Mit dem Staubsauger auf die Bergwiese

Anne Kempel identifiziert und zählt Pflanzen oberhalb der Clavadeleralp. (Foto: Jochen Bettzieche / SLF)

Biodiversität am Jakobshorn – SLF-Biologinnen und Biologen untersuchen das Wechselspiel von Pflanzen und ihren Feinden.

Anne Kempel pflückt ein Kleeblatt und zeigt auf kleine Löcher: «Hier, das war ein Insekt.» Gleich darauf hält sie ein weiteres Blatt in der Hand, rostbraun verfärbt: «Und hier, ein Rostpilz, ist der nicht hübsch?» Auch für Gänge von Fliegenlarven in Blättern begeistert sich die Biologin aus der Forschungsgruppe Gebirgsökosysteme am SLF.

Sie sitzt in einer Blumenwiese oberhalb der Clavadeleralp an den Hängen des Jakobshorns. Für das grandiose Bergpanorama hat sie kaum Zeit. Stattdessen beugt sie sich mit der Lupe in der Hand über einen Metallrahmen und bestimmt Blumen und Gräser. Mit blauen und gelben Stäben in den Gemeindefarben hat sie ihr Versuchsfeld abgesteckt. Das Thema Biodiversität treibt derzeit viele um. Hier ist diese besonders ausgeprägt. «Wir wollen verstehen, wie diese Wiese funktioniert und wie sie sich im Klimawandel verändern wird», sagt die Biologin.

Gäbe es nur Pflanzen, müsste sich langfristig eine Art durchsetzen. Aber dem ist nicht so, das zeigt schon ein Blick auf ihre Parzelle. Blüten leuchten in verschiedenen Farben, gelbe Butterblumen, blauer Enzian, hellblaue Vergissmeinnicht und vieles mehr bilden eine bunte Frühlings-Bergwiese. Dass keine Art dominiert, liegt an ihren Feinden: Insekten, Schnecken und Pilzen. Diese sorgen für einen ausgewogenen Pflanzen-Mix am Hang. «Bislang hat aber noch niemand detailliert untersucht, wie wichtig diese drei für Biodiversität und Ökosysteme sind», beschreibt Kempel die Motivation für ihre Forschung. Eingebettet ist ihre Arbeit in das internationale Bug-Network, zu Deutsch Insektennetzwerk. Auf 40 Flächen von Skandinavien über Griechenland bis Südamerika und Neuseeland gehen Forschende der gleichen Frage nach. Diese Areale sind überall gleich, unterteilt in 24 Parzellen à 25 Quadratmeter. Mal ohne Insekten, mal ohne Schnecken, mal ohne Pilze, jeweils Kombinationen davon sowie Kontrollflächen, auf denen alle drei Arten ungestört vorhanden sind.

So wollen die Forschenden zahlreiche Details untersuchen und Erkenntnisse gewinnen, die global gültig sind. «Wenn wir alle Feinde ausschliessen, nehmen dann manche Pflanzenarten überhand, und die Biodiversität geht zurück?», nennt Kempel ein Beispiel.

In Davos betreibt sie drei Versuchsfelder, am Jakobshorn, oberhalb der Clavadeleralp und im Tal. So erforscht sie auch, wie sich lokale Temperaturunterschiede auswirken. «Mit speziellen Erwärmungskammern wollen wir darüber hinaus analysieren, wie sich unsere Bergwiesen verändern, wenn die Temperaturen im Rahmen des Klimawandels steigen», sagt Kempel.

Fünf Jahre wird es mindestens dauern, bis endgültige Ergebnisse vorliegen. Bis dahin wird sie immer wieder auf die Areale ziehen. Im Frühsommer, um die Wiese zu mähen. Ab dem Frühjahr, sobald der Schnee geschmolzen ist, einmal pro Monat, um Schnecken, Insekten und Pilze von den entsprechenden Parzellen zu entfernen und einmal pro Jahr für die Analyse. Dann zählen und bestimmen die Forschenden Pflanzen und Tiere. Um keins der vorhandenen Tiere zu übersehen, verwenden sie eine spezielle Methode, erläutert Kempel: «Wir gehen mit dem Staubsauger über die Wiese und sammeln damit alle Insekten ein.»

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Anne Kempel, anne.kempel@slf.ch, Tel. +41 81 417 03 53

Weitere Informationen:

http://www.slf.ch/de/projekte/bugnet-a-global-research-network.html
https://www.bug-net.org/

https://www.slf.ch/de/news/2023/06/mit-dem-staubsauger-auf-die-bergwiese.html

Media Contact

Dr. Martin Heggli Medienkontakt WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Davos
Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Ökologie Umwelt- Naturschutz

Dieser Themenkomplex befasst sich primär mit den Wechselbeziehungen zwischen Organismen und den auf sie wirkenden Umweltfaktoren, aber auch im weiteren Sinn zwischen einzelnen unbelebten Umweltfaktoren.

Der innovations report bietet Ihnen interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Klimaschutz, Landschaftsschutzgebiete, Ökosysteme, Naturparks sowie zu Untersuchungen der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen

An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…

Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean

20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….

Resistente Bakterien in der Ostsee

Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…