Ökosystemforschung: Wohin führen Störungen im System?

Einfache Modell-Ökosysteme aus Nährmedium, verschiedenen Bakterienarten und einer Wimpertierchen-Art sollen helfen, die komplexen Wirkungen von Störungen auf Ökosysteme besser zu verstehen. UFZ / André Künzelmann

Ein Störfaktor kommt selten allein – meist wirken gleich mehrere zusammen, wie beispielsweise Klimaextreme, Umweltbelastungen oder das Auftreten von Schädlingen, und führen in Ökosystemen zu komplexen Veränderungen. In wissenschaftlichen Studien wird allerdings häufig nur eine Störung allein betrachtet und geschaut, welche Wirkung sie auf Pflanzen oder Tiere oder Bakterien hat.

„Ein weiteres Problem dabei ist das ‚oder’. Wird beispielsweise nur nach Pflanzen geschaut, werden sowohl direkte als auch indirekte Auswirkungen innerhalb des Nahrungsnetzes nicht berücksichtigt – die aber durchaus gravierend sein können“, sagt Dr. Antonis Chatzinotas, Umweltmikrobiologe am UFZ und Leiter der Studie.

Um die komplexen Wirkungen, die Störungen auf Ökosysteme haben, besser zu verstehen, haben die Forscher ein einfaches Ökosystem in Form eines mikrobiellen Nahrungsnetzes entworfen. Der Vorteil: Mikroben wachsen schnell, haben kurze Generationszeiten, sind gut kontrollierbar, und Störungen können experimentell einfach simuliert werden. Das Modell-Ökosystem der UFZ-Mikrobiologen bestand aus Nährmedium (Nährstoffe), vier verschiedenen Bakterienarten (Beute) und einer Wimpertierchen-Art (Räuber), die sich von Bakterien ernährt.

In verschiedenen Versuchsanordnungen wurden die Mini-Ökosysteme jeweils verschiedenen Störungsereignissen ausgesetzt. Eine Störung wurde durch unterschiedliche Verdünnungen erzeugt, was zu einer Abnahme der Individuenzahl führte. „Die Verdünnungen simulierten unterschiedlich starke Störungsereignisse, die entweder plötzlich und stark oder konstant mit geringer Intensität auftraten“, erklärt Canan Karakoç, UFZ-Doktorandin und Erstautorin der Studie.

Eine weitere Art der Störung war Nahrungsknappheit. Dabei wurde in einer Versuchsanordnung die Nährstoffzufuhr für die Bakterien abrupt gekappt, in einer anderen nach und nach reduziert. Das Forscher-Team untersuchte dann, welche Auswirkungen die Art der Störung auf die Bakterienanzahl hatte und ob und wie sich die Bakteriengemeinschaften veränderten. Dabei nahmen sie auch den Einfluss der An- bzw. Abwesenheit von Räubern unter die Lupe.

In Versuchsanordnungen ohne Räuber wurden die Bakterien durch die Störungen nur wenig beeinflusst, und das System erholte sich kurze Zeit nach den Störungsereignissen wieder. Die Modell-Ökosysteme mit Wimpertierchen reagierten dagegen sehr empfindlich auf die Störungen. „Diese führten zunächst zu einer starken Verringerung der Zahl der Wimpertierchen.

Davon profitierten später die Bakterien, denn weniger Räuber bedeuten weniger Fraßdruck. So konnte die Bakterienzahl nach überstandener Störung schnell wieder ansteigen – sogar über das ursprüngliche Maß hinaus“, erklärt Karakoç. Und auch das Verhältnis innerhalb der Bakteriengemeinschaft änderte sich. Zum einen konnten sich vor allem solche Bakterienarten gut vermehren, die mit den wenigen noch vorhandenen Nährstoffen auskamen, zum anderen auch solche, die normalerweise auf dem Speiseplan des Räubers stehen.

„Auf natürliche Ökosysteme übertragen, könnte so eine Entwicklung bedeuten, dass sich beispielsweise Schädlinge nach Störungsereignissen schlagartig vermehren, wenn sie nicht durch Räuber in Schach gehalten werden“, sagt Chatzinotas. „Solche trophischen Interaktionen sind für das Funktionieren eines Ökosystems enorm wichtig und sollten daher in Studien künftig vermehrt berücksichtigt werden.“

Doch nicht nur das Zusammenspiel innerhalb des Nahrungsnetzes spielt eine wichtige Rolle – auch die Zeit. Um herauszufinden, welche Auswirkungen kurz- und welche langfristiger Natur sind, haben sich die Forscher die verschiedenen Versuchsanordnungen jeweils in den Zeiträumen vor, während und nach den Störungsereignissen angeschaut. Dabei zeigte sich, dass sich die Individuenzahl der Bakterien bereits kurz nach den Störungen wieder stabilisierte, wohingegen eine Veränderung der Bakteriengemeinschaft meist langfristig ausgelegt war.

„Stabilität und Erholung nach Störungsereignissen sind weitere wichtige Themen“, sagt Karakoç. „Die Beobachtung im Rahmen von Zeitreihen ist dafür unabdinglich.“ In Felduntersuchungen sind Zeitreihen nur unter hohem Aufwand realisierbar. Mikrobielle Systeme haben den Vorteil, ökologische Fragestellungen im kleinen Maßstab relativ zügig beantworten zu können.

„Die Ergebnisse aus unserer Studie sind natürlich nicht eins zu eins auf reale Ökosysteme übertragbar“, sagt Chatzinotas. „Dennoch zeigen sie, wie komplex schon einfachste Ökosysteme auf Störungen reagieren, und helfen bei der Aufdeckung grundlegender Mechanismen – die vor dem Hintergrund des Globalen Wandels in der Ökosystemforschung künftig vermehrt berücksichtigt werden sollten.“ In zukünftigen Untersuchungen werden die UFZ-Wissenschaftler die Ökosystem-Modelle schrittweise komplexer gestalten sowie hinsichtlich mikrobieller Dienstleistungen, wie etwa Schadstoffabbau, erweitern.

Publikation:
Canan Karakoç, Viktoriia Radchuk, Hauke Harms & Antonis Chatzinotas: Scientific Reports (2018) 8: 2968 http://dx.doi.org/10.1038/s41598-018-21219-x
https://www.nature.com/articles/s41598-018-21219-x

weitere Informationen:
Dr. Antonis Chatzinotas
UFZ-Department Umweltmikrobiologie
antonis.chatzinotas@ufz.de
http://www.ufz.de/index.php?de=39070

http://www.ufz.de/index.php?de=36336&webc_pm=15/2018

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Susanne Hufe Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ

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