Minimalinvasive Eingriffe: Per Hydraulik operieren
Bei minimalinvasiven Eingriffen verzichten Chirurgen auf große Schnitte und wählen stattdessen schonendere »Schlüsselloch«-Verfahren, die den Körper des Patienten weniger strapazieren. Untersuchungen der Lunge, der Speiseröhre oder der Gelenke, aber vor allem Operationen im Bauchraum werden mit dieser Methode durchgeführt. Ein oder zwei kleine Schnitte in die Bauchdecke genügen, damit Chirurgen die Instrumente einführen und die Organe mit einem Endoskop sichtbar machen können.
Die Operationstechniken wurden in den vergangenen Jahren in rasantem Tempo weiterentwickelt. Nicht so die Werkzeuge: Je nach Ausführungsform lässt sich die Endoskopspitze abwinkeln. Die dafür notwendige Kraftübertragung erfolgt über Seilzüge, Experten nennen sie Bowdenzüge.
Moderne Endoskope sind zusätzlich mit kleinen Zangen, Klemmen oder Scheren ausgestattet, etwa um Gewebeproben zu entnehmen. Auch diese Miniaturwerkzeuge werden mechanisch gesteuert: Die Seilzüge übertragen die Handbewegungen des Operateurs am einen Ende an die Miniaturinstrumente am anderen Ende.
»Das erfordert viel Geschick und auch Kraft seitens des Operateurs. Im Prinzip hat sich diese Antriebsvariante seit Beginn der Endoskopie nicht geändert«, sagt Timo Cuntz, Wissenschaftler der Projektgruppe für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie PAMB in Mannheim, die zum Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA gehört.
Hydraulische Flüssigkeit ersetzt Seilzüge
»Durch das Bewegen der Bowdenzüge entsteht Reibung, dadurch wiederum geht Kraft verloren. Die Greifkraft, die an der Spitze ankommt, ist relativ gering. Der Chirurg kann das Gewebe daher weniger präzise manipulieren.« Antriebe mit einer niedrigen Reibung und einer hohen Kraftdichte könnten den Arzt hingegen entlasten. Eine Alternative zu dem mechanischen Ansatz per Bowdenzug sind hydraulische Instrumente.
»Bei unseren Tests haben sich Werkzeuge mit hydraulischem Antrieb als vielversprechend erwiesen. Der Chirurg kann sie viel feinfühliger bedienen«, sagt der Ingenieur. Eine sterile, biokompatible Flüssigkeit aus medizinischem Weißöl in einem Kunststoffschlauch ersetzt die Seilzüge. Hydraulische Zylinder oder Muskeln, die der Chirurg per Handgriff bewegt, üben den erforderlichen Druck auf die Flüssigkeit aus und schieben sie in der Hydraulikleitung gegen einen zweiten Zylinder mit Feder, der wiederum die Endoskopspitze oder das chirurgische Instrument bewegt.
Der Vorteil: Der Reibungsverlust ist viel geringer, die Greifkraft fällt höher aus. Bis zu 50 Newton können die Forscher erzielen. Das System, das der Forscher gerne mit einer Hydraulikbremse beim Mountainbike vergleicht, lässt sich wahlweise auch an eine Pumpe anschließen, die den erforderlichen Druck erzeugt, um Gewebe gezielt zu trennen oder zu entnehmen.
Der hydraulische Antrieb spielt seine Stärke vor allem dann aus, wenn es darum geht, die Kraft nicht nur auf geraden, sondern auf langen, gekrümmten Strecken – etwa durch den Verdauungstrakt – bis zur Spitze des Instruments zu übertragen. Entsprechend flexibel können auch die Zuleitungen gestaltet werden. Schläuche mit sehr kleinen Durchmessern und kleinen Biegeradien sind möglich.
Derzeit fertigen Cuntz und seine Kollegen am PAMB ein endoskopisches Instrument mit einem Außendurchmesser von gerade einmal drei Millimeter. Solche Werkzeuge mit hydraulischem Antrieb eignen sich idealerweise für NOTES-Operationen. NOTES steht für Natural Orifice Transluminal Endoscopic Surgery, also eine Technik, bei der Chirurgen natürliche Körperöffnungen nutzen, um in die Körperinnenräume wie den Magen zu gelangen, um auf diesem Weg den Blinddarm zu entfernen.
Wie zuverlässig das neuartige Antriebskonzept funktioniert, zeigten Dauertests sowohl mit einfach aufgebauten starren Endoskopspitzen und Greifinstrumenten; aber auch Labormuster mit flexiblen Spitzen liegen vor. Vom 12. bis 15. November präsentiert die Mannheimer Forschergruppe um Timo Cuntz auf den Messen Compamed (Halle 08a, Stand K38) und Medica (Halle 10, Stand G05) in Düsseldorf mehrere Demonstratoren mit hydraulischem Antrieb, darunter ein endoskopisches Instrument mit einer Zange, die sich in alle Richtungen abwinkeln lässt. Sechs integrierte Zylinder sorgen für die erforderliche Kraftübertragung.
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