Wie das Gehirn Ereignisse vorhersagt

Die Reaktionszeit auf ein stochastisches Ereignis ist proportional zum Kehrwert seiner Wahrscheinlichkeit (Abbildung: Georgios Michalareas)

Wie lernt das Gehirn, wann ein Ereignis wahrscheinlicher eintritt, und wie stellt es Wahrscheinlichkeiten über einen längeren Zeitraum hinweg dar?

Der bisher wichtigste Mechanismus war die Berechnung der Hazard Rate: der Wahrscheinlichkeit mit der ein Ereignis kurz bevorsteht – vorausgesetzt, es ist noch nicht geschehen.

In ihrem Artikel in der Zeitschrift Nature Communications zeigen Matthias Grabenhorst, Georgios Michalareas und weitere Forscher anhand von Verhaltensexperimenten, dass das Gehirn stattdessen eine viel einfachere Berechnung verwendet: Es schätzt lediglich den Kehrwert der Wahrscheinlichkeit.

Dies ist eine fundamentale Erkenntnis, die ein kanonisches Prinzip der Modellierung von Wahrscheinlichkeiten im Gehirn beleuchtet. Die enge Beziehung zwischen der reziproken Wahrscheinlichkeit und dem Shanon-Informationsgehalt (auch Surprisal genannt) deutet darauf hin, dass das Gehirn Wahrscheinlichkeiten tatsächlich als Information abbildet.

„Die Wahrscheinlichkeit selbst ist der grundlegende Parameter, den das Gehirn verwendet“, fasst Matthias Grabenhorst zusammen.

Ein zweites wichtiges Ergebnis dieser Arbeit betrifft die Unsicherheit bei der Schätzung der verstrichenen Zeit. Bisherige Forschungen haben gezeigt, dass die Unsicherheit der Schätzung des Gehirns umso größer ist, je länger die verstrichene Zeit ist.

Grabenhorst, Michalareas und Kollegen zeigen auf, dass dieses Prinzip der monoton steigenden Unsicherheit mit der verstrichenen Zeit nicht immer gilt, sondern dass es tatsächlich die Wahrscheinlichkeitsverteilung von Ereignissen über einen Zeitraum ist, die bestimmt, wann die Unsicherheit am geringsten oder am größten ist.

Schließlich zeigen die Autoren der Studie, dass die zuvorgenannten Ergebnisse in drei verschiedenen Sinnesmodalitäten gelten: beim Sehen, Hören und in der Somatosensorik.

Diese Gemeinsamkeit deutet entweder auf einen zentralen Mechanismus hin, der von allen drei Modalitäten genutzt wird, oder auf einen kanonischen peripheren Mechanismus, der in multiplen sensorischen Bereichen des Gehirns eingesetzt wird.

Dr. med. Matthias Grabenhorst
+49 69 8300479-340
matthias.grabenhorst@ae.mpg.de

Grabenhorst, M., Michalareas, G., Maloney, L. T., & Poeppel, D. (2019). The anticipation of events in time. Nature Communications, 10(1). doi:10.1038/s41467-019-13849-0

Media Contact

Marilena Hoff Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik

Weitere Informationen:

http://www.ae.mpg.de/

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Medizin Gesundheit

Dieser Fachbereich fasst die Vielzahl der medizinischen Fachrichtungen aus dem Bereich der Humanmedizin zusammen.

Unter anderem finden Sie hier Berichte aus den Teilbereichen: Anästhesiologie, Anatomie, Chirurgie, Humangenetik, Hygiene und Umweltmedizin, Innere Medizin, Neurologie, Pharmakologie, Physiologie, Urologie oder Zahnmedizin.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

KI-gestützte Interaktion im Fahrzeug

Forschungsprojekt KARLI stellt neue Ansätze für eine KI-gestützte Interaktion im Fahrzeug vor. Rund 150 Teilnehmende aus Wissenschaft, Industrie, Politik sowie Presse haben am 18. September 2024 in der ARENA2036 bei…

Vielversprechender Wirkstoff gegen tödlichen Hirntumor

… ist ein alter Bekannter. Ein Antidepressivum gegen Hirntumor? Was überraschend klingt, könnte Realität werden. Denn ETH-Forschende zeigen mit einem von ihnen entwickelten Wirkstoff-Screening, dass ein solches Medikament Zellen des…

Dekontaminationsrobotik live erleben

ROBDEKON-Partizipationsveranstaltung am 23./24.10. in Bremen. Mit KI-basierter Robotik Menschen bei Arbeiten in verseuchter Umgebung oder beim Hantieren mit Gefahrgütern entlasten: Daran arbeitet das Kompetenzzentrum „Roboter für die Dekontamination in menschenfeindlichen…

Partner & Förderer