Bessere Versorgung des diabetischen Fußsyndroms
Eine mit Sensoren ausgestattete Orthese, sprachgesteuerte Smart Devices und eine IT-Plattform für die Behandelnden – diese Zutaten sollen Pflege und Behandlung von Patientinnen und Patienten mit diabetischem Fußsyndrom verbessern.
Im Projekt HIS4DiaPedes kooperieren Forschende der Hochschule Bielefeld (HSBI) aus dem Ingenieurwesen und der Gesundheitswissenschaft. Ziele sind unter anderem die Stärkung des Selbstmanagements der Betroffenen und die Bereitstellung von hilfreichen Gesundheitsdaten für die behandelnden Berufsgruppen.
Jan Finke, Prof. Dr.-Ing. Martin Kohlhase und Prof. Dr. med. Rena Isabel Amelung (v.l.n.r.): Im Projekt HIS4DiaPedes kooperieren Forschende aus dem Ingenieurwesen und der Gesundheitswissenschaft. (c) Sarah Jonek/HSBI
Das Fußsyndrom ist eine der häufigsten Komplikationen bei Diabetes, die intensiv von Fachleuten aus den Bereichen Diabetologie, Inneren Medizin, Gefäßchirurgie, Ernährung, Wundpflege, Physiotherapie und auch von Orthopädischen Schuhmacherinnen und Schuhmachern betreut werden muss. „Diabetes ist mit rund sieben Millionen Betroffenen in Deutschland eine Volkskrankheit“, erklärt Prof. Dr. med. Rena Isabel Amelung, stellvertretende Leiterin des Projektes HIS4DiaPedes vom Fachbereich Gesundheit der Hochschule Bielefeld (HSBI). Das Projekt entwickelt zurzeit unter anderem eine Interaktionslösung auf einer IT-Plattform, um einen besseren Austausch aller Berufsgruppen, die mit dem diabetischen Fußsyndrom befasst sind, zu ermöglichen.
Chancen von Telemedizin nutzen, schnellere Reaktion bei Problemen ermöglichen
„Ein jahrelang erhöhter Blutzucker schädigt die Blutgefäße und die Nervenbahnen im gesamten Körper – vor allem in den Füßen“, erläutert die Medizinerin Amelung. „Wunden werden dort werden daher unter Umständen nicht frühzeitig behandelt und heilen nicht rasch wieder aus, sondern vergrößern sich sogar. Sie können zusätzlich durch Keime infiziert sein. Im allerschlimmsten Fall müssen Teile oder sogar der ganze Fuß amputiert werden.“ Das Projekt will einen Beitrag dafür leisten, dass es soweit gar nicht erst kommt. Dabei sollen neben der IT-Plattform eine intelligente Orthese, die bereits als Prototyp vorliegt, und der Einsatz von smarten Technologien helfen, eine engmaschige Monitoring des Gesundheitszustandes der Patienten und mehr Selbstmanagement zu ermöglichen.
„Während der Corona-Pandemie haben wir gesehen, wie wertvoll eine funktionierende kontaktlose Versorgung sein kann“, unterstreicht Projektleiter Prof. Dr.-Ing. Martin Kohlhase, der sein ingenieurwissenschaftliches Know-how einbringt. „Aber auch abgesehen von der Situation in der Pandemie – wenn wir an die mittlerweile ausgedünnte medizinische Versorgungssituation im ländlichen Raum denken, dann kommen dem Selbstmanagement der Patienten und der Telemedizin künftig eine erhöhte Bedeutung zu. Was das diabetische Fußsyndrom betrifft, so sind die Betroffenen oft in ihrer Mobilität eingeschränkt und können bei Fragen häufig nicht so schnell, wie es nötig wäre, eine Facharztpraxis aufsuchen und ihre Wunde fachgerecht versorgen lassen. Hier kommen wir ins Spiel…“
Denn: Frisch am Fuß operierte Diabetes-Patientinnen oder -Patienten werden meist mit einer Orthese ausgestattet. Das interdisziplinäre HSBI-Team hat dieses Medizinprodukt nun mit Sensoren ausgestattet. „So können wir auch von Ferne erkennen, ob die Orthese drückt oder ob sich der Druck des Körpergewichts gut verteilt“, berichtet Prof. Amelung. „Das ist wichtig, weil sich aus Druckstellen sehr schnell Wunden entwickeln können.“ Zusätzlich kann die Orthese im Alltag beispielsweise ein Warnsignal auslösen, damit der jeweilige Patient darauf aufmerksam gemacht wird, dass der Druck zu groß und eine Entlastung angezeigt ist.
Ein Ingenieur und eine Physiotherapeutin testen die schlaue Orthese
Das Mitschke Sanitätshaus aus Gütersloh, einer der Verbundpartner des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projektes, hat die Orthese zu Testzwecken bereits individuell an Fuß und Bein des wissenschaftlichen Mitarbeiters Jan Finke vom Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik der HSBI angepasst. Zusammen mit der Physiotherapeutin Carolin Huperz – ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin im HIS4DiaPedes-Projekt, aus dem Fachbereich Gesundheit – wertet er nun eine Vielzahl an Daten aus. Dazu gehören Kenngrößen für Durchblutung und Sensitivität der Füße, Temperatur- und Druckverläufe des Fußes. Damit nicht genug: „Die Daten geben uns zusätzlich interessante Aufschlüsse über das Bewegungsprofil“, berichtet Jan Finke. „Bewegung ist neben einer der Krankheit angemessenen Ernährung wichtig, um die Blutzuckerwerte in einem akzeptablen Rahmen zu halten. Durch die intelligente Orthese können wir feststellen, wie viele Schritte der oder die Trägerin zurücklegt. Ob sich die Patientin oder der Patient überhaupt bewegt oder nur auf dem Sofa liegt. Und wir können mitbekommen, ob die Orthese überhaupt getragen wird. Das ist in der Praxis nicht immer der Fall.“
Die mit Sensorik ausgestattete Orthese ist allerdings nur ein Baustein des im Juli 2022 gestarteten und auf drei Jahre angelegten Projekts HIS4DiaPedes. Ebenfalls werden im Rahmen Projekts Smart Devices getestet, zum Beispiel Smartwatches oder Smartphones, die verschiedene Gesundheitsdaten, wie Blutzucker, Puls und Blutdruck erfassen. „Weil ältere Menschen zum Teil nicht so technikaffin sind, ihre Sehfähigkeit beeinträchtigt oder ihnen der Umgang mit den kleinen Tasten eines Smartphones Schwierigkeiten bereiten könnte, arbeiten wir in diesem Bereich mit einer Sprachsteuerung, die unser Verbundpartner BitVox entwickelt“, erzählt Prof. Kohlhase den praxisorientierten Ansatz. So können die Patientinnen und Patienten interaktiv Informationen einsprechen und so eine Art Diabetes-Tagebuch führen. „Das kann Hinweise auf Ursachen geben, wenn sich beispielsweise das Krankheitsbild verändert“, ergänzt Prof. Amelung. Außerdem können mit dem Smartphone Fotos vom Fuß gemacht werden, die der Ärztin oder dem Arzt in einer Online-Sprechstunde bei der Beurteilung helfen, ob die Patientin oder der Patient persönlich vorstellig werden sollte. Die Daten laufen auf der Plattform zusammen und stehen allen Akteuren, die an der Behandlung beteiligt sind zur Verfügung – von der Medizin über Wundmanagement, Ernährungsberatung, Physiotherapie und Orthopädische Schuhmacherei – aber auch den Patientinnen und Patienten selber.
Wenn das Smart Phone erinnert: Stärkung des Selbstmanagements
An Diabetes erkrankte Menschen müssen täglich ihre Füße untersuchen, um rechtzeitig Druckstellen, Wunden oder kleinere Verletzungen zu erkennen. Die Ergebnisse des Fuß-Assessments können ebenfalls auf der Plattform hinterlegt werden. Wird ein Wert nicht eingetragen, soll das System eine Erinnerungsfunktion senden. „Derzeit arbeiten wir daran, dass eine KI die erhobenen Daten so klassifiziert, dass daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet und weitere Maßnahmen eingeleitet werden“, berichtet Jan Finke, der gemeinsam mit Caroline Huperz den Hauptteil bei der Datenerhebung stemmt. „Indem wir die Patientinnen und Patienten mit ins Boot holen, stärken wir das Selbstmanagement und unterstützen die engmaschige Versorgung des diabetischen Fußsyndroms“, so Prof. Kohlhase. Bei der Entwicklung docken die HSBI-Forschenden an ein Plattformkonzept vom Verbundkoordinator Connext Communication an. Das in Paderborn ansässige und bundesweit tätige IT-Unternehmen hat viel Erfahrung auf dem Gebiet der Digitalisierung in der Pflegebranche.
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit empfinden die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus den HSBI-Fachbereichen Gesundheit und Ingenieurwissenschaften und Mathematik als sehr bereichernd: „Wir Techniker schneiden ein Problem gern in Scheiben, während die Care-Menschen immer den ganzen Menschen im Blick haben“, so Kohlhase. „Und wir haben sehr viele Wünsche an die Technik“, ergänzt Amelung schmunzelnd. „Bestimmte technische Lösungen stellen wir uns allerdings manchmal einfacher vor, als sie sind“, so die Medizinerin. „Ja, das stimmt. Daten zu sammeln, um daraus Muster zu erkennen, ist nicht so trivial, wie es sich vielleicht anhört“, erwidert der Ingenieur. „Es ist sehr interessant, auf welche Ideen man kommt, wenn man ein Problem aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachtet“, resümiert Amelung. Eine Vertiefung der im Projekt aufgetauchten Fragen können sich die HSBI-Forschende gut vorstellen – beispielsweise im Bereich Prävention.
Weitere Informationen:
https://www.hsbi.de/presse/pressemitteilungen/hsbi-projekt-zur-besseren-versorgu… Pressemitteilung auf www.hsbi.de
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