Was die Schutzkappen unserer DNA mit der Herzgesundheit zu tun haben
MHH-Forschungsteam entwickelt neues molekulares Werkzeug, um den Einfluss von Telomerase auf die Entwicklung von Herzmuskelzellen zu untersuchen.
Wenn wir altern, verändert sich unser Äußeres, die Haare werden grau, Falten machen sich breit. Und wir werden anfälliger für Erkrankungen. Ein Grund dafür liegt darin, dass sich unsere Telomere verkürzen. Diese liegen als Schutzkappen an den Enden der Chromosomen, den Trägern unserer Erbsubstanz. Bei jeder Zellteilung werden die Telomere kürzer, bis sie eine kritische Länge erreicht haben und die von ihnen beschützten Gene geschädigt werden könnten. Dann hört die Zelle auf sich zu teilen und das Gewebe altert. Die Länge der Telomere gilt daher als Marker für das biologische Alter eines Menschen. Ihre Verkürzung erhöht das Risiko für altersbedingte Krankheiten wie Alzheimer oder Krebs sowie für kardiovaskuläre Erkrankungen.
In Herzmuskelzellen, den sogenannten Kardiomyozyten, hängt die Telomerlänge stark mit der Leistungsfähigkeit des Herzens zusammen. Menschen mit kurzen Telomeren in den Herzmuskelzellen neigen beispielsweise stärker zu Herzschwäche. Es ist aber unklar, ob kurze Telomere die Ursache oder das Ergebnis der Krankheit sind. Dieses „Henne-Ei-Problem“ wollen Forschende um Professor Dr. Christian Bär lösen, Molekularbiologe am Institut für Molekulare und Translationale Therapietrategien der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Dabei sind sie nun einen wesentlichen Schritt vorangekommen. Sie haben ein neues, molekulares Werkzeug entwickelt, mit dessen Hilfe sie Stammzellen unterschiedlicher, genau definierter Telomerlängen herstellen und dann vergleichen können, wie fit die daraus entstehenden Herzmuskelzellen sind. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Cellular and Molecular Life Sciences“ veröffentlicht worden.
Steuerelement für Telomerlängen
„In dieser Studie haben wir humane, das heißt menschliche induzierte pluripotente Stammzellen verwendet, also sozusagen auf den Urzustand zurückprogrammierte Körperzellen“, erklärt Professor Bär. Diese „verjüngten“ hiPS-Zellen, die sich in nun wieder jedes menschliche Gewebe entwickeln können, bearbeiteten die Forschenden mit der Genschere CRISPR. Allerdings entfernten sie damit keine DNA aus den hiPS-Zellen, sondern fügten ein Steuerelement ein, das gezielt das Ablesen eines bestimmten Gens abschalten kann. Das molekulare Werkzeug regelt die Produktion von Telomerase, eines Enzyms, das neue DNA an das Ende des Telomers anfügt und es so verlängert. Dadurch behält die Zelle ihre Teilungsfähigkeit und altert nicht. Bei Erwachsenen ist Telomerase normalerweise abgeschaltet und nur noch in wenigen Nischen aktiv, etwa bei den blutbildenden Stammzellen im Knochenmark. Mit Hilfe der modifizierten Genschere konnten die Forschenden sogenannte humane CRISPR-Interferenz-Stammzellen (CRISPR ihiPSC) mit genau definierten Telomerverkürzungen erzeugen, aus denen sich wiederum Herzmuskelzellen mit entsprechend kürzeren oder längeren Telomeren entwickelten.
Telomerase kann das Herz schützen
„Mit diesen CRISPR ihiPSC-abgeleiteten Kardiomyozyten konnten wir die die Auswirkungen der Telomerlänge auf die Entwicklung der Herzmuskelzellen und ihre Reaktion auf Stressreize untersuchen“, betont Professor Bär, der schon seit mehr als zehn Jahren zu den Schutzkappen unserer DNA forscht und die Arbeitsgruppe „The non-coding genome in cardiac ageing and regeneration” leitet. „Wir haben festgestellt, dass sich nur aus ihiPSC mit langen Telomeren voll funktionsfähige Herzmuskelzellen entwickelten“, stellt Dr. Shambhabi Chatterjee fest, Wissenschaftlerin in der Arbeitsgruppe und Erstautorin der Studie. „Eine schlechte Funktion der Kardiomyozyten und eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Stress stand also in direktem Zusammenhang mit dem Ausmaß der Telomerverkürzung.“
In früheren Arbeiten haben Professor Bär und seine Mitarbeiterin Dr. Chatterjee bereits herausgefunden, dass ein Wiederanschalten der Telomerase gegen altersbedingte Erkrankungen helfen und das Herz schützen kann – zumindest in Zellkultur und im Tiermodell. „Wir haben die systemische Reaktivierung der Telomerase untersucht, indem wir sogenannte Gentaxis mit dem Telomerase-Gen beladen und in Mäusezellen geschleust haben“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Das verlängerte auch im Mausmodell die Lebensspanne der Tiere deutlich, sogar bei bereits erwachsenen und gealterten Mäusen und wirkte sich selbst nach Herzinfarkt noch schützend für das Herz aus.“
Verlässlichere Bewertung von Herz-Medikamenten
Das in dieser Studie entwickelte neuartige Werkzeug zur Änderung der Telomerlänge bietet die Möglichkeit, damit zusammenhängende Krankheiten wie Herzschwäche in Zellkultur nachzubilden und standardisiert zu untersuchen. „Bislang waren dafür Gewebeproben aus dem Herzen notwendig, die sich aber von Mensch zu Mensch hinsichtlich der Telomerlängen stark unterscheiden können und daher nur bedingt vergleichbar sind“, stellt Professor Bär fest. Ein weiterer Vorteil der Testplattform sei, dass sich damit genetisch völlig gleichartige aus CRISPR ihiPSC abgeleitete Kardiomyozyten mit langen und kurzen Telomeren herstellen lassen. Diese könnten zum Beispiel beim systematischen Testen von Herz-Medikamenten als Kontrollen verwendet werden und so zu einer verlässlicheren Bewertung der Medikamente beitragen. Außerdem ist er überzeugt, dass Therapien, die an der Aufrechterhaltung der Telomerlänge beteiligt sind, die Herz-Kreislauf-Funktion von Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz verbessern könnten. „Mit unserer Testplattform wollen wir nun die Frage klären, wer nun die Henne und wer das Ei ist, ob die Gabe von Telomerase vielleicht schon vorbeugend wirksam gegen Herzinsuffizienz sein könnte und ab welchem Zeitpunkt wir der Telomerverkürzung in den Herzmuskelzellen gezielt entgegensteuern sollten.“
SERVICE:
Die Originalarbeit „Telomerase is essential for cardiac differentiation and sustained metabolism of human cardiomyocytes” finden Sie unter: https://link.springer.com/article/10.1007/s00018-024-05239-7
Weitere Informationen erhalten Sie bei Professor Dr. Christian Bär, baer.christian@mh-hannover.de.
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