Neues Konzept soll helfen, Prioritäten im Gewässermanagement zu setzen
Eigentlich hört es sich einfach an: Um in unseren Flüssen die ursprüngliche hohe Artenvielfalt wieder herzustellen, sollten sie renaturiert, also in den ursprünglichen Zustand rückversetzt werden. Doch so einfach ist es nicht: In der Praxis sind diesem Bemühen oft Grenzen gesetzt, zum Beispiel durch historisch/kulturelle oder ökonomische Faktoren.
Hinzu kommt, dass es für die Handelnden vor Ort ungemein schwer ist, aus dem Wust an ökologischen Faktoren, diejenigen herauszufinden, die aus ökologischer Sicht Priorität haben. Viel zu oft werden Handlungsprioritäten nach technischer und finanzieller Machbarkeit festgelegt. Das führt dazu, dass aufwendige Renaturierungsmaßnahmen oft nicht den gewünschten Erfolg bringen. Wie aber sehen die richtigen Maßnahmen aus? Welche Prioritäten sollten gesetzt werden?
Um Entscheidungshilfen zu geben, haben die Forscher das Konzept der ökologischen Simplifizierung entwickelt und exemplarisch an zwei Flusslandschaften getestet. Das Konzept geht davon aus, dass natürliche Flusslandschaften eine hohe Komplexität haben. Diese setzt sich aus unterschiedlichen Komponenten zusammen, insbesondere der räumlichen Heterogenität, der Konnektivität zwischen räumlichen Kompartimenten sowie der historischen Hinterlassenschaft.
Menschliche Aktivitäten beeinflussen diese Komponenten in unterschiedlicher Weise und reduzieren die Komplexität. Das heißt sie simplifizieren das System und verkleinern damit die Anzahl an ökologischen Nischen, in denen Arten zusammen existieren können. Durch die systematische Betrachtung dieser Komplexitätskomponenten können Ursachen der Simplifizierung erkannt und durch Gegenmaßnahmen behoben werden.
So macht es für die Wahl von effizienten Managementmaßnahmen einen großen Unterschied, ob die ökologischen Probleme etwa von einer Umgestaltung des Lebensraums durch Verbauung herrühren oder etwa von einer historischen Belastung durch Chemikalien beziehungsweise von einer Invasion gebietsfremder Arten.
Im Fallbeispiel haben die Wissenschaftler zwei Flüsse näher unter die Lupe genommen, die sich vor allem durch die Dauer der menschlichen Einflussnahme unterscheiden: Ein Flussabschnitt des Missouri River im östlichen Montana (USA) mit vergleichsweise geringer menschlicher Einflussnahme, und die Elbe. Sie fließt durch dicht besiedelte Gebiete mit intensiver landwirtschaftlicher Nutzung, ist als wichtige Schifffahrtstraße ausgebaut und deren Auen sind in weiten Teilen vom Fluss entkoppelt.
Dabei zeigte sich zum Beispiel, dass künstliche Uferbauwerke wie die Buhnenfelder an der Elbe mit Blick auf die biologische Vielfalt optimiert werden können. Haben sie die „richtige“ Form, können sie ökologische Nischen schaffen und die Artenvielfalt erhöhen. Der Vergleich der beiden Flüsse zeigt, dass sich damit zwar nicht die ursprüngliche Nischendiversität eines natürlichen Standortes in vollem Umfang herstellen lässt.
Dennoch nähern sich bestimmte Parameter, wie z.B. die Nahrungsvielfalt für Tiere, durch die Bauwerke dem natürlichen Zustand wieder an. Diese Kenntnisse ermöglichen es, Verluste der Artenvielfalt, die durch die Verringerung des Flussquerschnittes im Zuge der Schiffbarmachung entstanden sind, zu kompensieren.
Die künstliche Erhöhung der Komplexität an der Elbe bringt aber auch neue Probleme mit sich. Zum Beispiel, dass dort Nischen entstehen, in denen sich vor allem invasive Arten ansiedeln können. Diese können nachhaltig die Wiederbesetzung einheimischer Arten erschweren. Somit ist bei Maßnahmen nicht nur auf die Menge der geschaffenen Nischen sondern auch auf deren Qualität für einheimische Arten zu achten.
In der nächsten Zeit heißt es für die Forscher nun, das theoretische Konzept mit konkreten Fallbeispielen und entsprechenden Handlungsempfehlungen zu unterfüttern. Aktuell beschäftigen sie sich in einem internationalen Konsortium etwa mit der Frage, wie sich die ökologische Verträglichkeit von notwendigen Bauwerken in Flüssen verbessern lässt.
Publikation:
Peipoch, Marc; Brauns, Mario; Hauer, F. Richard; Weitere, Markus; Valett, H. Maurice; (2015): Ecological simplification: human influences on riverscape complexity. http://dx.doi.org/10.1093/biosci/biv120
Die Studie wurde gefördert von der National Science Foundation (NSF) der USA.
Weitere Informationen:
Prof. Markus Weitere, Dr. Mario Brauns
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Tel.: +49 (0)391-810-9600, -9140
http://www.ufz.de/index.php?de=14086
https://www.ufz.de/index.php?de=21905
sowie
Prof. H. Maurice Valett, Dr. Marc Peipoch Guell
University of Montana, Montana Institute on Ecosystems and Division of Biological Sciences
Tel. +1 (0) (406) 243-5122
http://hs.umt.edu/dbs/people/?s=Valett3809
http://www.umt.edu/directory/details/8f0990b07012074c51eaea6f974d01ee
oder über
Susanne Hufe (UFZ-Pressestelle)
Tel.: +49 (0)341-235-1630
http://www.ufz.de/index.php?de=640
Weiterführende Links:
AG Nahrungsnetzökologie
https://www.ufz.de/index.php?de=30577
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Ökologie Umwelt- Naturschutz
Dieser Themenkomplex befasst sich primär mit den Wechselbeziehungen zwischen Organismen und den auf sie wirkenden Umweltfaktoren, aber auch im weiteren Sinn zwischen einzelnen unbelebten Umweltfaktoren.
Der innovations report bietet Ihnen interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Klimaschutz, Landschaftsschutzgebiete, Ökosysteme, Naturparks sowie zu Untersuchungen der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes.
Neueste Beiträge
Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen
An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…
Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean
20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….
Resistente Bakterien in der Ostsee
Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…