Herzinsuffizienz: Zwei Jahre mit Herzpflaster
Patient berichtet über Erfahrungen.
Weltweit einzigartig: Patient*innen mit Herzschwäche wurde im Rahmen einer Studie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) im Labor gezüchtetes Herzgewebe implantiert. Das sogenannte Herzpflaster soll das Herz dauerhaft stärken und hat das Potential für einen neuen Therapieansatz. Erstmals berichtet ein Patient zwei Jahre nach der Implantation über seine Erfahrungen mit dem Herzpflaster. Die Studie ist ein Exempel für translationale Forschung: Vom Labor bis in die klinische Anwendung – zum Wohle der Patient*innen.
Laut des Deutschen Herzberichts von 2022 führt Herzinsuffizienz in Deutschland zu rund 400.000 Krankenhauseinweisungen pro Jahr und ist damit der häufigste Grund für einen stationären Aufenthalt. Bei zehn Prozent aller Patient*innen mit Herzschwäche ist die Erkrankung so schwerwiegend, dass sie trotz optimierter Behandlung mit einer mittleren Lebenswartung von nur zwölf Monaten einhergeht. Aufgrund des demografischen Wandels wird die Häufigkeit von Herzinsuffizienz weiter zunehmen und dabei zum Tode von mehr Menschen führen als durch jede andere Krankheit. Neuartige Behandlungsoptionen für die Reparatur oder Regeneration des Herzens würden das Therapiespektrum erheblich erweitern.
(V.l.n.r.) Dr. Lothar Germeroth (Repairon GmbH), Prof. Dr. Stephan Ensminger (UKSH), Frank Teege (Patient mit Herzpflaster), Prof. Dr. Ingo Kutschka (UMG), und Prof. Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann (UMG). umg/Samer Al Mhethawi
Die von der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Universitäres Herzzentrum, Campus Lübeck, gemeinsam durchgeführte klinische Studie BioVAT-HF-DZHK20 überprüft seit Anfang 2021 erstmals im Menschen, ob im Labor gezüchtetes Herzgewebe das Herz von Patient*innen mit schwerer Herzschwäche dauerhaft durch den Wiederaufbau von Herzmuskelgewebe stärken kann. Das Gewebe wird aus induzierten-pluripotenten Stammzellen in Reinräumen der UMG unter der Leitung der Transfusionsmedizin hergestellt und als sogenanntes Herzpflaster auf den erkrankten Herzmuskel aufgenäht. Ziel der klinischen Prüfung ist es, für den Einsatz von gezüchtetem Herzgewebe die Zulassung als Arzneimittel für neuartige Therapien zu erhalten.
In der ersten Phase der Studie wurde die maximal sichere Höchstdosis für das Herzpflaster ermittelt: zwei Lagen von jeweils zehn überlappend angeordneten Herzgeweben bestehend aus insgesamt 800 Millionen Herzzellen. Insgesamt acht Patient*innen wurde diese Höchstdosis an gezüchtetem Herzgewebe seit April 2022 an der UMG und dem UKSH implantiert. Einer dieser Studien-Patienten ist Frank Teege, der am UKSH operiert wurde: „Ich wurde immer schwächer und konnte keine 50 Meter laufen, ohne Atemnot zu bekommen. Daraufhin wurde eine Herzschwäche bei mir festgestellt. Tatsächlich hatte ich nur noch eine Herzleistung von zehn Prozent“, sagt der heute 66-Jährige. „Am Universitären Herzzentrum Lübeck der UKSH wurde mir auch die Möglichkeit vorgestellt, an der Herzpflaster-Studie teilzunehmen. Für mich war das der richtige Schritt. Nach der Operation mit dem Herzpflaster hat sich meine Herzleistung deutlich verbessert. Sie beträgt jetzt 35 Prozent.“
Für den wissenschaftlichen Leiter der BioVAT-HF-DZHK20-Studie, Prof. Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann, Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der UMG, bestätigt die Geschichte von Frank Teege, dass sich die an der UMG hergestellten Herzpflaster erfolgreich in Patient*innen mit Herzmuskelschwäche implantieren lassen. „Erstmals konnten wir den Aufbau echter Herzmuskulatur am menschlichen Herzen beobachten. Ich freue mich sehr darüber, dass Frank Teege von der Behandlung profitiert, und wir eine Verbesserung seines Gesundheitszustandes sehen können“, sagt Prof. Dr. Zimmermann. „Die Studie ist außerdem ein Beispiel für die translationale Forschung in und aus Göttingen, das heißt für die Überführung der Erkenntnisse aus dem Labor in die klinische Anwendung am Patienten und an der Patientin. Unser Ziel ist es, das Herzpflaster als Therapieverfahren für Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittener Herzschwäche zu etablieren – und das weltweit“, so Prof. Dr. Zimmermann.
„Nach vielen Jahren der präklinischen Entwicklung und Forschung konnten wir jetzt zum ersten Mal die Übertragbarkeit biologischer Herzmuskelgewebeimplantate und darüber den Aufbau neuer Muskulatur im menschlichen Herz mit schwerer Herzmuskelschwäche zeigen“, sagt Prof. Dr. Stephan Ensminger, Direktor der Klinik für Herz- und thorakale Gefäßchirurgie am Universitären Herzzentrum Lübeck des UKSH und chirurgischer Leiter der BioVAT-HF-DZHK20-Studie am UKSH.
„Die erfolgreiche Behandlung von Frank Teege zeigt, dass wir mit dem Herzpflaster auf dem richtigen Weg sind. Zwei Jahre nach der Transplantation von künstlichem Herzgewebe zeigen sich maßgebliche Verbesserungen seines Gesamtzustandes. Damit entsteht möglicherweise eine neuartige therapeutische Option für Patientinnen und Patienten mit schwerer Herzmuskelschwäche. In Zukunft könnte für einige Patientinnen und Patienten ein im Labor gezüchtetes Gewebetransplantat eine Alternative zu mechanischen Herzunterstützungssystemen werden“, sagt Prof. Dr. Ingo Kutschka, Direktor der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie der UMG und chirurgischer Leiter der BioVAT-HF-DZHK20-Studie an der UMG.
In der aktuellen zweiten Phase wird die BioVAT-HF-DZHK20-Studie als sogenannte Proof-of-Concept (PoC) Studie fortgesetzt. Eine erste Zwischenauswertung mit besonderem Augenmerk auf die Wirksamkeit erfolgt nach Behandlung von insgesamt 15 Patient*innen mit einer Dosis von 800 Millionen Zellen. Diese Daten werden für die zweite Jahreshälfte 2024 erwartet. Insgesamt sollen 35 Patient*innen in dieser Form behandelt werden.
Hintergrund BioVAT-HF-DZHK20
Die klinische Studie BioVAT-HF-DZHK20 ist Anfang 2021 gestartet und Teil des translationalen Forschungsprogramms des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). In der ersten Studienphase wurden zwölf Patient*innen mit dem Herzpflaster behandelt, jeweils sechs an der UMG und dem UKSH. Um die maximale sichere Dosis zu ermitteln, bekamen zwei Patient*innen Herzpflaster aus 200 Millionen Zellen, zwei Patient*innen Herzpflaster aus 400 Millionen und acht Patient*innen Herzpflaster aus 800 Millionen Zellen implantiert. Damit wurde die höchste Dosis gemäß Studienprotokoll erreicht und die Phase 1 der BioVAT-HF-DZHK20-Studie abgeschlossen. Insgesamt wurden in der Phase der Dosisfindung 7,6 Milliarden aus pluripotenten Stammzellen abgeleitete Herzzellen implantiert.
Der Studie geht eine 25-jährige präklinische Entwicklung voraus. Die Herstellung der künstlichen Herzgewebe für die Anwendung in der BioVAT-HF-DZHK20-Studie an der UMG wird von dem Göttinger Biotechnologieunternehmen Repairon GmbH kofinanziert. Die Repairon GmbH, eine Ausgründung aus der Universitätsmedizin Göttingen, beabsichtigt eine Zulassung der Herzpflasterbehandlung zu beantragen.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Institut für Pharmakologie und Toxikologie
Prof. Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann
Robert-Koch-Straße 40, 37075 Göttingen
Telefon 0551 / 39-65781
biovat.info@med.uni-goettingen.de
www.biovat.dzhk.de
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Stabsstelle Unternehmenskommunikation
Lena Bösch (Pressekontakt)
Telefon 0551 / 39-61020
presse.medizin@med.uni-goettingen.de
Weitere Informationen:
https://pharmacology.umg.eu/ – Video zum Herzpflaster
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