Hasenjagd im Dienst der Wissenschaft
Wissenschaftler des Instituts für Zoo- und Wildtierforschung suchen nach Ursachen für den Rückgang der Hasenpopulation
Der Hase schreit. Seine Stimme ist verblüffend laut, sie dringt durch Mark und Bein. Doch davon können sich die Wissenschaftler nicht stören lassen. Mit angespannter Miene, aber doch routiniert, legen sie dem gefangenen Wildtier ein Halsband um. Daran befestigt ist ein winziger Funksender. Die Aktion muss rasch gehen, denn der Stress für den Hasen soll so gering wie möglich gehalten werden. Zusammen mit der Biologin Sarah Fuchs, die ein Forschungsprojekt nahe des Naturschutzhofes Brodowin (Brandenburg) betreut, wollen die Experten des Berliner Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) mehr über die Lebensgewohnheiten von Feldhasen herausfinden. Das Projekt wird vom Bundesamt für Naturschutz gefördert.
An jenem sonnig-kalten Herbsttag steht also Hasenjagd auf dem Programm. Gemeinsam mit erfahrenen Fängern aus der Slowakei machen sich Sarah Fuchs, Ulrike Peschel, Dr. Christian Voigt und weitere Helfer auf die Suche nach Hasen. Zuvor haben sie ein großes Areal mit Netzen abgesteckt, die aussehen wie Schneefangzäune am Straßenrand. Ziel ist es, die Hasen aufzuscheuchen und ins Netz zu treiben. Dort verheddern sich die Tiere, können dann eingefangen und mit einem Sender versehen werden. So weit die Theorie.
Die Praxis zeigt dann, wie mühsam das Unterfangen ist. Stunden vergehen mit in die Hände klatschen, durch Gestrüpp stapfen und „ho-ho-ho“-Gebrüll, ohne dass auch nur ein Hase zu sehen ist. Die Schuhe sind durchnässt, an den Hosen und Jacken hängen Kletten, in den Haaren auch. Plötzlich, beim Weg übers freie Feld, schreit einer der Forscher „Hase!“ Das flinke Tier wird ins Netz getrieben und „besendert“.
Ein Vorgang, der sich so oder ähnlich wiederholt in einer Woche abspielt. Seitdem die Hasen mit Halsbändern und Sendern versehen wurden, wird ihr Aktionsgebiet regelmäßig von Wissenschaftler des IZW verfolgt. Zweimal jede Woche suchen sie nach den Tieren, einmal im Monat auch nachts. Die ganze Aktion ist mit den örtlichen Jägern abgestimmt. Mit der Richtfunkantenne in der Hand machen sich Ulrike Peschel und ihre Kollegen eine Stunde vor Sonnenuntergang auf den Weg; ein Piepsen verrät ihnen, in welcher Richtung der Hase sitzt. Ohne dem Hasen zu nahe zu kommen und ihn damit zu stören, kann so sein Standort mit zwei oder drei Peilungen bestimmt werden. Die Sender haben jeweils unterschiedliche Frequenzen, so dass die Wissenschaftler genau wissen, welcher Hase gerade funkt.
Gibt es bereits erste Ergebnisse? „Was mich überrascht hat“, sagt Ulrike Peschel, „das sind die ,Waldhasen“. Normalerweise sitzen die Tiere tagsüber im Gras verborgen an Feldrainen, Böschungen oder in Feldern; nicht umsonst heißen sie Feldhasen. Manche aber ziehen es vor, im Wald zu ruhen. Zum Fressen jedoch treten auch die „Waldhasen“ auf Offenflächen heraus. Meist seien die Hasen nicht allein an den Fressplätzen, erzählt die IZW-Wissenschaftlerin. Und dann gibt es noch ein trauriges Ergebnis: „Eines der Tiere ist von einem Zug überfahren worden“, sagt Peschel. Es ist an sich nicht ungewöhnlich, das Tier immer an der gleichen Stelle zu orten. Peschel: „Die Hasen haben ihre festen ,Sassen.“ Da der Standort aber auch nachts, während der Aktivphase unverändert blieb, habe man sich dem Tier genähert – es lag tot neben den Gleisen. Verkehrsunfälle sind eine der häufigsten Todesursachen bei Hasen, was dieses traurige
Beispiel bestätigte.
Was erhoffen sich die Forscher von der Kooperation mit Sarah Fuchs? Dr. Christian Voigt vom IZW nennt mehrere Ziele: „Wir wollen mehr über das Reproduktionsverhalten der Hasen herausfinden, wir wollen ihre bevorzugten Aufenthaltsorte und ihre beliebtesten Lebensräume kennen lernen und wir wollen herausfinden, weshalb es in der Region immer weniger Feldhasen gibt.“
Viele Vorstellungen gibt es dazu, aber keine ist schlüssig. So lässt sich etwa nicht eindeutig nachweisen, dass Tollwutimpfungen die Fuchspopulationen wachsen lassen und so durch erhöhten Feinddruck die Hasen dezimieren. Eben so wenig sind es allein die Agrochemikalien. Vielmehr vermuten die Experten ein ganzes Ursachengeflecht: Intensivierung der Landwirtschaft, Lebensraumveränderungen, Klimaeinflüsse und zunehmend dichter Straßenverkehr. Wie es um das Reproduktionsverhalten bestellt ist, werden die Wissenschaftler dieser Tage herausfinden. Denn jetzt sind schon die ersten Jungen da.
Dieser Text ist auch in der aktuellen Ausgabe des Verbundjournals veröffentlicht. Das Verbundjournal ist die Zeitschrift des Forschungsverbundes Berlin und kann als PDF-Datei aus dem Internet heruntergeladen werden.
Ansprechpartner:
Tierärztin Ulrike Peschel 030 / 5168-701
Dr. Christian Voigt 030 / 5168-609
Mail: voigt@izw-berlin.de
Institut für Zoo- und Wildtierforschung
Alfred-Kowalke-Str. 17, 10315 Berlin
Das IZW forscht in den Bereichen Evolutionsbiologie und -ökologie, Wildtiermedizin sowie Reproduktionsbiologie. Die Experten untersuchen Säugetiere und Vögel in ihren Wechselbeziehungen mit Mensch und biotischer wie abiotischer Umwelt (Biotop, Nahrung, Krankheitserreger und Beutegreifer). Hauptziel ist die Erforschung der Anpassungsleistungen und -grenzen größerer Wildtiere und ihrer Rolle in naturnahen und kulturnahen Ökosystemen. Schwerpunktregionen sind Mitteleuropa, Ostasien, Ost- und südliches Afrika. Das Institut legt besonderen Wert auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Biologen und Veterinärmedizinern und setzt seine Forschungsziele durch Kooperationsprojekte mit Schutzgebieten und Zoos in Europa, Afrika und Nordamerika um. Das IZW gehört zum Forschungsverbund Berlin. Es hat knapp hundert Mitarbeiter und einen Etat von mehr als vier Millionen Euro.
Der Forschungsverbund Berlin e.V. (FVB) ist Träger von acht natur-, lebens- und umweltwissenschaftlichen Forschungsinstituten in Berlin, die alle wissenschaftlich eigenständig sind, aber im Rahmen einer einheitlichen Rechtspersönlichkeit gemeinsame Interessen wahrnehmen. Alle Institute des FVB gehören zur Leibniz-Gemeinschaft.
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