Herzgesundheit: Innovatives Verfahren zum Mitralklappenersatz
Interdisziplinäres Team aus Herzchirurgen und Kardiologen macht gute Erfahrungen mit einer Prothese, die über die Herzspitze implantiert wird.
Die Mitralklappe ist eine unserer vier Herzklappen. Schließt sie nicht richtig, sprechen Fachleute von Mitralklappeninsuffizienz. Die Erkrankung ist die zweithäufigste Herzklappenerkrankung im Erwachsenenalter. Je nach Ursache und Schweregrad gibt es verschiedene Behandlungsmethoden – von Medikamenten bis hin zur Reparatur oder zum Ersatz der Klappe. Ein innovatives Verfahren ist die Implantation einer Mitralklappen-Prothese über die Herzspitze. Es eignet sich besonders für Patientinnen und Patienten im fortgeschrittenen Alter oder mit Vorerkrankungen. Die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) wendet die neue Behandlungsmethode als einzige Klinik in der Region Hannover an. Umgesetzt wird das Verfahren von einem interdisziplinären Team der Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie, der Klinik für Kardiologie und Angiologie und der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin.
Rückstauung des Blutes in die Lunge
Herzklappen funktionieren wie Ventile: Sie sorgen dafür, dass der Herzmuskel das Blut in die richtige Richtung pumpt. So gelangt sauerstoffarmes Blut in die Lunge und sauerstoffreiches Blut aus der Lunge in den Körper. Die aus zwei Klappensegeln bestehende Mitralklappe befindet sich zwischen dem linken Vorhof und der linken Hauptkammer des Herzens. Ist sie undicht, kann es zu Rückstauungen des Blutes in die Lunge und auf Dauer zu schweren Schädigungen des Herzens und anderer Organe kommen. Um die Klappenfunktion wieder herzustellen, ist die sogenannte Herzklappenrekonstruktion, also eine Reparatur, eine Behandlungsoption. „Bei Patientinnen und Patienten, für die eine große Operation ein zu hohes Risiko darstellt, weil sie beispielsweise sehr alt oder vorerkrankt sind, hat sich in den vergangenen Jahren die katheterbasierte Reparatur bewährt“, erklärt Professor Dr. Tibor Kempf von der Klinik für Kardiologie und Angiologie. Ein Beispiel dafür ist das MitraClip-System. „Bei dem System wird mithilfe eines Katheters über die Leistenvene ein Clip eingesetzt, der das vordere mit dem hinteren Mitralsegel verbindet und so die Undichtigkeit reduziert“, erläutert Professor Kempf.
Klappenersatz statt Reparatur
Doch es gibt immer wieder Patientinnen und Patienten, für die das MitraClip-System nicht optimal ist. „Darüber hinaus besteht auf lange Sicht das Risiko, dass die Insuffizienz zurückkehrt“, berichtet Privatdozent Dr. Fabio Ius von der Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie. Hier setzt das innovative Verfahren an – die Implantation einer Mitralklappen-Prothese durch den transapikalen Zugang. „Transapikal“ bedeutet „über die Herzspitze“. Das interdisziplinäre MHH-Team arbeitet dabei mit der künstlichen Tendyne-Klappe der Firma Abbott, die im Vorhinein jeden Eingriff mithilfe patientenbezogener Bilddaten simuliert und plant. Den Zugang zum Herz schaffen die Experten über einen sechs bis acht Zentimeter langen Schnitt zwischen den Rippen unter dem linken Brustansatz. Über die Öffnung bringen sie mit einem sogenannten Introducer, ein spezielles Katheter-System, die Prothese durch die Herzspitze an ihren Zielort zwischen dem linken Vorhof und der linken Hauptkammer des Herzens. „Wir legen die Prothese in die alte Mitralklappe und öffnen sie dort. Wenn die optimale Position erreicht ist und die neue Klappe gut arbeitet, können wir den Introducer wieder entfernen“, erklärt Dr. Ius. Die Prothese wird mit einer Sehne gehalten, die durch die linke Herzkammer führt und außen in einem an der Herzspitze festsitzenden Pad mündet. Der gesamte Prozess wird mit Hilfe von Bildgebung kontrolliert und gesteuert: Dafür nimmt ein Kardiologe ein Schluckecho vor. „Dabei gewinnen wir über die Speiseröhre hochauflösende Ultraschallaufnahmen der Herzstrukturen. Gleichzeitig nutzen wir auch Röntgenaufnahmen, um eine exakte Einsicht in die Vorgänge zu haben“, erläutert Dr. Dominik Berliner von der Klinik für Kardiologie und Angiologie.
Viele beteiligte Fachrichtungen und Professionen
Der Eingriff muss vom Team sehr gut vorbereitet werden, dauert für den Patienten oder die Patientin im OP-Saal aber nur etwa zwei Stunden. Nach einem Tag auf der Intensivstation folgt normalerweise eine Woche auf der Normalstation. Dann schließt sich ein Aufenthalt in einer Reha-Klinik an. Dr. Fabio Ius sieht das neue Verfahren für bestimmte Patientinnen und Patienten als gute Alternative zum MitraClip-System. „Die Erfahrungen zeigen, dass bei bestimmten Patienten ein anhaltender und vollständiger Ersatz der Mitralklappe erzielt werden kann“, sagt er. Die Mitralklappen-Prothese kann ohne den Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine implantiert werden und eignet sich daher besonders für ältere oder vorerkrankte Menschen.
Der Kardiologe Professor Kempf und der Herzchirurg Dr. Ius sind froh, die neue Behandlungsmethode in der MHH anbieten zu können. „Solche Innovationen sind nur umsetzbar, wenn verschiedene Fachrichtungen und Professionen gut zusammenarbeiten“, betont Dr. Ius. An einer Implantation einer Mitralklappen-Prothese über die Herzspitze sind jeweils Fachärzte oder -ärztinnen aus der Herzchirurgie, der Kardiologie und der Anästhesie, Herzkatheterlabor- und OP-Pflegekräfte sowie ein Kardiotechniker beteiligt.
Weitere Informationen erhalten Sie bei Privatdozent Dr. Fabio Ius, ius.fabio@mh-hannover.de, Telefon (0511) 532-6588 und bei Professor Dr. Tibor Kempf, tibor.kempf@mh-hannover.de, Tel. (0511) 532-4503.
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Medizintechnik
Kennzeichnend für die Entwicklung medizintechnischer Geräte, Produkte und technischer Verfahren ist ein hoher Forschungsaufwand innerhalb einer Vielzahl von medizinischen Fachrichtungen aus dem Bereich der Humanmedizin.
Der innovations-report bietet Ihnen interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Bildgebende Verfahren, Zell- und Gewebetechnik, Optische Techniken in der Medizin, Implantate, Orthopädische Hilfen, Geräte für Kliniken und Praxen, Dialysegeräte, Röntgen- und Strahlentherapiegeräte, Endoskopie, Ultraschall, Chirurgische Technik, und zahnärztliche Materialien.
Neueste Beiträge
Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen
An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…
Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean
20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….
Resistente Bakterien in der Ostsee
Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…