Todesursachen bei einheimischen Seeadlern: überwiegend zivilisationsbedingt

Kollision mit Bahnfahrzeugen und Bleivergiftungen am häufigsten / Studie des Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW), Berlin / Praktische Konsequenzen für den Artenschutz

Der Seeadler ist entsprechend der Roten Liste als eine der gefährdeten Greifvogelarten in Deutschland eingestuft. Zurzeit leben ungefähr 360 geschlechtsreife Paare (Brutpaare) in den Hauptverbreitungsgebieten Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Eine Studie unter Leitung von Dr. med. vet. Oliver Krone vom Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) des Forschungsverbundes Berlin, Forschungsgruppe Wildtierkrankheiten, belegt, dass die häufigsten Todesursachen bei Seeadlern zivilisationsbedingt sind. Dabei stehen Kollisionen mit Bahnfahrzeugen und Bleivergiftungen an erster beziehungsweise zweiter Stelle. Dritthäufigste Todesursache sind Verletzungen an Mittelspannungsleitungen, gefolgt von „natürlichen“ Infektionskrankheiten.

Zwischen 1990 und 2000 wurden in Zusammenarbeit mit den Projektgruppen Artenschutz in Mecklenburg-Vorpommern und Seeadlerschutz in Schleswig-Holstein sowie der staatlichen Vogelschutzwarte Brandenburg und der Naturschutzstation Woblitz (Brandenburg) insgesamt 120 Seeadler-Kadaver gesammelt und durch Tiefkühlung konserviert. Die Untersuchungen anhand von Röntgenaufnahmen, Sektionen, pathologischen, parasitologischen und toxikologischen Analysen wurden durch Größen-, Gewichts- und Fundortdaten ergänzt. Die Todesursachen konnten bei 91 Vögeln exakt ermittelt werden. Hiervon sind etwa 70 Prozent zivilisationsbedingt. Neben den Zugunfällen und Bleivergiftungen zählen Vergiftungen mit Insektiziden, Unfälle an Stromleitungen und unbekannte Traumata (schwere Gewebe- und Knochenverletzungen) zu den weiteren, nicht natürlichen Ursachen.
In die Gruppe der natürlichen Todesursachen gehören Verhungern, Missbildungen bei Jungvögeln, Revierkämpfe bei erwachsenen Adlern und die erwähnten Infektionen.

Verhängnisvoll: Sog von Zügen, Munitionsblei

Die Kombination der tiermedizinischen Daten mit den verhaltensbiologischen Kenntnissen ergab die detaillierten Umstände: Seeadler fliegen Gleisanlagen an, um sich von verunglücktem Wild zu ernähren. Schnell herannahende Züge können sie nicht rechtzeitig bemerken. Beim Fluchtversuch bieten sie mit über 2 Meter Spannweite eine große Angriffsfläche für den Sog des vorbeifahrenden Zuges. Das Blei gelangt hauptsächlich über beschossenes Wassergeflügel in die Seeadler. Zum Beispiel werden Enten oder Gänse intensiv, meist mit bleihaltiger Munition (Bleischrot), bejagt. Vögel, die nur angeschossen sind, überleben zum Teil und werden so leichter zur Beute der Seeadler. Bei der Nahrungsaufnahme gelangt die Munition in den Magen der Seeadler, wo das Schwermetall wegen des sehr sauren Milieus (pH 1,3-1,8) gelöst und aufgenommen wird. Im Körper schädigt es besonders das Nervensystem, die Blutbildung und die glatte Muskulatur. Pathologisch-anatomisch fallen die Veränderungen der Gallenblase, Gallengänge und Leber auf. Dass es sich bei dem gefundenen Schwermetall um Munitionsblei handelt, konnte innerhalb dieser Studie von Norbert Kenntner, zurzeit Doktorand am IZW und am Wiener Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI), nachgewiesen werden. Relativ häufig sind tödliche Anflüge an Oberlandleitungen, besonders an Mittelspannungsleitungen. Unfälle mit Todesfolge ereignen sich auch an den Mittelspannungsmasten. Die Stromkabel werden hier häufig mit stehenden Isolatoren über die Masten geführt. Gerne nutzen Greifvögel den Querträger (Traverse) zwischen den Stromkabeln als „Hochstand“. Beim Abflug können die ausladenden Schwingen der Vögel eine Brücke zwischen den Stromkabeln oder zwischen einem Stromkabel und der Traverse, auf der sie stehen, bilden, mit der Folge eines tödlichen Stromschlags. Unter den Infektionskrankheiten ist der Befall mit Parasiten, besonders mit dem Leberegel, am häufigsten. Ein Zwischenwirt des Leberegels sind Weißfische (zum Beispiel Rotaugen, Brassen, Güster). Der Parasit schädigt den letzten Zwischenwirt (Weißfisch) derart, dass dieser leichter zur Beute des Seeadlers wird. Verhungern und Missbildungen sind eher seltene Todesursachen und wurden bei nestjungen Seeadlern festgestellt. Das belegt auch der gute körperliche Zustand, der bei den Vogelleichen anhand der Körpermaße, der Muskulatur und des Fettgewebes diagnostiziert wurde. Auch Revierkämpfe enden selten tödlich.

Überwindbare Hürden für die Zukunft des Seeadlers

Aus den Forschungsergebnissen lassen sich nach Ansicht von Dr. Krone konkrete Artenschutzmaßnahmen ableiten: Blei in der Jagdmunition könnte durch andere Legierungen oder Kunststoffe ersetzt werden, die Mittelstrommasten sollten konsequent entschärft werden und schließlich müssten die Gleise der Bahn sorgfältiger von Wild geräumt werden. Dafür gibt es bereits Ansätze, die nur konsequent umgesetzt werden müssen. Der IZW-Wissenschaftler betont die Verantwortung, die Deutschland für den Bestandsschutz der Seeadler hat. Das jetzige Verbreitungsgebiet in den genannten Bundesländern ist nach völliger Ausrottung (vor 1935) und starker Dezimierung (DDR bis in 60er-Jahre) nun wieder erfolgversprechend besiedelt. Es ist Ausgangspunkt weiterer Besiedlungen in Dänemark und möglicherweise auch Holland. Bis der Seeadler sein ehemaliges Verbreitungsgebiet in Westeuropa und im Mittelmeerraum wiederbesiedeln kann, ist es noch ein langer Weg.

Die Ergebnisse dieser Studie sind gegenwärtig im Druck (Tagungsbericht der Internationalen Seeadler-Tagung in Schweden September 2000, auf der Dr. Oliver Krone seine Arbeiten vortrug)

Für weitere Auskünfte:
Dr. Oliver Krone, Institut für Zoo- und Wildtierforschung, Alfred-Kowalke-Str. 17, 10315 Berlin
Tel.: 030/5168-405, Fax: 030/5168-104, E-Mail: krone@izw-berlin.de

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Joachim Moerke idw

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