Industrielle Aktivitäten in der Arktis nehmen rasant zu

Pan-Arktische Karte, die unbeleuchtete und beleuchtete Gebiete mit signifikant zunehmender oder abnehmender lichtemittierender menschlicher Aktivität von 1992 bis 2013 zeigt.
Bild: Cengiz Akandil, Universität Zürich; Natural Earth

Mehr als 800’000 km2 der Arktis waren 2013 von menschlichen Aktivitäten betroffen, wie Satellitendaten von künstlichem Licht in der Nacht zeigen. Durchschnittlich gehen 85 Prozent der lichtverschmutzten Gebiete auf industrielle Aktivitäten und nicht auf Siedlungsfläche zurück. Für das internationale Forscherteam unter UZH-Leitung sind die Ergebnisse entscheidend für die nachhaltige Entwicklung und den Naturschutz in dieser äusserst gefährdeten Region.

Die Arktis ist vom starken Klimawandel bedroht: Die Durchschnittstemperatur ist seit 1979 um etwa 3°C gestiegen – fast viermal schneller als im globalen Mittel. Die Region um den Nordpol beherbergt einige der empfindlichsten Ökosysteme der Welt und war über Jahrzehnte nur geringen Störungen durch menschliche Aktivitäten ausgesetzt. Die Erwärmung hat das Land in der Arktis zugänglicher gemacht und damit industrielle und städtische Entwicklungen gefördert. Zu verstehen, welche Art von menschlichen Aktivitäten wo stattfindet, ist der Schlüssel, um eine nachhaltige Entwicklung in der Region zu gewährleisten – sowohl für die Menschen als auch für die Umwelt. Doch eine umfassende Bewertung dieses Teils der Welt fehlte bislang.

Mehr als fünf Prozent der Arktis zeigen Anzeichen menschlicher Aktivität

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Gabriela Schaepman-Strub vom Institut für Evolutionsbiologie und Umweltstudien der Universität Zürich (UZH) bringt nun Licht in diese Frage. Zusammen mit US-Kollegen der NASA und der University of Wisconsin-Madison nutzten die UZH-Forschenden Satellitendaten von künstlichem Licht in der Nacht, um Hotspots und die Entwicklung menschlicher Aktivitäten in der Arktis von 1992 bis 2013 zu quantifizieren. «Mehr als 800’000 km2 waren von Lichtverschmutzung betroffen. Das entspricht 5,1 Prozent der analysierten 16,4 Millionen km2 mit einer jährlichen Zunahme von 4,8 Prozent», sagt Schaepman-Strub. Mit dem neuen, standardisierten Ansatz konnten die Forschenden die industriellen Aktivitäten im gesamten Arktisraum ermitteln – unabhängig von wirtschaftlichen Daten.

Die europäische Arktis sowie die Öl- und Gasfördergebiete im US-Bundesstaat Alaska und in Russland waren Hotspots menschlicher Aktivitäten. Bis zu einem Drittel der Landfläche war in diesen Regionen beleuchtet. Im Vergleich dazu war die kanadische Arktis nachts weitgehend dunkel. «Wir fanden heraus, dass im Durchschnitt nur 15 Prozent der beleuchteten Fläche in der Arktis menschlichen Siedlungen entsprachen. Das bedeutet, dass der grösste Teil des künstlichen Lichts wohl auf industrielle Aktivitäten statt städtischer Entwicklung zurückzuführen ist. Und diese Hauptquelle der Lichtverschmutzung nimmt jedes Jahr flächenmässig und in der Intensität zu», sagt Erstautor Cengiz Akandil, Doktorand im Team von Schaepman-Strub.

Auswirkungen auf terrestrische Ökosysteme und regionale Nachhaltigkeit

Den Forschenden zufolge bilden diese Daten eine wichtige Grundlage für künftige Studien über die Auswirkungen der industriellen Entwicklung auf die arktischen Ökosysteme. «In der empfindlichen Permafrostlandschaft und dem Tundraökosystem können schon das wiederholte Trampeln durch den Menschen und erst recht die Spuren von Tundrafahrzeugen langfristige Umweltauswirkungen haben. Diese gehen weit über den von den Satelliten erfassten, beleuchteten Bereich hinaus», so Akandil.

Die negativen Auswirkungen von industriellen Aktivitäten und Lichtverschmutzung sind für die Artenvielfalt in der Arktis absolut kritisch. Künstliches Licht in der Nacht verringert etwa die Fähigkeit arktischer Rentiere, ihre Augen an das extreme Blau der Winterdämmerung anzupassen. Was ihnen normalerweise ermöglicht, Nahrung zu finden und Raubtieren zu entkommen. Ausserdem verzögert nächtliches Kunstlicht die Blattfärbung und das Aufbrechen der Blattknospen, was für die arktischen Arten wegen der begrenzten Wachstumszeit entscheidend ist. Zudem begünstigen menschliche Aktivitäten die Ausbreitung invasiver Arten, und die Öl- und Gasförderung führt häufig zu Umweltverschmutzung – ebenso wie der Bergbau, der auch expandiert.

Dokumentation industrieller Aktivitäten entscheidend für nachhaltige Entwicklung

Die Auswirkungen des raschen Klimawandels in der Arktis erfordern eine schnelle Anpassung der lokalen Gemeinschaften. Und die industrielle Entwicklung könnte diesen Anpassungsbedarf weiter erhöhen – mit steigenden Kosten für Gesellschaft und Umwelt. In den kommenden Jahrzehnten könnten die direkten Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die arktischen Ökosysteme die Folgen des Klimawandels gar übertreffen – oder zumindest verschärfen, schätzen die Forschenden. Hält die Wachstumsrate der industriellen Entwicklung zwischen 1940 und 1990 an, könnten bis 2050 50–80 Prozent der Arktis ein kritisches Niveau menschenverursachter Störungen erreichen.

«Unsere Analysen der räumlichen Variabilität und der Hotspots der industriellen Entwicklung sind entscheidend, um die industrielle Entwicklung in der Arktis zu überwachen und zu planen. Diese Informationen können indigenen Völkern, Regierungen und Interessenvertretern helfen, ihre Entscheidungen mit den Zielen für die nachhaltige Entwicklung in der Arktis in Einklang zu bringen», betont Gabriela Schaepman-Strub.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. sc. nat. Gabriela Schaepman-Strub
Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften
Universität Zürich
+41 44 635 48 06
+41 79 843 26 82
gabriela.schaepman@ieu.uzh.ch

Cengiz Akandil, Doktorand
Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften
Universität Zürich
cengiz.akandil@ieu.uzh.ch

Originalpublikation:

Cengiz Akandil et al. Artificial light at night reveals hotspots and rapid development of industrial activity in the Arctic. PNAS. 21 October 2024. DOI: 10.1073/pnas.2322269121

Weitere Informationen:

https://www.news.uzh.ch/de/articles/media/2024/Arktis.html

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Kurt Bodenmüller Kommunikation
Universität Zürich

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