierten Zelltyp entstehen kann, der eigentlich die Aufgabe besitzt, Schleim oder antibakterielle Moleküle zu produzieren.
Die Forscher kamen aufgrund eines Widerspruchs auf diese Entdeckung. Die Hauptrisikofaktoren für Dickdarmkrebs, nämlich chronische Entzündungen und westliche Ernährungsgewohnheiten, die sogenannte Western-Style-Diät, führen dazu, dass die normalen Stammzellen unterdrückt werden. Wenn dies der Fall ist, können sie jedoch nicht der Ursprung der Darmtumore sein. Frühere Untersuchungen des an der Arbeit beteiligten Marburger Pharmakologen Dr. Mark Schmitt, Arbeitsgruppenleiter am Pharmakologischen Institut der Philipps-Universität, zeigen, dass eigentlich auf andere Aufgaben spezialisierte Darmzellen als Reaktion auf entzündungsbedingte Gewebeschäden zu einem stammzellähnlichen Zelltyp zurückkehren, um das Darmgewebe zu regenerieren. Könnte die spezialisierte Darmzelle dann der Ursprung von Darmtumoren sein, die im Zusammenhang mit einer Entzündung entstehen?
Diese Hypothese erwies sich als richtig. Bei Mäusen mit einer genetischen Veranlagung für Krebs in spezialisierten Darmzellen entwickelten sich Tumore, sobald sich der Darm entzündete. Der Ursprung dieser Darmtumore war nicht eine Stammzelle, sondern die spezialisierte Darmzelle, wie die Forschenden zeigten.
Dann bemerkten die Forschenden noch etwas anderes: Die Darmtumore der Mäuse ähneln nicht nur den Tumoren, die bei Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa auftreten, sondern auch den Darmtumoren von Menschen, die nicht an einer solchen Erkrankung leiden. Mit Hilfe von maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz konnte in der Studie gezeigt werden, dass etwa 40 Prozent der menschlichen Darmtumore ihren Ursprung in einer spezialisierten Darmzelle haben.
Diese Zahl ist viel höher als die Forschenden erwartet hatten und beruht vermutlich auf einer milden, jedoch persistenten chronischen Entzündung, die durch westliche Ernährungsgewohnheiten im Darm hervorgerufen werden kann. Wie die Forschungsgruppe von Dr. Schmitt zeigen konnte, führt der Verzehr von Western-Style-Diät in ähnlicher Weise zu einem Verlust von Stammzellen und zur Aktivierung von spezialisierten Zellen, die dann zu einem Tumor heranwachsen könnten. Dies geschieht also nicht nur in der relativ kleinen Gruppe der Darmkrebspatienten mit Darmentzündung, sondern bei viel mehr Menschen.
Die Forschenden bringen ihre Ergebnisse mit einer besorgniserregenden Entwicklung in Verbindung: Darmkrebs, per Definition eine Krankheit, die mit dem Alter zusammenhängt, wird zunehmend bei jungen Menschen diagnostiziert. Die Ergebnisse bestätigen nun den Verdacht der Forscher, dass es einen Zusammenhang zwischen westlichem Lebensstil, chronischen Entzündungen und der Entstehung von Darmkrebs in jungen Jahren gibt, möglicherweise zusammenhängend mit den untersuchten alternativen Ursprungszellen der Darmtumore.
Ihre Ergebnisse sind auch deshalb wichtig, weil sie zu einer neuen Klassifizierung von Dickdarmkrebs führen könnten, argumentieren die Forscher: Darmtumore, die aus spezialisierten Zellen entstehen, haben eine schlechtere Prognose als Tumore, die aus Darmstammzellen entstehen. Die Forscher hoffen, dass die aktualisierte Klassifizierung zu einer besseren Vorhersage des Krankheitsverlaufs und zu personalisierten Behandlungen führen wird
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Mark Schmitt
Pharmakologisches Institut
Fachbereich Medizin
Philipps-Universität Marburg
Tel.: 06421 28-62262
E-Mail: mark.schmitt@uni-marburg.de
Originalpublikation:
Nature Genetics
https://www.nature.com/articles/s41588-024-01801-y
doi: 10.1038/s41588-024-01801-y
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