Induzierte pluripotente Stammzellen
Product Manager, Merck Millipore, E-Mail: Amy.Noble@merckgroup.com
Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) bergen ein enormes Potenzial für die Krankheitsforschung und die regenerative Medizin. Die traditionellen Methoden zur Erzeugung und Charakterisierung von iPS-Zellen aus adulten somatischen Zellen können jedoch zeitaufwendig und ineffizient sein. Im Folgenden wird eine neue Methode vorgestellt, die nicht mehr auf den Einsatz von mehreren verschiedenen Expressionsvektoren angewiesen ist.
Anfängliche Berichte beschrieben die Erzeugung von induzierten pluripotenten Stammzellen aus adulten humanen Fibroblasten durch deren Infizierung mit vier Transkriptionsfaktoren (Oct-4, Klf4, Sox-2 und c-Myc) [1]. Die Konversion von Fibroblasten zu iPS-Zellen erforderte eine simultane Co-Infizierung der Fibroblasten mit vier separaten Retrovirus-Expressionsvektoren, wobei jeder Vektor einen der Transkriptionsfaktoren trug. Zur Erzeugung von iPS-Zellen mit dieser Methode müssen die vier Faktoren gleichzeitig von einer ausreichenden Anzahl von Kopien jedes Virus in die gleiche Zelle eingebracht werden. Die hohe Anzahl von Integrationen, die bei der Reprogrammierung stattfinden, stellt jedoch ein Sicherheitsrisiko dar, wenn die abgeleiteten Zellen später im klinischen Bereich eingesetzt werden sollen. Darüber hinaus integrieren die Vektoren an willkürlichen Stellen, wodurch normale Genexpressionsmuster gestört werden können, und eines der Transgene (c-Myc) ist ein bekanntes Onkogen.
Der Bedarf an mehreren Vektoren ist ein weiterer Nachteil, da Zellen einen, zwei, drei oder alle vier Transkriptionsfaktoren erhalten können und dadurch eine heterogene Population entsteht.
Reprogrammierung mit nur einem Vektor
Humane und murine iPS-Zellen können jetzt unter Anwendung eines einzelnen polycistronischen Lentivirusvektors erzeugt werden, der alle vier von Yamanaka beschriebenen Transkriptionsfaktoren effizient in die Zellen einbringt.
Die STEMCCA-Reprogrammierungskits (Merck Millipore, Billerica, MA) verwenden einen einzelnen Lentivirusvektor, der eine „Stammzellkassette“ mit allen vier Transkriptionsfaktoren exprimiert. Bei der Reprogrammierung mit Lentiviren entstehen Zellen, die mehrschichtige, dicht gepackte Kolonien mit gut definiertem Rand bilden. Die Zellen färben positiv für alkalische Phosphatase, exprimieren embryonale Stammzellmarker, bilden Embryoid-Körper (EB) und differenzieren in Zellen aller drei Keimblätter (Bild 1). Die Verwendung eines einzelnen Vektors reduziert die Anzahl der für die Ableitung von iPS-Zellen erforderlichen Virusintegrationen erheblich – in manchen Fällen können iPS-Klone mit nur einem einzigen Virusintegranten isoliert werden [2].
Der STEMCCA-Vektor ist mit LoxP-Elementen (34 Basenpaarsequenzen), die die Transgene auf beiden Seiten begrenzen, erhältlich. Die LoxP-Elemente ermöglichen die durch die Cre-Rekombinase vermittelte Exzision der exogenen Transgene nach der Reprogrammierung. Die Entfernung des Vektors verbessert das Entwicklungspotenzial der iPS-Zellen und erhöht ihre Kapazität für eine kontrollierte In-vitro-Differenzierung erheblich [3]. Die Exzision der Transgene ist auch eine Anforderung für den Einsatz der iPS-Technologie in Krankheitsmodellen und für die klinische Therapie.
Charakterisierung reprogrammierter Zellen
Neben vollständig reprogrammierten Zellen können durch die Transkriptionsfaktor-induzierte Reprogrammierung auch undifferenzierte Zellen erzeugt werden, die nicht vollständig pluripotent sind [1, 4] Diese teilweise reprogrammierten Zellen (Prä-iPS-Zellen oder iPS-Zellen der Klasse I) besitzen globale Genexpressions- und DNA-Methylierungsmuster, die sich von ES-Zellen unterscheiden, obwohl sie eine ähnliche Koloniemorphologie aufweisen und in Kultur stark wachstumsfähig sind. Teilweise reprogrammierte Zellen lassen sich durch fortgesetzte Expression der Virustransgene, inkomplette Expression pluripotenter Gene wie Nanog, SSEA-4 und TRA-1-60 bei humanen Zellen, Herabregulation somatischer Zellmarkergene und Unfähigkeit zur Erzeugung adulter chimerer Mäuse sowie zur Keimbahn-Transmission charakterisieren.
Für die Charakterisierung von iPS-Zellkulturen sind zahlreiche Kits und Reagenzien erhältlich. Optimierte Produkte und Protokolle können die Forschung beschleunigen, da iPS-Zellen heute von einer zunehmenden Anzahl von Laboren mit wenig Erfahrung im Bereich der Stammzellforschung eingesetzt werden.
Ob es sich bei einem iPS-Klon um eine vollständig oder teilweise reprogrammierte Kolonie handelt, kann mithilfe eines Echtzeit-Multiplex-RT-PCR-Kits (STEMCCA Viral Gene Detection, Merck Millipore) schnell beurteilt werden. Das Kit weist virale Transgenexpressionen und Pluripotenzmarker von ES/iPS-Zellen nach. Da das STEMCCA-Lentivirus einen einzigen polycistronischen Vektor mit den Transkriptionsfaktoren verwendet, werden alle vier Transgene als ein einzelnes mRNA-Molekül transkribiert; die Transgenanalyse repräsentiert daher den Genexpressionsgrad der gesamten Kassette.
Ein schneller, effizienter Durchflusszytometrie-basierter Prozess, der ursprünglich zur Charakterisierung humaner embryonaler Stammzellen entwickelt wurde, eignet sich ebenfalls zur Beurteilung der Expression von Markern, die den Pluripotenzgrad von iPS-Zelllinien reflektieren. Das Kit (FlowCellect hESC, Merck Millipore) enthält validierte Fluoreszenz-Antikörper gegen Oct-4, SSEA-4 und SSEA-1 sowie einen Marker zur Überwachung des Übergangs von undifferenzierten Stammzellen in einen differenzierten Zustand. Die markierten Antikörper wurden für die zytometrische Analyse auf dem guava EasyCyte™ Tisch-Durchflusszytometer (Merck Millipore, Bild 2) optimiert.
Typische Zytometrie-Ergebnisse zeigen iPS-Zellkulturen mit einer ausgeprägten Population von Oct-4- und SSEA-4-positiven Zellen, die deutlich von Ausgangsfibroblasten abgegrenzt sind. Eine Veränderung der Fluoreszenzintensität, die eine Zunahme der Oct-4- und SSEA-4-Expression anzeigt, reflektiert die erworbene Pluripotenz. Die Population von iPS-Zellen, die SSEA-1 (einen Marker, der mit der Differenzierung humaner embryonaler Stammzellen einhergeht) exprimieren, ist dagegen reduziert. Die gleiche zytometrische Methode kann für den Vergleich verschiedener Klone derselben iPS-Zelllinie eingesetzt werden.
Steigerung der Effizienz
Selbst bei Verwendung eines einzelnen Vektors ist die Reprogrammierung humaner somatischer Zellen jedoch weiterhin ein sehr ineffizienter und zeitaufwendiger Prozess. Kleine, gegen spezifische Signalwege gerichtete Moleküle werden derzeit auf ihre Fähigkeit geprüft, die Reprogrammierung zu verbessern und/oder die für die Reprogrammierung benötigten Transkriptionsfaktoren zu ersetzen.
Auch werden gegenwärtig Bibliotheken chemischer Verbindungen durchsucht, um kleine Moleküle zu identifizieren, die die Effizienz und Qualität der Reprogrammierung verbessern können. Vorläufige Ergebnisse aus unserem Labor zeigen, dass mit einer Kombination aus einzelnen Lentivirusvektoren und einem neuartigen „Boost-Cocktail“ aus kleinen Molekülen die Anzahl der iPS-Kolonien auf das 23fache erhöht und die Zeit für die Erzeugung vollständig reprogrammierter Kolonien um nahezu 50 % verkürzt werden kann.
Entwicklung von Krankheitsmodellen
iPS-Zellen bieten die Möglichkeit, sowohl die normale als auch die pathologische Gewebebildung in vitro nachzuvollziehen und genetisch unterschiedliche patienten- und krankheitsspezifische Zellen zu erzeugen. Unter Verwendung etablierter Protokolle können Krankheitsforscher eine Hautbiopsie von einem Patienten entnehmen und die isolierten Fibroblasten zu iPS-Zellen reprogrammieren. Diese iPS-Zellen können dann unter geeigneten Kulturbedingungen in die jeweiligen krankheitsbezogenen Zelltypen differenziert werden.
Eine Herausforderung bei der Ausschöpfung des vollen Potenzials von iPS-Zellen besteht darin, ihre Differenzierung in die gewünschten Zelltypen zu lenken. Die Identifizierung der richtigen Kombination von Medien, Zusätzen und Wachstumsfaktoren, durch die iPS-Zellen erfolgreich und reproduzierbar zur Differenzierung in die gewünschte Zelllinie angeregt werden, ist ein zeitaufwendiger und iterativer Prozess. Eine sorgfältig choreographierte Reihe von Signalen muss reproduziert werden, um die Zellen in die gewünschte Bahn zu lenken. Dieser arbeitsintensive Prozess wurde bereits für eine Anzahl von Zelltypen durchgeführt. Kits und Medien mit optimierten Faktoren zur Differenzierung von Stammzellen in eine gewünschte Zelllinie sind für die Erzeugung von Neuronen, Oligodendrozyten, mesenchymalen Zellen und Osteozyten auf dem Markt erhältlich.
Die iPS-Technologie ermöglicht Wissenschaftlern die Kultivierung von Zelltypen, die normalerweise nur schwer erhältlich sind, wie z.B. mit neurologischen Erkrankungen assoziierte Zellen. Modelle von Krankheiten mit langen Latenzzeiten wie Morbus Alzheimer, ALS oder Morbus Parkinson sind nur schwer in relativ kurzzeitigen In-vitro-Kulturen zu entwickeln. Die Erwartung, dass ein Phänotyp einer Krankheit, die sich erst nach Jahrzehnten bei Patienten manifestiert, nach wenigen Wochen in Kultur identifiziert werden kann, ist unrealistisch. Ein weiterer Komplikationsfaktor ist, dass von iPS-Zellen abgeleitete Zellen eher fötaler Natur sind und ein frühes Entwicklungsstadium reflektieren. Zur Beschleunigung des In-vitro-Alterungsprozesses sind ggf. externe Faktoren erforderlich, die eine Art Umweltstress simulieren.
Das wahre Potenzial der iPS-Technologie ist die Möglichkeit, aus Proben eines einzigen Patienten mehrere Zelltypen zu erzeugen, die vermutlich an der Entwicklung und dem Ablauf komplexer Krankheiten beteiligt sind. Während mehrere Zelllinien in Krankheitsmodellen integriert werden, arbeiten Wissenschaftler an der Entwicklung dreidimensionaler Modelle, die den In-vivo-Verhältnissen nahe kommen. Fortschritte im Gewebe-Engineering werden es ermöglichen, dass mehrere Zelltypen auf eine Art und Weise miteinander interagieren und kommunizieren können, die ihrem In-vivo-Milieu ähnlicher ist. Durch Integration fortgeschrittener Gerüste und Matrizen könnten Phänotypen identifiziert werden, die bei der Kultivierung von einzelnen oder selbst mehreren Zelltypen in einem zweidimensionalen Modell nicht zu erkennen sind.
Die Fähigkeit, iPS-Zellen in zahlreiche Zelllinien zu differenzieren, hat sowohl im Klinik- als auch im Forschungsbereich neue Möglichkeiten eröffnet. Die Verwendung dieser Zellen zur Erstellung von Krankheitsmodellen sowie zum Arzneimittel- und Toxizitätsscreening kann die Beschränkungen der gegenwärtigen Methoden überwinden, die Konstruktion von Humanmodellen komplexer Krankheiten ermöglichen und wichtige Einblicke gewähren, die zu mehr personalisierten Ansätzen in der Medizin führen. Neben ihrem Potenzial, Forschungs- und Klinikbereiche zu revolutionieren, stellen diese bemerkenswerten Zellen Wissenschaftler vor die Aufgaben, neue Fragen zu beantworten, neue Herausforderungen zu bewältigen und neue Anwendungen zu entwickeln.
Literatur
Takahashi et al., Induction of pluripotent stem sells from adult human fibroblasts by defined Factors. Cell. 2007; 131(5):834-5.Sommer, CA, et al. iPS cell generation using a single lentiviral stem cell cassette. Stem Cells. 2009; 27(3): 543-9.Sommer, CA, et al. Excision of reprogramming transgenes improves differentiation potential of iPS cells generated with a single excisable vector. Stem Cells; 28(1): 64-74.Jaenisch, R. and Young, R. Stem cells, the molecular circuitry of pluripotency and nuclear reprogramming. Cell 2008, 132(4), 567-82.
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