Substanz blockiert krebsspezifische Mutation bei Leukämie und Hirntumoren

Zwei IDH1-Proteine (braun und hellblau) bilden ein Dimer. Der Wirkstoff BAY1436032 (gelb) bindet zwischen beiden Proteinketten. Quelle: Stefan Pusch/DKFZ

Viele bösartige Tumoren entstehen als Folge von Erbgutveränderungen in einzelnen Zellen. Solche Genmutationen führen oft zu veränderten Proteinen, die der Zelle neue, wachstumsfördernde Eigenschaften verleihen. Geradezu ein Paradebeispiel für dieses Prinzip ist eine krebstypisch veränderte Form des Enzyms IDH1, die zunächst in bestimmten bösartigen Hirntumoren entdeckt worden war.

Wissenschaftlern war aufgefallen, dass die Mutationen der IDH1 (Isocitrat-Dehydrogenase 1) fast immer die Aminosäureposition 132 der Eiweißkette des Enzyms betreffen. Dieser Austausch führt dazu, dass die Zellen ein krebsförderndes Stoffwechselprodukt anhäufen. Nicht-mutierte IDH1-Enyzme in gesunden Zellen dagegen produzieren dieses Produkt nicht.

„Das brachte uns auf die Idee, einen Wirkstoff zu entwickeln, der spezifisch die an Position 132 mutierte IDH1 hemmt. Unser Ziel ist ein Medikament, das Krebszellen trifft, gesunde Zellen mit dem normalen Enzym dagegen nicht beeinflusst“, erklärt Stefan Pusch vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ).

In einer Forschungsallianz mit der Firma Bayer ist es den DKFZ- und Bayer-Forschern gemeinsam tatsächlich gelungen, eine Substanz zu finden, die mutmaßlich hochselektiv ist. Der neue Wirkstoffkandidat BAY1436032 wird derzeit in umfangreichen präklinischen Tests auf seine Sicherheit und Wirksamkeit überprüft.

Leukämie und Hirntumoren in Mäusen gebremst

Die 132-Mutation der IDH1 wurde inzwischen außer in Hirntumoren (Oligodendrogliome, diffuse Astrozytome und ein kleinerer Anteil der Glioblastome) auch bei etwa zehn Prozent der akuten myeloischen Leukämien (AML) gefunden sowie bei Gallengangskarzinomen und bestimmten bösartigen Knochentumoren. Mit zwei aktuell publizierten Studien konnten die Heidelberger Forscher nun die Wirksamkeit von BAY1436032 gegen AML sowie gegen Hirntumoren (Astrozytome) bei Mäusen belegen.

Bei Behandlung mit BAY1436032 überlebten Mäuse, denen die Forscher menschliche Astrozytomzellen übertragen hatten, signifikant länger als unbehandelte Artgenossen. Der Wirkstoff, der über das Futter verabreicht werden kann, senkte in den Krebszellen deutlich die Konzentration des krebsfördernden Stoffwechselprodukts. „Selbst bei hoher Dosierung haben die Tiere die Substanz gut vertragen. BAY1436032 scheint tatsächlich spezifisch die mutierte IDH1 in den Krebszellen zu beeinflussen“, sagt Andreas von Deimling, Leiter einer Klinischen Kooperationseinheit im DKFZ und im Universitätsklinikum Heidelberg.

Auch die Tests gegen AML verliefen erfolgreich: Mäuse, denen IDH1-mutierte menschliche Leukämiezellen übertragen worden waren, lebten mit BAY1436032-Behandlung länger als unbehandelte Tiere. Auch die Anzahl der Leukämie-Stammzellen in ihrem Knochenmark ging signifikant zurück.

Krebszellen verlieren Stammzell-Eigenschaften

„Vieles deutet darauf hin, dass BAY1436032 nicht zytotoxisch auf die Tumorzellen wirkt, sondern sie zu normalen Blutzellen ausreifen lässt“, sagt Alwin Krämer. Der Hämatoonkologe leitet eine Klinische Kooperationseinheit des DKFZ und des Universitätsklinikums Heidelberg. Diese Beobachtung bestätigt Andreas von Deimling, der die präklinische Studie an Gliomen geleitet hat: „Die Krebszellen in den untersuchten Mäusen verloren ihre gefährlichen Stammzell-Eigenschaften und entwickelten sich zu Vorläufern normaler Hirnzellen.“

Da an der Aminosäureposition 132 des Enzyms IDH1 eine Reihe verschiedener Mutationen bekannt ist, testete das Forscherteam BAY1436032 auch gegen diese Varianten. In biochemischen Tests und Zellkultur-Untersuchungen erwies sich die Substanz als wirksam gegen alle bislang bekannten Mutationen an dieser Position. Die Forscher fanden außerdem Hinweise darauf, dass BAY1436032 die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann.

Nach diesen vielversprechenden präklinischen Ergebnissen wird derzeit in der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg eine erste klinische Studie durchgeführt. Eingeschlossen sind Patienten mit Gliomen und anderen soliden Tumore mit nachgewiesener IDH1-Mutation. Das Ziel ist es, die Verträglichkeit von BAY1436032 und die geeignete Dosis zu ermitteln. „Hier besteht großer Bedarf an innovativen Therapien“, erklärt Andreas von Deimling, „denn behandlungsresistente Astrozytome entarten oft zu besonders aggressiven Tumoren, gegen die wir mit den heute verfügbaren Medikamenten nichts ausrichten können.“

Unter der Leitung von Alwin Krämer startet darüber hinaus in Kürze eine internationale klinische Studie, mit der die Verträglichkeit und die geeignete Dosis von BAY1436032 bei der AML mit IDH1-Mutation geprüft werden soll.

A Chaturvedi, L Herbst, S Pusch, L Klett, R Goparaju, D, Stichel, S Kaulfuss, O Panknin, K Zimmermann, L Toschi, R Neuhaus, A, Haegebarth, H Rehwinkel, H Hess-Stumpp, M Bauser, T Bochtler, E A Struys, A, Sharma, A Bakkali, R Geffers, M M Araujo-Cruz, F Thol, R Gabdoulline, A, Ganser, A D Ho, A von Deimling, K Rippe, M Heuser, A Krämer: Pan-mutant-IDH1 inhibitor BAY1436032 is highly effective against human IDH1 mutant acute myeloid leukemia in vivo.
Leukemia, 2017, DOI: 10.1038/leu.2017.46.

Stefan Pusch, Sonja Krauser, Viktoria Fischer, Jörg Balss, Martina Ott, Daniel Schrimpf, David Capper, Felix Sahm, Jessica Eisel, Ann‑Christin Beck, Manfred Jugold, Viktoria Eichwald, Stefan Kaulfuss, Olaf Panknin, Hartmut Rehwinkel, Katja Zimmermann, Roman C. Hillig, Judith Guenther, Luisella Toschi, Roland Neuhaus, Andrea Haegebart, Holger Hess‑Stumpp, Markus Bauser, Wolfgang Wick, Andreas Unterberg, Christel Herold‑Mende, Michael Platten, Andreas von Deimling:
Pan‑mutant IDH1 inhibitor BAY 1436032 for effective treatment of IDH1 mutant astrocytoma in vivo.
Acta Neuropathologica, 2017, DOI: 10.1007/s00401-017-1677-y

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BU: Zwei IDH1-Proteine (braun und hellblau) bilden ein Dimer. Der Wirkstoff BAY1436032 (gelb) bindet zwischen beiden Proteinketten.
Quelle: Stefan Pusch/DKFZ

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BU: So bindet BAY1436032 (gelb) an das mutierte Enzym IDH1.
Quelle: Stefan Pusch/DKFZ

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Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.

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Dr. Sibylle Kohlstädt Deutsches Krebsforschungszentrum

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