Computer, bitte assistieren Sie!
An vielen Stellen der klinischen Medizin hält derzeit unter dem Stichwort „Big Data“ eine neue Form der computerbasierten Datenanalytik Einzug. So fallen bei den „Genomics“ und „Proteomics“ der molekularen Medizin regelmäßig große Datenmengen aus Gewebe- oder Blutproben an. Es ist Aufgabe moderner computergestützter Analysen, daraus medizinischen „Sinn“ abzuleiten, also klinische nützliche Vorhersagen zu treffen.
Radiomics: Keine Information der Bilddatensätze bleibt unberücksichtigt
In der Radiologie gibt es mit den „Radiomics“ einen analogen Ansatz: eine computergestützte Auswertung der Bilddaten einer radiologischen Untersuchung.
„Wir bestimmen schon lange regionale Parameter, zum Beispiel Mittelwerte in Bildregionen, die uns besonders interessieren. Radiomics ist die maximal denkbare Erweiterung dieser quantitativen Auswertung von Bilddaten. Es werden möglichst viele informative, quantitative Parameter bei der Bildanalyse berücksichtigt“, erläutert PD Dr. David Bonekamp vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.
Mit entsprechenden Algorithmen aus dem Bereich der Bioinformatik hinterlegt, lassen sich aus den Unmengen an Bilddaten Parameter extrahieren, die Auskunft über die bildgebende Beschaffenheit des untersuchten Gewebes geben, also dem bildgebenden Phänotyp – in Analogie zum Genotyp bei den „Genomics“.
Werden genomische und radiomische Parameter gleichzeitig berücksichtigt, lassen sich Aussagen zu genetischen Eigenschaften eines Gewebes nicht-invasiv treffen. Auch eine Abschätzung der Prognose eines Patienten oder des Therapieansprechens sind möglich. Man spricht dann von „Radiogenomics“ oder auch „Imaging Genomics“, ein Teilgebiet der Radiomics*.
Letztlich geht es bei den „Radiomics“ wie bei „Genomics“ oder „Proteomics“ darum, präzisere Diagnosen zu stellen, belastbarere Aussagen über die weitere Entwicklung einer Erkrankung zu treffen oder frühzeitig abzuschätzen, ob ein Patient auf eine Therapie anspricht oder nicht. Das Ziel ist also eine Verbesserung der „personalisierten Medizin“, bei der individuelle Faktoren jedes einzelnen Patienten besser berücksichtigt werden können, um die optimale Therapie auszuwählen.
Ziel ist eine präzisere, nicht-invasive Beschreibung von Tumoren
Wie solche Auswertungen konkret aussehen und wo derzeit noch die Grenzen dieser Methodik liegen, erläutert der Radiologe auf dem 98. Deutschen Röntgenkongress / 8. Gemeinsamen Kongress der DRG und ÖRG (24.-27. Mai 2017, Leipzig) anhand von Beispielen aus der Krebsdiagnostik. So ist es bei sehr bösartigen Hirntumoren, den Glioblastomen, gelungen, mit Hilfe radiomischer Analysen eine „Tumorsignatur“ zu entwickeln, die es erlaubt, besser als mit den sonst eingesetzten klinischen Parametern vorherzusagen, wie lange ein Patient überleben wird.
Eine weitere klinische Studie hat den Radiomics-Einsatz kürzlich in der Brustkrebsdiagnostik evaluiert. Die Frage war, ob sich mit radiomischen Analysen besser als bisher nicht-invasiv vorhersagen lässt, ob ein Brusttumor gut- oder bösartig ist. „In dieser Studie waren die Radiomics nicht besser als erfahrene Radiologen. Es handelte sich aber um eine kleine Studie mit relativ großer Streubreite. Bei künftigen Studien können die Ergebnisse also anders aussehen, da Big Data-Ansätze umso besser funktionieren, je mehr Daten in die Analysen einfließen“, so Bonekamp.
Big Data muss sich mit den aktuellen Standards messen
Auf lange Sicht, ist Bonekamp überzeugt, wird die Big Data-Analytik in der Medizin zu einer Art industrieller Revolution führen, vor allem dann, wenn die Bilddatensätze von artifiziellen neuronalen Netzwerken analysiert werden, die derzeit die vielversprechendsten Verfahren des maschinellen Lernens darstellen. Solche Netzwerke, denen keine Modelle mehr vorgegeben werden, sondern die Auswertungsmodelle auf Basis von tausenden von Datensätzen selbst entwickeln, sind in ihrer Funktionsweise dem menschlichen Gehirn nachempfunden. Sie sind schon heute die Weltmeister in Schach und dem chinesischen Strategiespiel Go. Sie werden in der Medizin bereits eingesetzt, um die Krebsversorgung zu personalisieren. Und sie werden auch die Radiologie verändern.
„Das wird aber nicht über Nacht kommen“, betont Bonekamp. „Die Radiomics stecken noch in den Kinderschuhen und werden sich langsam entwickeln.“ In die klinische Anwendung werden radiomische Ansätze nur dann kommen, wenn sie besser sind als jene Modelle, mit denen Ärzte schon heute arbeiten. Bonekamp nennt beispielhaft den Prostatakrebs: „Hier haben wir schon heute sehr gute radiologische Modelle. Die muss ein Big Data-Ansatz erst einmal schlagen. Es reicht nicht, besser zu sein als der Zufall. Die neuen Methoden müssen sich mit den aktuellen Standards messen.“
*Unter „Radiogenomics“ wird auch die Vorhersage der Strahlenempfindlichkeit eines Gewebes aus Bilddaten verstanden, so dass zur Vermeidung von Unklarheiten der Begriff „Imaging Genomics“ zu bevorzugen ist.
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