Spezialisten-Zellen helfen Gedächtnis auf die Sprünge

Prof. Dr. Dr. Florian Mormann von der Bonner Uniklinik für Epileptologie. © Foto: Rolf Müller/UKB-Ukom

Konzeptneurone sind hochspezialisiert: Diese Nervenzellen werden aktiv, wenn sie mit einer bestimmten Bedeutung konfrontiert werden. Es kann sich dabei um das Bild einer bestimmten Person handeln – zum Beispiel eine Popsängerin. Die Zellen feuern aber auch, wenn der Name des Popstars lediglich ausgesprochen wird oder als Text in einer Zeitschrift vorliegt. „Konzeptneurone haben ein sehr selektives Antwortverhalten“, sagt Prof. Dr. Dr. Florian Mormann von der Uniklinik für Epileptologie. Der Bezug zur Popmusik allein reicht nicht, erst wenn es um diese eine Sängerin geht, wird die entsprechende Nervenzelle aktiv.

Die Stimulation der Konzeptneurone erfolgt nicht nur durch Personen, sondern auch durch Tiere, Landschaften und Objekte. „Diese spezialisierten Zellen sind wichtig für die Gedächtnisbildung“, sagt Prof. Mormann. Das Arbeitsgedächtnis hält als ersten Schritt Informationen vorübergehend verfügbar. Bislang gingen Wissenschaftler davon aus, dass es in der präfrontalen Gehirnregion angesiedelt ist.

Zellen halten für kurze Zeit Gedächtnisinhalte verfügbar

Zusammen mit Forschern aus den USA, Großbritannien und Israel hat Prof. Mormann nun bestätigt, dass auch Konzeptneurone im medialen Schläfenlappen des Gehirns eine wichtige Funktion für das Arbeitsgedächtnis erfüllen. Die Wissenschaftler zeigten an einzelnen dieser spezialisierten Zellen, dass sie für eine kurze Zeit Gedächtnisinhalte verfügbar halten.

Die Studie wurde möglich, weil sich 18 Epilepsie-Erkrankte bereit erklärten, mit den Forschern zusammen zu arbeiten. Die Patienten hatten Elektroden implantiert bekommen, um die Epilepsie auslösenden Hirnareale im Schläfenlappen für eine spätere chirurgische Entfernung genau lokalisieren zu können. Durch diese Elektroden führten die Wissenschaftler Bündel feiner Drähte ein. Damit konnten sie die Aktivität einzelner Nervenzellen messen.

Im ersten Durchgang testeten die Wissenschaftler, welche Fotos bei den Testpersonen die Konzeptneurone aktivierten. Es handelte sich dabei um Bilder von Objekten wie dem Eifelturm, Tieren wie etwa einer Spinne und Personen wie dem früheren US-Präsidenten George W. Bush.

Anschließend wurden die stimulierenden Fotos in schneller Folge den Probanden gezeigt. Dann folgte eine Pause von wenigen Sekunden, in der die Bilder im Arbeitsgedächtnis gehalten werden sollten. Danach bekamen die Testpersonen jeweils zwei Fotos zur Auswahl. Die Teilnehmer sollten wiedererkennen, welches der beiden Bilder sie zuvor gesehen hatten.

Nachfolgender Stimulus hemmt vorher aktivierte Nervenzelle

Mit ihren Messungen wiesen die Forscher nach, dass die auf ein bestimmtes Motiv spezialisierten Konzeptneurone so lange aktiv blieben, bis ein neues Bild gezeigt und eine andere Nervenzellen gereizt wurde. „Dieser nachfolgende Stimulus hemmte die vorher aktivierte Nervenzelle“, berichtet Prof. Mormann. Die Konzeptneurone brauchten 0,4 Sekunden, um zu reagieren. War der Bilderfluss schneller, wurden die Zellen wie bei einer Warteschlange nacheinander aktiviert – ohne dass Informationen verloren gingen.

Die Wissenschaftler konnten sogar anhand der Aktivierung der Konzeptneurone während der Arbeitsgedächtnisphase vorhersagen, ob sich die Probanden später richtig an das bereits gezeigte Bild erinnern werden. „Diese Ergebnisse waren signifikant besser als der Zufall“, sagt Prof. Mormann. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 50 Prozent, das richtige von zwei gezeigten Fotos zu erraten. „Die Vorhersagen liegen deutlich über diesem Wert“, berichtet der Wissenschaftler.

Bereits seit vielen Jahrzehnten ist bekannt, dass die beiden Schläfenlappen eine wichtige Rolle bei der Gedächtnisbildung spielen. Menschen, bei denen diese Gehirnregionen defekt sind, können keine neuen Informationen abspeichern. „Wir konnten direkt an den Nervenzellen zeigen, dass die Konzeptneurone in den Schläfenlappen für das Arbeitsgedächtnis von entscheidender Bedeutung sind.“

Dieser Teil des Erinnerungsvermögens sei deshalb nicht nur in der präfrontalen Region des Gehirns angesiedelt, sondern über viele Areale verteilt. Diese grundlegenden Erkenntnisse zur Gedächtnisbildung können auch bedeutsam für das Verständnis von Demenzerkrankungen – wie zum Beispiel Alzheimer – sein.

Publikation: Simon Kornblith, Rodrigo Quian Quiroga, Christof Koch, Itzhak Fried, Florian Mormann: Persistent single-neuron activity during working memory in the human medial temporal lobe, Current Biology, DOI: 10.1016/j.cub.2017.02.013

Kontakt für die Medien:

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Florian Mormann
Kognitive und Klinische Neurophysiologie
Klinik für Epileptologie
Universität Bonn
Tel. 0228/28715738
E-Mail: florian.mormann@ukb.uni-bonn.de

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