Herzkatheter: Wechsel der Methode reduziert Sterblichkeit deutlich

Pro Jahr werden in der Schweiz rund 46'000 Herzkatheter-Untersuchungen durchgeführt, etwa 22'000 sind verbunden mit einer Behandlung der Herzkranzgefässe. Dabei werden die Gefässe – etwa bei einem Herzinfarkt – mit einem kleinen Ballon erweitert und mit einem medikamentenbeschichteten Stent gestützt, so dass der Herzmuskel wieder ausreichend mit Blut versorgt wird.

Aktuell erfolgt die Mehrheit aller Interventionen mit dem Herzkatheter noch über den Leistenzugang. Der alternative Zugang über das Handgelenk wird in der Schweiz seltener gewählt, da er technisch anspruchsvoller ist.

Die Umstellung auf diese Methode hat jedoch bereits begonnen. Zu Recht, wie die bisher grösste randomisierte Studie zum Vergleich von Handgelenk und Leiste als Zugangsorte für Herzkatheter-Untersuchungen zeigt. Denn der Zugang über das Handgelenk kann Leben retten: Die Methode reduziert nicht nur das Risiko für Blutungen, sie senkt auch die Sterblichkeit der Patientinnen und Patienten um mehr als einen Viertel.

Die Studie wird heute in der Medizinfachzeitschrift Lancet publiziert. «Die beobachtete Reduktion der Gesamtsterblichkeit wurde durch eine Meta-Analyse aller relevanten Studien untermauert», sagt einer der Hauptverantwortlichen, Professor Peter Jüni, neuer Direktor des Instituts für Hausarztmedizin der Universität Bern. «Deswegen sollte nun baldmöglichst von der Leiste aufs Handgelenk umgestellt werden», so Jüni.

Weniger Todesfälle, keine Mehrkosten

Die Studie, an der Forschende der Universität Bern gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Italien, Spanien, Schweden und den Niederlanden gearbeitet haben, wurde in der Zeitschrift «Lancet» publiziert. Sie basiert auf den Daten von rund 8400 Patienten mit akutem Herzinfarkt oder hohem Risiko dafür. Nach 30 Tagen wurden bei Patientinnen und Patienten, bei denen das Handgelenk als Zugangsort für den Herzkatheter gewählt wurde, 66 Todesfälle beobachtet, bei Patienten mit Leiste als Zugangsort 91Todesfälle.

«Bisherige Studien haben eine Reduktion des Blutungsrisikos gezeigt, aber keine klaren Vorteile bezüglich Sterblichkeit», meint der Erstautor der Studie, Dr. Marco Valgimigli von der Universität Rotterdam, Niederlande, und erklärt: «Die dank unserer Analysen nun ebenfalls gesicherte Reduktion der Gesamtsterblichkeit geht vor allem auf eine Verminderung grösserer Blutungen an der Zugangsstelle zurück.» In der Studie wurden beim Handgelenkszugang 16, beim Leistenzugang hingegen 43 dieser Blutungen beobachtet.

«Aufgrund dieser Zahlen gehen wir davon aus, dass mit einer vollständigen Umstellung des Zugangs von der Leiste auf das Handgelenk in der Schweiz jährlich mehrere hundert Blutungen oder Todesfälle vermieden werden können», sagt Jüni, «und dies gänzlich ohne Mehrkosten.» Die Studie sei damit ein typisches Beispiel für eine grosse Studie mit simpler Fragestellung, welche die Praxis verändere und die Behandlungsstrategie massgeblich verbessere.

«Viele dieser einfachen Fragestellungen sind uninteressant für die Industrie, aber hochrelevant für unsere Patientinnen und Patienten», führt der Berner Professor für Hausarztmedizin aus. Deswegen brauche es in der Schweiz – wie in anderen Ländern längst der Fall – industrieunabhängige Finanzierungsquellen für die patientenzentrierte klinische Forschung, welche in Zukunft die zur Durchführung solcher Studien notwendigen ein- oder zweistelligen Millionenbeträge aufbringen können.

Umstellung auf die neue Methode braucht Ausbildung

Der Zugang am Handgelenk ist technisch allerdings anspruchsvoller als jener via Leiste. Denn die Arterie, welche am Handgelenk für die Einführung des Herzkatheters verwendet wird, ist kleiner als diejenige in der Leiste. Der Zugang über diesen Weg erfordert genügend Erfahrung und eine hohe technische Fertigkeit.

«Eine sofortige Umstellung ist deshalb nicht möglich, es braucht dazu eine entsprechende Ausbildung», erläutert Professor Stephan Windecker, Chefarzt Kardiologie am Inselspital Bern. «Zudem ist bei einem kleinen Prozentsatz der Patientinnen und Patienten ein Zugang via Handgelenk aus technischen Gründen nicht möglich, sie müssen trotzdem über die Leiste behandelt werden.» Windecker, Hauptverantwortlicher für die entsprechende Richtlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie, war nicht in die Studie involviert. Trotzdem ist er zuversichtlich, wie er sagt: «Eine Trendwende hat bereits stattgefunden, welche durch die Studienresultate weiter beflügelt wird».

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