HSBI und Uni Tübingen entwickeln Glyphosat-Alternative
Glyphosat vernichtet zuverlässig unerwünschte Pflanzen, ist weltweit im Einsatz – und seit Jahren wegen seiner negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit heftig umstritten. Lange Zeit stand ein Verbot des Herbizids in Deutschland und eventuell sogar in der ganzen EU im Raum. Gut, dass eine bessere Alternative in Sicht ist: Promovierende der HSBI arbeiten in einem vom BMBF geförderten Kooperationsprojekt mit der Universität Tübingen an einem umweltfreundlichen Herbizid auf Basis eines natürlichen Zuckers aus Blaualgen. Die Zwischenergebnisse sind vielversprechend.
Fein säuberlich beschriftet, stehen die Zentrifugenröhrchen aufgereiht in ihrer Halterung im Labor für Biochemie und Mikrobiologie der Hochschule Bielefeld (HSBI). Celina Beermann streift sich ihren weißen Laborkittel über. Sie nimmt eines der Röhrchen heraus, schüttelt es ein paar Mal routiniert und hält es prüfend gegen das Licht: Kleine durchsichtige Kapseln wirbeln durch eine Flüssigkeit. Beermann lässt ein paar davon auf ihre Handfläche kullern. „Fühlt sich ein bisschen an wie Gummibärchen.“
Der spezielle Zucker wurde erst 2019 an der Uni Tübingen entdeckt
Celina Beermann ist zwar Lebensmittelchemikerin, aber ihre ‚Gummibärchen‘ sollte man besser nicht probieren: In ihnen steckt 7-deoxy-Sedoheptulose (7dSh) – ein besonderer Zucker, der von Blaualgen, genauer: von Cyanobakterien – produziert wird. „7dSh wirkt herbizid, das heißt, er hemmt das Wachstum von Pflanzen“, erklärt Beermann. Klingt nüchtern und wenig spektakulär, bedeutet aber: 7dSh ist eine echte Alternative für Glyphosat, das global eingesetzte und wegen seiner negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit vor dem Verbot stehende Unkrautvernichtungsmittel. Und vor allem: 7dSh ist eine umweltverträgliche Alternative. „Der Zucker ist biologischen Ursprungs, in der Natur abbaubar und nach bisherigen Tests toxikologisch unauffällig“, erläutert Beermann. Ein idealer, nachhaltiger Wirkstoff für den Einsatz in der Landwirtschaft also.
Wie aus dem Wirkstoff 7dSh ein anwendbares Präparat werden kann, wird derzeit in einem Kooperationsprojekt von HSBI und Universität Tübingen erforscht, wo der spezielle Zucker 2019 erstmals entdeckt wurde. Die HSBI wiederum übernimmt im Projekt unter anderem die Aufgabe, eine sogenannte Formulierung zu entwickeln. Formulierung bedeutet in diesem Zusammenhang schlicht die Überführung eines Wirkstoffes in eine in der Praxis anwendbare Form.
DB: Kann der Blaualgen-Zucker Unkraut aus dem Gleisbett fernhalten?
An der Zusammenarbeit ist die Deutsche Bahn nicht ganz unschuldig: „Die Bahn hatte einen Workshop veranstaltet, um über Alternativen zum Glyphosat-Einsatz im Gleisbett zu diskutieren“, erzählt Prof. Dr. Anant Patel, Vizepräsident für Forschung und Entwicklung der HSBI, der seit vielen Jahren zu natürlichen Pestiziden forscht und veröffentlicht. Als Experte für Fermentation und Formulierung biologischer und chemischer Stoffe war Patel Teilnehmer des Workshops und wurde hellhörig, als Tübinger Forscher den Wirkstoff 7dSh vorstellten, der von Cyanobakterien produziert wird. Patel: „Wirkung und Umwelteigenschaften überzeugten sofort.“
Nur, wie gelangt der Wirkstoff in ausreichender Menge dorthin, wo er gebraucht wird, auf die Pflanze oder in den Boden? Hier konnte Patel seine Expertise einbringen: „Mit der entsprechenden Formulierung, als Granulat oder Sprüh-Lösung, wird die Anwendung unterstützt“, erklärt Patel und ergänzt mit einem Augenzwinkern: „Manche sagen auch, die Formulierung macht die Anwendung erst möglich.“ Schnell war klar: Tübinger und Bielefelder Kompetenzen ergänzten sich hervorragend, um 7dSh zu einem marktreifen und konkurrenzfähigen Präparat weiterzuentwickeln. Ein gemeinsames Projekt war beschlossene Sache, und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gab seinen Segen und die notwendige finanzielle Unterstützung. „Das Projekt füllt die Lücke zwischen Grundlagenforschung und Anwendung“, ordnet Patel den Forschungsbeitrag ein.
Proben werden zwischen Bielefeld und Tübingen hin- und hergeschickt
An der Uni Tübingen werden nun der genaue Wirkmechanismus von 7dSh geklärt, die öko-toxikologischen Effekte im Vergleich zu Glyphosat gemessen und 7dSh-tolerante Varietäten entwickelt. „Schließlich sollen die Nutzpflanzen ja weiterwachsen“, sagt Celina Beermann. Sie selbst arbeitet als Promovierende in Prof. Patels Arbeitsgruppe an der optimalen Formulierung, wozu ein geeignetes Trägermaterial gehört. Für das Granulat hat Beermann verschiedene Materialien getestet: „Wichtig ist natürlich, dass sie ebenfalls biologischen Ursprungs sind und problemlos abgebaut werden.“ Die durchsichtigen Kapseln etwa bestehen aus nachwachsenden Rohstoffen. Dann geht es an den Inhalt: „Wie viel Zucker bekomme ich in so eine Kapsel hinein, und wie schnell löst sie sich auf? Der Wirkstoff soll am besten kontinuierlich über einen langen Zeitraum abgegeben werden, denn die Landwirte können ja nicht täglich das Präparat ausbringen“, erklärt Beermann.
Die 27-Jährige öffnet ein hohes Gerät, dünne Schläuche werden sichtbar, ein Träger voller Injektionsfläschchen, eine Messapparatur. Mit der HPLC – das steht für High Pressure/Performance Liquid Chromotography, kann sie die Konzentration des Wirkstoffs in der Flüssigkeit messen. Ist Beermann mit dem Ergebnis zufrieden, schickt sie die entsprechenden Proben nach Tübingen. „Dort wird die Formulierung an den Pflanzen überprüft. Denn was im Labor gut funktioniert, kann sich in der Praxis ganz anders verhalten.“
Wie lässt sich das umweltfreundliche Herbizid in großem Maßstab herstellen?
Das gilt auch für den Maßstab. Lässt sich die Zuckermenge für den Laborbedarf noch gut finanzieren, wäre es für den Einsatz in der Fläche noch zu teuer. Hier setzt der Bielefelder Projektteil von Xenia Steurer an. Die Biotechnologin übernimmt quasi den Job der Blaualgen und arbeitet an der Erzeugung von 7dSh im Bioreaktor: „Der Wirkstoff muss wirtschaftlich und in großen Mengen hergestellt werden können, wenn er in der Praxis eingesetzt werden soll.“ Die Aussicht auf die tatsächliche spätere Anwendung ist genau das, was die Doktorandin antreibt: „Mir ist wichtig, dass meine Forschung zum Umweltschutz beitragen kann und der Wirkstoff eventuell von einem Unternehmen als nachhaltiges Herbizid verkauft wird.“ Beermann stimmt zu: „Der Anwendungsbezug ist besonders reizvoll an unserer Forschung.“
Und damit sind sie auf einem guten Weg. Der ständige Austausch in der Projektgruppe und das Ineinandergreifen der verschiedenen Teilprojekte hat zu vielversprechenden Zwischenergebnissen geführt. Xenia Steurer konnte die Produktionsmenge bereits über die Erwartungen hinweg steigern, und Celina Beermanns Formulierungen steuern die Wirkung immer besser. Auch die Fachwelt ist auf die Bielefeld-Tübinger Forschung aufmerksam geworden: Unlängst wurde Xenia Steurer für ihren Vortrag auf einem internationalen Umweltsymposium für Biotechnologie und Ingenieurwesen ausgezeichnet. Beide Doktorandinnen haben bereits die Möglichkeit genutzt, auf internationalen Konferenzen ihre Ergebnisse zu präsentieren, so auf den Tagungen der Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie Dechema in Aachen, Berlin und Granada, auf der Deutschen Pflanzenschutztagung in Göttingen und den Deutschen Lebensmittelchemikertagen in Hamburg. Der nächste Schritt führt in die Wirtschaft. Anant Patel: „Das Interesse der Unternehmen ist groß und eine Zusammenarbeit nach erfolgreichem Projektabschluss geplant.“
Weitere Informationen:
https://www.hsbi.de/presse/pressemitteilungen/hsbi-und-uni-tuebingen-entwickeln-… Pressemitteilung auf www.hsbi.de
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