Massive Umweltbelastungen durch Edelmetalle in Kfz-Katalysatoren
Wissenschaftler warnen vor ökologischen und ökonomischen Folgen
Eine zwiespältige Bilanz ziehen renommierte Wissenschaftler über die Einführung der Katalysatoren vor über zehn Jahren. „Wenn man die ökonomischen und ökologischen Risiken der verfolgten Strategie betrachtet, ist das gesamte Bild nicht eindeutig positiv: die Produktion der für den Katalysator benötigten Edelmetalle der Platingruppe (PGM) Platin, Palladium und Rhodium ist mit schweren Umweltbelastungen verbunden. In einem schnellen Tempo werden die Vorräte der äußerst seltenen Metalle erschöpft und die Risiken einer ständigen Emission von PGM in die Umwelt müssen ernst genommen werden“, bemängeln Reinier de Man, selbstständiger Berater für „sustainable business development“ in Leiden (Niederlande) und Armin Reller, Lehrstuhlinhaber für Festkörperchemie am Institut für Physik der Universität Augsburg.
Am 1. Januar 1993 traten in Europa neue Abgasgrenzwerte für Pkws in Kraft, die nur mit geregeltem Dreiwegekatalysator einzuhalten waren. Der Katalysator hat in den vergangenen zehn Jahren die verkehrsbedingten Stickoxidemissionen erheblich reduziert. Ohne den Katalysator wären sie um einen Faktor fünf höher gewesen. In diesem Sinne sei der Katalysator ein Beispiel einer erfolgreichen Umwelttechnologie, schreiben die Experten in einem Fachbeitrag für den Onlinedienst NeueNachricht.
Was die Experten bemängeln, ist allerdings der Produktionsvorgang bei Katalysatoren: „90 Prozent der PGM-Gewinnung kommt aus nur zwei Bergbaugebieten: Norilsk in Russland und Bushveld in Südafrika. Die nordamerikanische Produktion beträgt nur sieben Prozent der Weltproduktion. Die weltweite Versorgung mit PGM ist damit von zwei Ländern mit potenziell instabilen politischen und ökonomischen Verhältnissen abhängig“, so de Man und Reller. Mehr als die Hälfte der Palladiumproduktion werde für Katalysatoren verwendet. Bei Platin sei das etwas weniger. Fast die gesamte Rhodiumproduktion werde für Katalysatoren verwendet. „Für ein Gramm PGM werden ungefähr 300 Kilogramm Erz verarbeitet, für einen modernen Katalysator mit 20 Gramm PGM insgesamt bis zu 6.000 Kilogramm. Bei einer Haltbarkeit von 150.000 Kilometern sind das 40 Gramm pro Kilometer“, so die Autoren. Der Marktführer für Palladium ist die Firma Norilsk Nickel in Sibirien. Sie liefert zwei Drittel der weltweiten Palladiumproduktion. Ihre Kunden sind internationale Automobilkonzerne. Das Unternehmen wurde vor 70 Jahren von Stalin als Gefangenenlager gegründet. Seitdem hat sich die Firmengeschichte von Norilsk zu einer Erfolgsstory der russischen Industrie entwickelt.
„Im Umweltschutz dagegen hat sich seit den Kriegsjahren wenig getan: Die russische Bergbauindustrie ist die schmutzigste Industrie weltweit – Norilsk die meist verschmutzte Stadt Russlands und wahrscheinlich der ganzen Welt. Die Metalle werden mit veralteter Technologie aus dem schwefelhaltigen Erz gewonnen. Der Schwefeldioxid-Ausstoß von Norilsk wird auf 2,8 Mio. Tonnen geschätzt – das entspricht etwa dem gesamten SO2-Ausstoß in Deutschland. Dazu kommen Schwermetallemissionen und eine unvorstellbare Boden- und Wasserverschmutzung. Die Norilsk-Emissionen schädigen die Wälder in einem Umkreis von 7.520 Quadratkilometern, die Schwermetalle aus der sibirischen Stadt sind noch in Kanada und Skandinavien nachweisbar. Ein Teil der in Norilsk gewonnenen Erze wird auf der Kola-Halbinsel, nicht weit von Norwegen weiterverarbeitet. Der Transport dorthin findet mit atomkraftgetriebenen Eisbrechern nach Murmansk statt. Die Anlagen auf der Kola-Halbinsel sind ebenso veraltet wie die in Norilsk. Auch hier entwickelt sich eine Umweltkatastrophe, die wegen der Nähe zu Norwegen und Finnland allerdings mehr Aufmerksamkeit aus dem Westen erhält als die Probleme in Norilsk. Metalle verseuchen den Boden, aus der Tundralandschaft entsteht nach und nach eine Wüste. Wenn hier nichts passiert, ist die Natur für wenigstens 500 Jahre zerstört“, kritisieren de Man und Reller.
Auch beim Gebrauchs der Katalysatoren würden Umweltbelastungen auftreten. „In der Nähe von Straßen sind stark erhöhte PGM-Konzentrationen messbar und entsprechen dem Mengenverhältnis im Katalysator. Obwohl meist angenommen wird, dass die Umwelt- und Gesundheitsrisiken der PGM-Emissionen niedrig sind, bestehen Sorgen über die gute Wasserlöslichkeit extrem fein verteilter PGM-Teilchen und über die möglich damit verbundene Bioverfügbarkeit. Aber auch wenn solche Risiken ausgeschlossen werden können, entsteht dennoch ein großes Problem. Die äußerst seltenen PGM verteilen sich in die Umwelt und können nie rückgeholt werden. Bei einem Verlust von 20 Prozent bei jedem Katalysator wird bei vier Recyclingvorgängen bereits fast 60 Prozent in die Umwelt verteilt sein“, führen de Man und Reller weiter aus.
Vier Faktoren werden zu einem verstärkten Verbrauch dieser Metalle führen: die Zahl der Autos nimmt weltweit zu, mehr Länder werden Katalysatoren vorschreiben, pro Katalysator wird in Zukunft mehr PGM verwendet und durch die Einführung von Brennstoffzellen, die ebenfalls PGM benötigen, wird die Nachfrage zusätzlich zunehmen. „Diese Faktoren sind mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, aber bereits eine qualitative Betrachtung der jeweiligen Trends macht plausibel, dass eine Zunahme der Nachfrage um einen Faktor vier in den kommenden 25 Jahren durchaus zu den Möglichkeiten gehört. Diese Situation wird auftreten, wenn die Nachfrage nach Pkws in den Entwicklungsländern stark zunimmt und zugleich die Brennstoffzellentechnologie einen Durchbruch erlebt. Dabei ist angenommen, dass die Brennstoffzellen mit relativ wenig PGM auskommen. Wenn aber eine höhere Menge PGM pro Brennstoffzelle gebraucht wird, könnte sich die Nachfrage nach PGM innerhalb von 25 Jahren sogar verzehnfachen“, prognostizieren de Man und Reller. Im Interesse der Umwelt und der Industrie müssten diese Risiken minimiert werden. Eine Strategie dazu sollte kurzfristig die Umweltbelastung bei der Produktion – vor allem in Russland – stark reduzieren, mittelfristig die Forschung nach potenziellen Umwelt- und Gesundheitsrisiken maximal fördern und längerfristig Technologien entwickeln, die zu einer Reduzierung des PGM-Gebrauchs oder einer Substitution führen.
„Kurzfristig müssen Automobil- und Katalysatorhersteller mit den Metalllieferanten zusammenarbeiten und gemeinsam einen Minimumstandard für nachhaltige PGM-Produktion definieren und implementieren. Vorrangig geht es um die Sanierung der russischen Anlagen. Es gibt bereits eine Kooperation zwischen Norwegen und Russland für die Sanierung der Metallwerke auf der russischen Kola-Halbinsel. Die unmittelbar durch die russischen Emissionen betroffenen Norweger zahlen 30 Mio. Euro und liefern zusätzlich günstige Kredite. Für die Sanierung der Anlagen in Norilsk sind aber erheblich höhere Investitionen notwendig. Hier sollte die westliche Industrie aus eigenem Interesse aktiv werden“, fordern de Man und Reller.
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