Künstliche Lungen als Organersatz
DFG-Schwerpunktprogramm fördert vier MHH-Projekte mit 1,6 Millionen Euro.
Für Menschen mit schweren Lungenerkrankungen ist die Transplantation eines gesunden Organs oft die einzige Überlebenschance. Doch Spenderlungen sind Mangelware. Abhilfe könnte eine neue künstliche Lunge bringen. Seit 2017 unterstützt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) diesen wissenschaftlichen Ansatz mit ihrem Schwerpunktprogramm SPP 2014 „Towards an implantable Lung“ („Auf dem Weg zur implantierbaren Lunge“).
Ziel ist die Entwicklung einer künstlichen Lunge, die als Alternative zu einem Spenderorgan dauerhaft eingesetzt werden soll. An dem bundesweiten Forschungsverbund ist auch die Medizinische Hochschule Hannover (MHH), das größte europäische Lungentransplantationszentrum, beteiligt. Jetzt fördert die DFG die Arbeit der hannoverschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für weitere drei Jahre mit mehr als 1,6 Millionen Euro.
ECMO-Unterstützung ist keine Dauerlösung
An der MHH wird an einer sogenannten Biohybrid-Lunge geforscht. Als Grundlage dient die extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO), bei der das Blut durch Kunststoff-Hohlfasern geleitet wird, die als „künstliche Lungenbläschen“ für den Gasaustausch sorgen. Dieses Lungen-Unterstützungssystem wird bereits klinisch angewendet – etwa zur Sauerstoffversorgung schwer an COVID-19 erkrankter Patientinnen und Patienten auf den Intensivstationen.
„Bislang können wir mit der ECMO aber nur für eine gewisse Zeit die Lungenfunktion überbrücken, weil das Blut beim Kontakt mit den künstlichen Oberflächen Gerinnsel bildet und die Röhrchen verstopft“, erklärt Dr. Bettina Wiegmann, die am Niedersächsischen Zentrum für Biomedizintechnik, Implantatforschung und Entwicklung (NIFE) drei der vier MHH-Projekte leitet. Diese Thrombenbildung will die Wissenschaftlerin verhindern, indem sie die Oberflächen der Gasaustausch-Membranen, der Blutpumpe und der Schläuche mit speziellen, Gefäß auskleidenden Endothelzellen, besiedelt. „Diese nicht körpereigenen Endothelzellen sind zudem genetisch so verändert, dass sie für das Immunsystem des Patienten quasi unsichtbar sind und somit nicht als fremd erkannt und bekämpft werden“, erklärt die Herzchirurgin und Notfallmedizinerin.
Große Fläche bei möglichst kleinem Volumen
In einem nächsten Schritt muss nun geprüft werden, ob die Endothelzellen auf den künstlichen Oberflächen fest genug haften und der Reibungsbelastung durch den Blutstrom standhalten. Auch müssen die Membranen so weiterentwickelt werden, dass bei größtmöglicher Fläche für den Gasaustausch das Volumen des Kunstorgans dennoch möglichst klein und effektiv bleibt, so wie es auch bei der menschlichen Lunge der Fall ist. In der menschlichen Lunge sind etwa 100 bis 140 Quadratmeter Atemoberfläche platzsparend in 300 Millionen Lungenbläschen verpackt. Eine weitere Anforderung ist die Form des ECMO-Gerätes, die bei der Entwicklung der Biohybrid-Lunge verändert werden muss, damit sie optimal in den Körper implantiert werden kann. „Einen eckigen Kasten können wir nicht in den Brustkorb eines Patienten einsetzen“, erklärt die Wissenschaftlerin.
Doch nicht nur die Atmung, auch die Nierenfunktion hat die Wissenschaftlerin im Blick. Weil Patienten, die schwer lungenkrank sind und ein ECMO-Gerät benötigen, meist auch ein erhöhtes Risiko für ein akutes Nierenversagen haben, benötigen sie neben der Lungenersatztherapie auch eine maschinelle Dialyse. Bislang werden diese beiden Verfahren mit getrennten Geräten vorgenommen, was unter anderem das Risiko für Infektionen und Thrombosen erhöht. Die Wissenschaftlerin arbeitet daran, die Lungen- und Nierenunterstützung in einem einzigen Gerät zu kombinieren. „Dieser sogenannte Lungen-Nieren-Crosstalk ist ein weiterer Aspekt für die Entwicklung einer individualisierten implantierbaren Lunge“, betont Dr. Wiegmann.
Verschiedene Prototypen entwickeln
Sind alle noch bestehenden Probleme gelöst, sollen verschiedene Prototypen der Biohybrid-Lunge zunächst unter Laborbedingungen mit Hilfe künstlich erzeugter Blutkreisläufe untersucht werden. In einem nächsten Schritt werden sie dann zunächst als Atmungs-Akuthilfe und später als dauerhafte Lungenalternative im Tiermodell getestet. Bis die Kunstlungen in den menschlichen Körper transplantiert werden können, werden nach Ansicht der Forscherin aber noch einige Jahre vergehen.
Das DFG-Schwerpunktprogramm SPP 2014 fördert bundesweit insgesamt zehn Projekte. Die Federführung liegt bei der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) und der Universitätsklinik Aachen. Die MHH ist mit vier Projekten beteiligt. Drei Projekte leitet Dr. Bettina Wiegmann – eines davon in Kooperation mit Professorin Dr. Constanca Ferreira de Figueiredo vom Institut für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering. Ein viertes ist an den Leibniz Forschungslaboratorien für Biotechnologie und künstliche Organe (LEBAO) angesiedelt unter der Leitung von Dr. Ruth Olmer.
SERVICE:
Weitere Informationen erhalten Sie bei Dr. Bettina Wiegmann, wiegmann.bettina@mh-hannover.de, Telefon (0511) 532-1408.
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