Das "geflickte" Herz. Künstliches Herzgewebe auf dem geschädigten Herzen schlägt mit
Wissenschaftler der Klinik für Herzchirurgie (Herzzentrums der Universität Leipzig) und der Universität Hamburg (Institut für Pharmakologie) bewiesen die elektrische Integration künstlichen Herzgewebes
Wenn ein Herz einen Infarkt erlitten hat, geht der betroffene Teil des Gewebes unter, das heißt er beteiligt sich nicht mehr an den Kontraktionen des Herzmuskels. Diese inaktive Stelle kann mit künstlichem Herzgewebe (Engineered heart tissue / EHT) überbrückt werden. Doch inwieweit kann EHT so in das Herz einheilen, dass es dessen Kontraktionen mit vollzieht und sich elektrisch integriert?
Antwort auf diese Frage gab kürzlich Prof. Dr. Stefan Dhein in der renommierten Zeitschrift "Nature Medicine" anhand seiner Untersuchungen an Ratten. Der Pharmakologe und Toxikologe ist Forschungsleiter an der Klinik für Herzchirurgie des Herzzentrums der Universität Leipzig und arbeitet gemeinsam mit dem Institut für Pharmakologie der Universität Hamburg an dieser Thematik.
Spontan kontrahierendes Gewebe aus Zellen des Rattenherzens
In dem Film, den Prof. Dhein auf seinem PC öffnet, bewegt sich ein winziger, einem Gummi gleichender Ring rhythmisch zuckend in der Nährlösung einer Petrischale. "Dieses spontan kontrahierende Gewebe ist durch Zellkultur aus einzelnen Zellen des neugeborenen Rattenherzens in Hamburg gezüchtet worden", erläutert Dhein. "Mehrere dieser Ringe werden dann sternförmig zusammengebunden und auch diese entstandene Fläche pulsiert. Und die wird bei erwachsenen, an einem künstlich ausgelösten Infarkt ’erkrankten’ Ratten wie ein Flicken über die geschädigte Stelle genäht."
Elektrische Reize breiten sich über die Oberfläche des Muskels aus
Nun allerdings steht die Frage, ob dieses Gewebe, wenn es auf die untergegangene Stelle des Herzmuskels gepflanzt wird, ein Eigenleben entwickelt und das Herz stört oder ob es synchronisierbar ist? Die Transplantation von Skelettmuskulaturzellen als Herzgewebeersatz verursachte nämlich häufig tödliche Herz-Rhythmus-Störungen. Um zu untersuchen, inwieweit sich das künstliche Gewebe integriert, wurden die Ratten vier Wochen nach der Implantation getötet, deren Herzen aber in Nährlösung am Schlagen gehalten. Über vier winzige Platten bedecken 256 Elektroden fast die gesamte Herzoberfläche, auch die mit dem künstlichen Gewebe überzogene Stelle. Das so mögliche umfassende 256-Kanal-EKG maß, wie die das Herz zum Schlagen treibenden elektrischen Reize sich über die Oberfläche des Muskels ausbreiteten. Man kann die Herzerregung auf der gesamten Herzoberfläche dann wie in einem Film nachverfolgen.
Künstliches Herzgewebe nimmt die Eigenschaften des normalen Herzgewebes an.
Die Messergebnisse von Prof. Dhein belegen, dass das EHT sich in die das Herz überziehende Wellenfront einfügt und die elektrischen Signale nahezu unverändert weiterleitet. "Nun allerdings stand noch die Frage, ob möglicherweise Gewebe, das irgendwo tief unter dem EHT noch funktioniert, für die elektrischen Signale verantwortlich ist, sozusagen also "die künstliche Auflage durchstrahlt". Dazu haben wir das EHT vom Restgewebe entkoppelt. Indem dann keine Erregung mehr zu sehen war, konnten wir somit nachweisen, dass die Reizleitung zuvor tatsächlich über das EHT erfolgte. Unter normalen Bedingungen also nimmt das EHT die Eigenschaften des ganz normalen Herzgewebes an. Es nimmt Reize auf und leitet sie weiter. Auch wenn man nur das EHT reizt, leitet es das Signal an das natürliche Gewebe; wir sprechen von bidirektionaler Leitfähigkeit. Mehr noch: Wir konnten auch nachweisen, dass die Geschwindigkeit der Reizweiterleitung beim EHZ genauso wie im natürlichen Gewebe in der Längsrichtung der Muskulatur schneller ist als quer zu den Muskelfasern, in einem dem natürlich gewachsenen (umgebenden) Herzen ähnlichen Verhältnis."
Therapeutischer Einsatz lässt noch auf sich warten
Auf eine baldige Anwendung dieser Erkenntnisse in der Humanmedizin kann dennoch niemand hoffen. Zum einen, weil selbst bei den Versuchen an den Ratten noch viele Fragen offen sind. So untersuchen Prof. Dhein und seine Hamburger Kollegen derzeit, wie sich das künstliche Herzgewebe entwickelt, wenn es länger als die bisher untersuchten vier Wochen auf dem Herzen liegt. Möglicherweise besteht die Gefahr der Vernarbung und damit der Funktionsaufgabe.
Zum andern sind für den Einsatz am Menschen einige Ansatzpunkte nicht möglich. "Aus ethischen Gründen kommen embryonale Stammzellen oder Herzmuskelzellen für die Gewebezucht nicht in Frage", erläutert Prof. Dhein. "Wir müssen also nach einer anderen Zellquelle suchen. Ob die Stammzellforschung hier irgendwann nützlich sein könnte, ist noch unklar. Vorraussetzung wäre die Züchtung von Herzmuskelzellen aus Stammzellen des Erwachsenen, was allerdings auch den Vorteil der fehlenden Immunogenität hätte. Das menschliche EHT müsste allerdings etwas komplizierter gebaut sein. Bei einer Ratte kommen wir mit wenigen Quadratmillimetern aus. Um das untergegangene Areal eines Menschenherzen zu überdecken, braucht man Quadratzentimeter – und die könnten wahrscheinlich ohne Blutgefäße nicht leben, die auch noch an das Gefäßsystem angeschlossen werden müssten. Es dauert einige Zeit bis sich neue Gefäße bilden, und dies wäre bei großen EHT wahrscheinlich zu lang. Wir haben also mit dem Beweis der elektrischen Integration künstlichen Herzgewebes eine wegweisende Aussage treffen können, und die prinzipielle Machbarkeit dieser Herangehensweise bewiesen, stehen aber noch am Anfang dieses Weges in Bezug auf einen therapeutischen Einsatz", dämpft Prof. Dhein die Erwartungen.
Marlis Heinz
weitere Informationen:
Prof. Dr. med. Stefan Dhein
Telefon: 0341 865-1044
E-Mail: dhes@medizin.uni-leipzig.de
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