Ins Herz der Blaualgenblüte: IOW-Segelexpedition „BloomSail“ geht an den Start

Die Blaualgenblüten in der Ostsee sind so massiv, dass sie als blaugrüne Schlieren per Satellit sogar aus dem All zu erkennen sind (z.B. Juli 2008). Besonders bei Gotland sind sie häufig und intensiv. esa / IOW

Bei ruhigem Sommerwetter zeigt sich alljährlich ein Phänomen in der zentralen Ostsee, das zwei der größten Umweltprobleme des Binnenmeeres – die Überdüngung und die Sauerstoffnot am Grund der tiefen Ostseebecken – miteinander verbindet: Es bilden sich die sogenannten Blaualgenblüten.

Das sind Massenentwicklungen von im Wasser schwebenden Cyanobakterien, die wie pflanzliche Algen Photosynthese betreiben und darüber hinaus ohne im Wasser gelöste Stickstoff-Pflanzennährsalze auskommen.

Denn sie können den in der Luft vorhandenen Stickstoff in reaktive Verbindungen umwandeln und für ihr Wachstum nutzen. Daher produzieren sie in einer Zeit, in der andere Algen die für das Wachstum essenziellen Stickstoffverbindungen im Wasser aufgebraucht haben, dicke Algenteppiche, die sogar aus dem All per Satellit deutlich sichtbar sind.

Ermöglicht wird die massenhafte Vermehrung auch durch Phosphor, der durch die Überdüngung der Ostsee im Überschuss vorhanden ist. Nach ihrem Absterben sinken die Blaualgen auf den Meeresboden, wo andere Bakterien sie zersetzen und dabei den verfügbaren Sauerstoff verbrauchen. Damit tragen die jährlichen Blaualgenblüten maßgeblich zur Entstehung der sogenannten Todeszonen am Ostseegrund bei.

Trotz ihres regelmäßigen Auftretens und ihrer großen Bedeutung für das Ökosystem Ostsee gibt es erstaunlich viele Wissenslücken in Bezug auf Blaualgenblüten. Welche Faktoren-Kombination genau – etwa in Bezug auf Witterung, Nährstoffverhältnisse, Salzgehalt und Wassertemperatur – begünstigt initial die Entstehung der hochsommerlichen Blüten in der zentralen Ostsee? Wie ist die Entwicklungsdynamik von Biomasseaufbau und Biomassezersetzung innerhalb einer Blaualgenblüte?

Wie verteilen sich Blaualgenblüten nicht nur an der Oberfläche sondern auch in den tieferen Wasserschichten? Zwar ist man seit einigen Jahrzehnten in der Lage, die Flächenverteilung im Oberflächenwasser über Satellitendaten und automatisierte Messungen an Bord von Fährschiffen zu erfassen.

Systematische Versuche, die genannten Wissenslücken mit Vorort-Messungen zu schließen, scheiterten aber bislang daran, dass der genaue Zeitpunkt des Blütenbeginns nicht vorhersagbar und es organisatorisch wie finanziell unmöglich ist, Forschungsschiffe für unbestimmte Zeit auf der Suche nach Blaualgenblüten in der zentralen Ostsee kreuzen zu lassen.

Hier setzt die „BloomSail“-Expedition von Jens Müller an. Ausgehend von seinem Basishafen Herrvik auf Gotland wird der IOW-Meereschemiker in der Blaualgen-Hauptsaison von Anfang Juni bis Ende August mit dem Segelboot Tina V auf täglichen Törns zur Messstation BY15 im Gotlandtief ein Messprogramm in verschiedenen Wassertiefen durchführen, um das, was an der Wasseroberfläche per Satellit und dem automatisierten Fähren-Messprogramm erfasst wird, durch Messungen im tieferen Wasser zu ergänzen.

So soll die gesamte Dynamik der pulsartig innerhalb weniger Tage einsetzenden und sich oft rasant weiterentwickelnden Blaualgenblüte erfasst und beschrieben werden. „Dabei kommen mir die Vorteile eines Segelbootes zu Gute: Ich kann flexibel genau dann vor Ort sein, wenn die Blaualgen so richtig loslegen. Große Forschungsschiffe, die 1 -2 Jahre im Voraus verplant werden, können das einfach nicht“, erläutert Müller, der bei seinen Arbeiten von jeweils zwei im 2-Wochen-Takt wechselnden Crew-Mitgliedern unterstützt wird.

„Es wird Geduld und auch etwas Glück brauchen, in so einem relativ großen Zeitfenster erfolgreich auf ‚Blütenjagd‘ zu gehen, aber ich kann mir kaum einen besseren Sommerarbeitsplatz vorstellen“, fügt der begeisterte Segler augenzwinkernd hinzu.

Herzstück des BloomSail-Expeditionsprogramms sind wiederholte Messungen des CO2-Partialdruckes zur Erfassung der Blaualgenbiomasse. Denn wenn Blaualgen wachsen, also Photosynthese betreiben und Biomasse aufbauen, nehmen sie CO2 aus dem Wasser auf.

Umgekehrt führt die Zersetzung von Biomasse zur Freisetzung von CO2. Verfolgt man die Schwankungen des CO2-Gehaltes im Meerwasser, kann man präzise Rückschlüsse auf die jeweilige Biomasseentwicklung ziehen. Zusätzlich werden aus einzelnen Wasserproben Algen filtriert, um eine direkte Bestimmung des organischen Materials und seiner Zusammensetzung zu ermöglichen. Um besser zu verstehen, welche Bedingungen die Entwicklung der Blaualgenblüten kontrollieren, werden auch die Temperatur, der Salzgehalt und die Nährstoffkonzentrationen analysiert.

„Mitte September, wenn wir zurück im Heimathafen Warnemünde sind, kann die ausführliche Proben- und Datenauswertung beginnen. Wir werden dann viel genauer wissen, wie eine Blaualgenblüte tatsächlich ‚tickt‘. Wenn wir ihre zeitliche und räumliche Dynamik auch in tieferen Wasserschichten besser verstehen, kann dies ein wichtiger und ganz grundlegender Puzzlestein für die unterschiedlichsten Modellierungen und Ökosystemanalysen in der Ostsee sein“, so Jens Müller abschließend.

Finanziert wird die BloomSail-Expedition vom IOW und im Rahmen des EU-Projektes BONUS Integral (kurz für „Integriertes Kohlenstoff- und Spurengas-Monitoring für die Ostsee“; weitere Infos unter: http://www.io-warnemuende.de/integral-home.html). Jens Müller erhält darüber hinaus ein „Early Career“-Stipendium von National Geographic für sein BloomSail-Projekt.

## Wissenschaftlicher Kontakt:
Dr. Jens Müller | jens.mueller@io-warnemuende.de

Ausführliche Infos zum BloomSail-Projekt unter:
http://www.io-warnemuende.de/Tina-V-Home-de.html

## Kontakt IOW-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit:
Dr. Kristin Beck | Tel.: 0381 – 5197 135 | kristin.beck@io-warnemuende.de
Dr. Barbara Hentzsch | Tel.: 0381 – 5197 102 | barbara.hentzsch@io-warnemuende.de

Das IOW ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, zu der zurzeit 93 Forschungsinstitute und wissenschaftliche Infrastruktureinrichtungen für die Forschung gehören. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften. Bund und Länder fördern die Institute gemeinsam. Insgesamt beschäftigen die Leibniz-Institute etwa 19.100 MitarbeiterInnen, davon sind ca. 9.900 WissenschaftlerInnen. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Mrd. Euro.

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