Der Meeres-Superrechner
Thomas Frölicher verbindet seine Freude an Mathematik mit der Liebe zur Natur und entwickelt Klimamodelle, um Auswirkungen von Treibhausgasen auf die Ozeane zu berechnen.
Was macht das Plakat zum Kinderbuch «Globi und die Energie» an der Türe zum Büro von Thomas Frölicher? «Die Autoren haben mich für ein Fact-Checking angefragt. Natürlich habe ich zugesagt.» Der Professor für Klima- und Umweltphysik, der auch als leitender Autor an den Uno-Klimaberichten beteiligt ist, ist sich für die Mitarbeit an Kinderbüchern nicht zu schade. Das passt zu seinem äusseren Auftreten: Mit T-Shirt und Turnschuhen, wirkt er wie jemand, der lieber mit seinen Kindern im Wald spaziert, als mit Expertinnen und Experten in Konferenzräumen zu sitzen.
Frölichers wichtigstes Arbeitsinstrument ist der Computer. Für seine Modellierungen reicht der einfache PC auf seinem Pult aber nicht aus, dafür braucht er leistungsstarke Supercomputer, wie diejenigen am Nationalen Hochleistungsrechenzentrum (CSCS) in Lugano. Dort installiert er die Klimamodelle, die seine Gruppe mitentwickelt. Oft dauern solche Berechnungen zwei bis drei Monate. Am Ende laden sich die Forschenden die Daten wieder auf den PC im Büro herunter und werten sie dort aus. Das dauert dann oft nochmals mehrere Monate.
Experimentierfreude und Flair für Mathematik
Als Kind begleitete Frölicher häufig seinen Vater, einen Elektroingenieur und Tüftler, wenn sich dieser in den Keller zurückzog, um physikalische Experimente aufzubauen. Dort erlebte er erstmals die Freude am Experimentieren, während sich in der Schule zeigte, dass er ein grosses Flair für komplexe Rechnungen besass. Zugleich wuchs seine Liebe zur Natur. Die Sommerferien verbrachte er oft in den Bergen. Später leitete er Jugendlager mit bis zu 50 Jugendlichen. «Das hat mich geprägt», sagt Frölicher. «Ich habe gelernt, Verantwortung zu übernehmen, eine Gruppe zusammenzuhalten. Das kommt mir bis heute zugute.» Im Frühling war er mit seinem Team am Bielersee zum Velofahren, letztes Jahr zum Wandern am Oeschinensee. Mindestens einmal pro Woche, meist dienstags, geht er mit seiner sechsköpfigen Gruppe mittagessen.
Frölicher studierte an der ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften. «Ich sah darin eine gute Möglichkeit, mein Interesse für Mathematik mit meiner Faszination für die Natur zu verbinden.» Im Studium spezialisierte er sich auf Atmosphärenphysik, für sein Doktorat an der Universität Bern erweiterte er den Horizont aufs gesamte Erdsystem, zu dem auch die Ozeane gehören. Dabei interessierte er sich vor allem für den Sauerstoffgehalt im Meer und wie dieser über die Zeit variiert. «Das war damals noch ein junges Forschungsgebiet, und die Unsicherheiten waren gross», erinnert sich Frölicher. «Wir wussten nicht genau, welche Schwankungen natürlich waren und welche Veränderungen durch menschliche Einflüsse verursacht wurden.» Heute ist klar: Der Sauerstoffgehalt im Ozean hat seit 1960 um ein bis drei Prozent abgenommen. Das hat auch grosse Auswirkungen auf die Ökosysteme und die Fischerei. Fische meiden sauerstoffarme Gewässer, sie ziehen weiter, und die Netze der Fischer bleiben leer.
Zwischen 2010 und 2013 war Thomas Frölicher Posdoc an der Universität Princeton in der Nähe von New York. Dort waren in den 60er- und 70er-Jahren die ersten Atmosphären- und Ozeanmodelle entwickelt worden. Auch Syukuro Manabe forschte und lehrte dort, der 2021 für seine bahnbrechenden Klimamodellierungen mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde. «Wir trafen uns öfter zum Mittagessen und er interessierte sich sehr dafür, an was die jungen Leute forschen.» In Princeton fokussierte sich Frölicher auf die Modellierung von Veränderungen in den Stoffflüssen im Südpolarmeer rund um die Antarktis. Die damals verfügbaren Daten stammten vor allem von Expeditionen mit Schiffen. Doch wegen der rauen See und des harschen Klimas finden solche nur im Sommer statt, was eine Datenlücke zur Folge hatte. Die Gruppe, in welcher Frölicher damals forschte, brachte erstmals personengrosse, gelbe Treibbojen aus, die fortan kontinuierlich Daten zu Säure- und Sauerstoffgehalt sowie Temperaturen ins Labor sendeten. Die Forschenden trugen damit wesentlich zur Erkenntnis bei, dass 75 Prozent der zusätzlichen, durch menschengemachte Treibhausgase verursachte Wärme aus dem Klimasystem und 15 Prozent der menschgemachten CO2-Emissionen durch das Südpolarmeer absorbiert werden.
1600 Kilometer grosse Warmwasserblase
2018 publizierte Frölicher, nun bereits SNF-Assistenzprofessor an der Universität Bern, eine Studie im Fachmagazin Nature. Darin berechnete er, dass Hitzewellen in den Ozeanen aufgrund des Klimawandels bereits doppelt so wahrscheinlich sind wie noch vor 40 Jahren, als zum ersten Mal die Temperaturen der Meeresoberfläche mit Satelliten gemessen wurden. Weiter zeigten Frölicher und sein Team, dass sich diese Wahrscheinlichkeit mit jedem zusätzlichen Zehntelgrad an globaler Erwärmung weiter erhöhen wird. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde die Relevanz solcher marinen Hitzewellen erstmals vor zehn Jahren bewusst. Eine ungewöhnlich lang andauernde Warmwasserblase – Spitzname: «The Blob» – hatte sich vom Winter 2013/2014 bis Ende 2015 auf der Wasseroberfläche des Nordpazifiks ausgebreitet. Diese hatte zeitweise einen Durchmesser von bis zu 1600 Kilometern und verfügte über Temperaturen von mehr als drei Grad Celsius über dem langjährigen Durchschnitt. Gleichzeitig war der Sauerstoffgehalt in der Blase extrem niedrig und der Säuregehalt hoch, was sich negativ auf Ökosysteme und Fischpopulationen auswirkte. «Solche kombinierten Extremereignisse im Ozean werden in Zukunft häufiger vorkommen. Wir versuchen deshalb zunehmend, diese in ihren Wechselwirkungen zu modellieren.»
Frölicher gesteht, dass er – obschon er sich tagtäglich rechnerisch mit dem Ozean auseinandersetzt – selbst nur wenig praktische Meereserfahrung hat. Er war selbst noch nie auf einer Expedition. Und das Segelboot, das er sich mit Freunden teilt, liegt weder am Atlantik noch am Pazifik, sondern am Bielersee. Dorthin zieht er sich gerne zur Erholung zurück oder macht bei Schwimmwettbewerben zur Seeüberquerung mit. Eine Antarktisexpedition oder ein Segelturn auf dem Ozean würden ihn zwar durchaus reizen, doch fehle dafür aktuell schlicht die Zeit. Brütet Frölicher nämlich mal gerade nicht über einem mathematischen Modell, halten ihn seine beiden Kinder auf Trab.
Der Text dieser Medienmitteilung, ein Downloadbild und weitere Informationen stehen auf der Webseite des Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Abteilung Kommunikation
E-Mail: com@snf.ch
Weitere Informationen:
https://www.snf.ch/de/lX5CKU0zMlNdygF4/news/der-meeres-superrechner
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