Verlagert
Mithilfe der Genomsequenzierung von Tumorgeweben haben die Wissenschaftler eine Umlagerung von genetischem Material, eine sogenannte Translokation, zwischen den Chromosomen 4 und 9 identifiziert, die in allen untersuchten Azinuszellkarzinomen vorlag.
Typischerweise führen solche Translokationen in Tumoren zur Neukombination von Genen, die dann neue onkogene, also krebsauslösende, Eigenschaften erwerben. Beim Azinuszellkarzinom führt die jetzt entdeckte Translokation hingegen dazu, dass regulatorische Elemente der DNA von einer aktiven Chromosomenregion zu einem normalerweise inaktiven Onkogen verlagert werden.
Bei dieser ungewöhnlichen Form der Translokation stammen die regulatorischen Elemente aus einem Bereich, in dem Gene liegen, die Funktionen im Speichelsekret ausüben und die deswegen in Speicheldrüsenzellen hoch aktiv sind.
Durch die chromosomale Umlagerung gelangen diese stark aktiven regulatorischen Elemente in räumliche Nähe zu dem normalerweise nach Abschluss der Embryonalentwicklung abgeschalteten Gen NR4A3.
Dieses wird durch die Aktivierungssignale der regulatorischen Elemente beim Azinuszellkarzinom wieder angeschaltet. NR4A3 reguliert als Transkriptionsfaktor die Aktivität von zahlreichen weiteren Genen, die dann Zellteilung und -wachstum und damit auch das Tumorwachstum auslösen.
Die Forscher konnten diesen Mechanismus durch molekulare Untersuchungen von Tumorgeweben und funktionelle Analysen an eigens hergestellten Zellkulturmodellen belegen.
„Mit den neuen Erkenntnissen können wir Azinuszellkarzinome der Speicheldrüse besser diagnostizieren und die biologischen Grundlagen der Tumorentstehung verstehen. Wir hoffen langfristig, ausgehend von diesen neuen Erkenntnissen, auch neue Therapieansätze für die Patienten entwickeln zu können“, erklärt Prof. Dr. Florian Haller vom Institut für Pathologie der FAU.
Ähnliche genetische Umlagerungen von regulatorischen Elementen der DNA als Entstehungsursachen von bösartigen Tumoren wurden kürzlich auch bei einer Form von kindlichen Hirntumoren beobachtet und dort als „Enhancer-Hijacking“ bezeichnet.
Kooperationen über Institutsgrenzen hinweg
Dass die Forscher die molekularen Ursachen jetzt klären konnten, liegt dabei in der Kooperation mit anderen Instituten begründet, wie Prof. Dr._Stefan Wiemann vom Deutschen Krebsforschungszentrum, betont:
„Unsere Studie zeigt, wie erfolgreich die Verknüpfung von molekularen und funktionellen Untersuchungen klinische Fragestellungen in einer engen wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen großen Forschungsinstituten und klinischen Einrichtungen beantworten kann.“
Prof. Dr. Abbas Agaimy, Institut für Pathologie der FAU, fügt hinzu: „Die Ergebnisse dieser Studie verdeutlichen eindrucksvoll den Zusammenhang zwischen histomorphologischer Tumorerscheinung, also dem Phänotyp, und der zugrundeliegenden genetischen Veränderung, dem Genotyp. Bei der relativen Seltenheit von Speicheldrüsentumoren war diese Studie nur in Zusammenarbeit mit einer großen HNO-Klinik mit überregionalem exzellentem Ruf und hohen Patientenzahlen möglich.“
Und auch Matthias Bieg vom Berlin Institute of Health (BIH) sagt: „Diese Studie zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, Forscher aus verschiedenen Bereichen zusammenzubringen. Nur durch die fruchtbare Kooperation konnten wir die bestmöglichen Ergebnisse aus den zugrundeliegenden Daten extrahieren. Wir haben in dieser interdisziplinären Zusammenarbeit gezeigt, dass die Umlagerung von epigenetischen Kontrollelementen einen großen Einfluss auf die Entstehung von Tumoren haben kann.“
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Florian Haller
Tel.: 09131/85-25677
florian.haller@uk-erlangen.de
Die Ergebnisse dieser kooperativen Studie wurden heute in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht: 10.1038/s41467-018-08069-x
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