Produktion von beschichteten Gefäßprothesen
Das Stuttgarter Biotechnologieunternehmen IVB IN VITRO BIOTEC GmbH produziert ab sofort zellbeschichtete Gefäßprothesen. Die Beschichtung der Prothesen mit patienteneigenen Endothelzellen (Gefäßwandzellen) verhindert eine Aktivierung des Blutgerinnungssystems, die erneut zum Verschluss des Gefäßabschnittes führen würde. Die Herstellung, die im eigenen Reinraumlabor erfolgt, ist weltweit einzigartig. Auftraggeber ist das Berliner Unternehmen VasoTissue Technologies GmbH.
In Industrieländern ist der Herzinfarkt die häufigste Todesursache. Er entsteht durch eine starke Einengung der Herzkranzgefäße – die so genannte Arteriosklerose oder Arterienverkalkung. Als Behandlungsmethode hat sich seit Jahrzehnten die Bypassoperation bewährt. Den Patienten werden Venen oder Arterien an einer anderen Stelle des Körpers entnommen und zur Überbrückung der Engstelle verwendet. Bei bestimmten Patienten ist das jedoch nicht möglich. Eine Alternative sind Gefäßprothesen. Diese Schläuche aus Kunststoff werden vom Blutgerinnungssystem aber als Fremdkörper oder Gefäßwanddefekt interpretiert, was wiederum zu einer Aktivierung der Blutgerinnung und letztendlich zum erneuten Verschluss führen kann. Seit etwa zwei Jahrzehnten versucht man vergeblich, dieses Problem durch die Auskleidung der inneren Kunststoffoberfläche mit körpereigenen Endothelzellen zu lösen und dadurch die Prothesenoberfläche vor dem Gerinnungssystem zu "verbergen". Eine dauerhafte Beschichtung der Prothesen scheiterte bislang, da durch die Blutströmung die Gefäßwand-Beschichtung immer wieder ausgeschwemmt wurde.
Die VasoTissue Technologies GmbH hat nun erstmals ein Verfahren entwickelt, das dies verhindert. Dabei werden die Zellen der Prothesenbeschichtung entsprechend "trainiert". Aus einem Venenstück des Patienten isolieren die Wissenschaftler der IVB IN VITRO BIOTEC GmbH die so genannten Endothelzellen, die dann vermehrt und durch gleichmäßige Sedimentation zunächst auf die Gefäßprothese übertragen werden. In einem biotechnologischen Verfahren erfolgt dann eine Art Training für die Zellen. Dazu wird die Prothese in einen künstlichen Blutkreislauf eingebaut und der Flüssigkeitsstrom gezielt hochgefahren. Die Zellen bilden so vermehrt Adhäsionsmoleküle aus und können sich optimal an der Prothese verankern. Durch die mit körpereigenen Zellen beschichtete Prothese wird dem Gerinnungssystem eine intakte Gefäßwand präsentiert und damit die Gefahr einer erneuten Verstopfung des Gefäßes vermieden.
Auftraggeber dieses weltweit einzigartigen Verfahrens ist die VasoTissue Technologies GmbH. Das Berliner Unternehmen hat die Gefäßprothesen entwickelt und durch bereits erteilte Patente international geschützt. Für die Produktion benötigt sie aber einen Partner, der nicht nur über Erfahrungen im Bereich Zellkultur, Tissue Engineering, Molekularbiologie und Analytik verfügt, sondern auch über die notwendigen zugelassenen Labor-Räumlichkeiten. Für die Produktion der als Arzneimittel eingestuften beschichteten Prothesen gelten strengste Richtlinien und Auflagen: Arzneimittelgesetz, pharmakologische Betriebsverordnung, GMP-Richtlinien – alles muss exakt eingehalten werden. Allein der Transport des fertigen Produkts vom Reinraum-Labor zum Operationstisch zeigt, wie aufwändig der fachgerechte Umgang mit dem Material ist. Im Labor erhält die Prothese eine Primär-, Sekundär- und Tertiärverpackung. In dieser Verpackung wird sie von einem Kurier bis zur Klinikpforte geliefert, am OP-Tisch darf die sterile Sekundärverpackung geöffnet werden. Die Primärverpackung, die absolut steril sein muss, wird erst vom Chirurgen entfernt.
Um absolute Sterilität zu gewährleisten, benötigt die IVB IN VITRO BIOTEC GmbH einen Hightech-Reinraum, der nicht nur steril, sondern frei von jeglichen Partikeln ist. Dies wird durch eine hochtechnologische Klimatechnik mit speziellen Filtern und einem 40-fachen Luftwechsel in der Minute gewährleistet. Die geschäftsführende Gesellschafterin Dr. Marion Mappes beschreibt den Alltag im GMP-Labor (Good Manufacturing Practice): "Die Mitarbeiter tragen spezielle Reinraumkleidung, die sogar das Gesicht bedeckt, denn auch die Augenbrauen und die Haut sondern Partikel ab, die nicht da sein dürfen."
Dass die IVB die Reinräume und eine Herstellerlaubnis so zügig erlangte, ist auch den guten Verbindungen in der BioRegion STERN zu verdanken. Joachim Wilke von der i.con. innovation GmbH erkannte die Chancen, die in einer Zusammenarbeit der zwei Biotechnologieunternehmen VasoTissue Technologies GmbH und IVB IN VITRO BIOTEC GmbH steckten. Der Geschäftsführer der Stuttgarter Unternehmensberatung, die vor allem junge Technologieunternehmen aus der Lifescience-Branche in der Frühphase ihrer Unternehmensentwicklung und bei der Akquisition von Beteiligungskapital unterstützt, brachte die Unternehmen zusammen. Die Buck-Chemie GmbH als ein Anteilseigner der IVB IN VITRO BIOTEC GmbH war von dem Potenzial der Verbindung sofort überzeugt und investierte in den Aufbau des GMP-Labors.
Auch die Stabsstelle für Arzneimittelsicherheit des Regierungspräsidiums in Tübingen war von den räumlichen, technischen und fachlichen Gegebenheiten der IVB IN VITRO BIOTEC GmbH sehr angetan und zeigte sich ausgesprochen kooperativ. "Wir haben alles geprüft, um die Anforderungen, die an uns gestellt wurden, zu erfüllen", berichtet Dr. Mappes. "Das Regierungspräsidium hat uns die Herstellerlaubnis nach kurzer Zeit erteilt. Man hat erkannt, dass ein junges Unternehmen nicht Monate warten kann, bis es eine Genehmigung erhält. Hilfreich war bei diesem Genehmigungsverfahren die Akkreditierung der IVB IN VITRO BIOTEC GmbH als Prüflabor und die bereits bestehenden Zulassungen in den Bereichen Gentechnik, Infektionsschutz und Bundestierseuchenschutz durch die Behörden der Regierungspräsidien Tübingen und Stuttgart. Das Qualitätsmanagement der IVB IN VITRO BIOTEC GmbH hat die zuständigen Stellen schließlich überzeugt." Auch BioRegio STERN-Geschäftsführer Dr. Klaus Eichenberg kennt die Herausforderungen, mit denen junge Biotech-Unternehmen konfrontiert sind. Bereits 2004 gab er eine Studie zur "Wirtschaftlichen Entwicklung und Zukunft der Regenerativen Medizin in Deutschland" in Auftrag. "Die Regenerative Medizin wird umso schneller an wirtschaftlicher Bedeutung gewinnen, je entschiedener die offene Kommunikation gefördert wird. Trotz der vergleichsweise ungünstigen Rahmenbedingungen in Deutschland, nimmt es eine weltweite Spitzenposition im Bereich des Tissue Engineering ein."
Die Geschäftsführerin der IVB ist vom Erfolg überzeugt: "Der Bedarf ist da. Wenn bekannt wird, was wir machen, wird das eine Lawine auslösen. Wir hoffen, dass die Nachfrage stetig steigt, nicht nur in Deutschland, sondern europaweit." Dass dann die derzeitige Belegschaft von 13 Personen aufgestockt werden muss, ist klar: "Sobald das Projekt optimal läuft und mehr Aufträge kommen, muss ich neue Mitarbeiter einstellen." Ein Grund sind auch die strengen GMP-Anforderungen: "Wenn die Prothese eines Patienten das Labor verlässt, muss der Reinraum-Arbeitsplatz komplett dekontaminiert werden. Auch das Personal muss an diesem Tag ausgetauscht werden. Ein zweites Team arbeitet dann mit den Zellen eines neuen Patienten."
Ende Juni will das IVB-Team dem ersten Patienten Zellmaterial entnehmen. Drei Wochen später wird ihm die beschichtete Prothese eingesetzt. Dr. Manrico Paulitschke weiß, was das für den Patienten bedeutet: "In dieser Phase des Wirksamkeitsnachweises werden nur Patienten behandelt, bei denen die herkömmlichen Methoden nicht mehr funktionieren, also Patienten, denen keine Arterien oder Venen mehr entnommen werden können", sagt der Mediziner und Geschäftsführer der VasoTissue Technologies. "Für diese Patienten ist es die einzige Lösung." Das Verfahren ist zwar neu, das Risiko jedoch überschaubar: "Die einzige Gefahr besteht darin, dass sich die Zellen doch von der Prothesenwand lösen", erklärt Dr. Paulitschke. Der grundsätzliche Wirksamkeitsnachweis ist erst erbracht, wenn zehn Patienten erfolgreich behandelt wurden. In etwa sechs Monaten rechnet das Team mit den ersten Ergebnissen. Noch wird die Behandlung von keiner Krankenkasse bezahlt, aber Dr. Paulitschke ist optimistisch: "Wenn die ersten Patienten erfolgreich behandelt wurden, ist das der erste aber entscheidende Schritt auf dem langen Weg zur Kassenzulassung."
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