Wenn der Zelle die nötige Energie fehlt – Gendefekt löst schwere kindliche Gehirnerkrankung aus
Wie in der Juni-Ausgabe des Fachmagazins „Nature Genetics“ berichtet, wird diese mitochondriale Form der Leukenzephalopathie durch einen Defekt in einem Gen ausgelöst, das die Bauanleitung für ein bislang unbekanntes Protein enthält.
Die Funktion dieses Moleküls: Es ist für den Zusammenbau und die Funktion der verschiedenen Untereinheiten des Enzyms Succinat-Dehydrogenase, kurz SDH, verantwortlich. Die SDH selbst ist maßgeblich an der Energieerzeugung in den Zellen höherer Organismen zuständig. (Nature Genetics, Juni-Ausgabe)
Die Mitochondrien sind Bestandteile der Zellen höherer Organismen. Sie wandeln die Nahrungsenergie in das Molekül ATP um, das ist der wichtigste Energieträger des Körpers. Ist diese wichtige Funktion der Mitochondrien beeinträchtigt, können Krankheiten mit schweren Nebenwirkungen resultieren. Wie ein italienisch-deutsches Forscherteam unter der Mitwirkung von Ärzten und Wissenschaftlern des Friedrich-Baur-Instituts der Neurologischen Klinik an der LMU München sowie des Instituts für Humangenetik am Helmholtz Zentrum München zeigen konnte, gehört auch eine schwere Form der kindlichen Leukenzephalopathie dazu. Die von der seltenen Erkrankung betroffenen Kinder leiden meist schon in den ersten Lebensjahren unter schwersten körperlichen und geistigen Behinderungen. Sprechen und Laufen erlernen sie in der Regel nicht.
Bildgebende Verfahren der medizinischen Diagnostik zeigen in der weißen Substanz des Gehirns der Patienten ausgeprägte Veränderungen. „Seit ein paar Jahren ist bekannt, dass sich in den Gehirnen der Patienten Succinat, also das Salz der Bernsteinsäure, abnorm anreichert“, berichtet Professor Thomas Klopstock, einer der beteiligten LMU-Wissenschaftler. „Ursache hierfür ist eine verminderte Aktivität des Enzyms Succinat-Dehydrogenase, kurz SDH, was sich in verschiedenen Geweben dieser Patienten nachweisen lässt.“
Die Suche nach Gendefekten in den vier Untereinheiten der SDH verlief allerdings erfolglos. Andere Gene, die einen SDH-Defekt verursachen könnten, waren nicht bekannt. Eine vergleichende Analyse des Erbguts einer türkischstämmigen deutschen Familie und einer italienischen Familie, denen mehrere Betroffene angehören, brachte dann aber den Durchbruch. „Zunächst konnte der Genort und dann auch das für die Erkrankung verantwortliche Gen identifiziert werden“, sagt Klopstock. „Das bislang unbekannte Gen kodiert für einen Assemblierungsfaktor der SDH, er vermittelt also die korrekte Zusammensetzung und Funktion der SDH-Untereinheiten.“
Seit längerem wurde vermutet, dass ein derartiger Assemblierungsfaktor existieren müsse. Der Nachweis war bis jetzt aber in keinem Organismus gelungen. „Das Ergebnis zeigt also auch, dass die molekulare Analyse seltener Krankheitsbilder zur Beantwortung grundlegender biologischer Fragestellungen beitragen kann“, meint Klopstock. „Für die Patienten werden sich unsere Resultate zunächst nicht auswirken, weil ein Gendefekt nicht ohne Weiteres behoben werden kann. Allerdings ist der erste Schritt hin zu einer möglichen Therapie immer die Entschlüsselung der Ursache einer Krankheit.“
Professor Thomas Klopstock vom Friedrich-Baur-Institut, Neurologische Klinik der LMU, und Dr. Holger Prokisch vom Institut für Humangenetik des Helmholtz Zentrum München heben hervor, dass diese Arbeit auch ein Ergebnis der in den letzten Jahren gut entwickelten nationalen und internationalen Kooperation auf dem Gebiet der mitochondrialen Erkrankungen ist. Insbesondere wird seit Anfang 2009 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein deutsches Netzwerk für mitochondriale Erkrankungen (mitoNET) gefördert, das die Verbesserung von Forschung und Versorgung auf diesem Gebiet zum Ziel hat (www.mitoNET.org). (suwe)
Publikation:
„SDHAF1, encoding a LYR complex-II specific assembly factor, is mutated in SDH-defective infantile leukoencephalopathy“,
Daniele Ghezzi, Paola Goffrini, Graziell Uziel, Rita Horvath, Thomas Klopstock, Hanns Lochmüller, Pio D'Adamo, Paolo Gasparini, Tim M. Strom, Holger Prokisch, Federica Invernizzi, Ileana Ferrero & Massimo Zeviani,
Nature Genetics, Juni 2009
Ansprechpartner:
Professor Dr. med. Thomas Klopstock
Friedrich-Baur-Institut, Neurologische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München
Tel.: 089 / 5160 – 7474
Fax: 089 / 5160 – 7402
E-Mail: thomas.klopstock@med.uni-muenchen.de
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