Schulterprothese mit eingebautem Mikro-Sender misst erstmals Gelenkbelastung
Autolenken belastet stärker als Getränkekasten-Tragen
Der Charité ist es erstmalig gelungen, Belastungen des Schultergelenks exakt zu vermessen. Möglich wurde dieser wissenschaftliche Durchbruch durch ein künstliches Schultergelenk, das dank eingebauter Mikro-Elektronik sowohl Kräfte als auch Drehmomente im Schultergelenk berechnen und drahtlos nach außen funken kann. Das sendende Mess-Implantat ist eine Neuentwicklung des Biomechanik-Labors der Charité Campus Benjamin Franklin und wurde im Mai 2005 zum ersten Mal bei einem Patienten eingesetzt – bei Wolfgang Schubert (69) aus Berlin-Pankow, der seit fünf Jahren zunehmend unter Schultergelenk-Arthrose litt. "Jetzt können wir erforschen, welche Kräfte tatsächlich auf das menschliche Schultergelenk wirken", sagt Professor Dr. Ing. Georg Bergmann, "Alle theoretischen Abschätzungen waren bisher sehr unsicher, weil bei Schulterbewegungen viele verschiedene Muskeln beteiligt sind."
Zur Messung trägt Wolfgang Schubert eine Magnetfeldspule um den Oberarm, sie erzeugt die für die Messung nötige elektrische Energie. Die Übungen und Bewegungen des Studienpatienten werden auf Video aufgezeichnet, die Belastungen sind zugleich auf einem Monitor sichtbar. "Auf diese Weise können wir Aktionen mit besonders hohen Kräftebelastungen gezielt analysieren", sagt Georg Bergmann.
Das sind häufig Alltagsaktivitäten, wie das Biomechanik-Labor überraschend feststellte. So treten beispielsweise bei der Krankengymnastik typische Kräfte von maximal 50 Prozent des Körpergewichts im Schultergelenk auf. Werte, die von alltäglichen Handreichungen weit übertroffen werden: Haarekämmen löst eine Belastung von 70 Prozent aus, beim Anheben einer vollen Kaffeekanne mit gestrecktem Arm wirken 100 Prozent des Körpergewichts, eine schwergängige Autolenkung verursacht sogar Lasten von bis zu 130 Prozent. Demgegenüber beobachten die Forscher geringe Gelenkbelastungen, wo der unvoreingenommene Betrachter hohe Kräfte erwarten würde: Wer einen 10 Kilogramm schweren Einkaufskorb oder Getränkekasten trägt, belastet das Gelenk nur 15 Prozent seines Körpergewichts. "Diese Erkenntnisse werden großen Einfluss auf die Physiotherapie haben und zur Revision einiger Hypothesen führen", so Georg Bergmann. "Wir wollen unsere Daten deshalb auch für Ärzte, Patienten und Physiotherapeuten ins Internet stellen."
Wichtige Erkenntnisse verspricht sich auch Professor Dr. Ulrich Weber, Direktor der Klinik für Orthopädie an der Charité Campus Benjamin Franklin. "Fast jeder Mensch leidet im Alter unter schmerzhafter Schultersteifheit; trotzdem wissen wir wenig über die Entstehung und Vermeidung. Von den Messungen erwarte ich mir Aufschluss darüber", so Ulrich Weber. Ein weiteres Ziel sei, die Lockerungsraten bei den Gelenkpfannen-Prothesen am Schulterblatt durch eine verbesserte Verankerung zu senken. "Wegen der hohen Lockerungsraten implantieren wir ja in sehr vielen Fällen nur Halbprothesen – wir ersetzen also die Gelenkfläche am Oberarmknochen, verzichten aber auf die dazugehörige künstliche Gelenkpfanne am Schulterblatt. Das könnte sich künftig durch eine Verbesserung der Verankerung ändern."
Weitere Informationen über das Biomechanik-Labor unter www.biomechanik.de.
Kontakt:
Professor Dr. Ing. Georg Bergmann
Charité – Universitätsmedizin Berlin, Leiter des Biomechanik-Labors am Campus Benjamin Franklin
Telefon: 030 – 8445 4731, georg.bergmann@charite.de
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