Pilz ist nicht gleich Pilz
Wie feine unterirdische Geflechte Schwermetall-Kontaminationen beheben könnten.
Heimische Pilzsammler wissen: Viele Speisepilze in unseren Wäldern sind als Folge der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 immer noch mit Radionukliden belastet. Weniger bekannt ist, dass Pilze auch andere Schwermetalle akkumulieren können. Ein Team des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) hat nun die Besonderheiten der Wechselwirkung von vier verschiedenen Pilzarten mit Europium als nicht radioaktives und chemisches Pendant für bestimmte Actinoide und andere Vertreter der Seltenerd-Elemente erforscht (DOI: 10.1016/j.scitotenv.2022.158160).
Damit entschlüsseln die Wissenschaftler*innen das Migrationsverhalten von Radionukliden in der Umwelt: Details, die sowohl für eine Gefährdungsbeurteilung als auch für die Entwicklung industrieller Sanierungs- oder Gewinnungsverfahren unverzichtbar sind.
„Die Wechselwirkung von Pilzen mit Europium auf molekularer Ebene ist aus radiotoxikologischer Sicht aktuell besonders interessant, da dieses Seltenerd-Element ein Analogon der dreiwertigen Actinoide Americium und Curium ist, wobei insbesondere Americium zukünftig für eine hohe Radiotoxizität in Tschernobyl verantwortlich sein wird“, erläutert Dr. Alix Günther vom Institut für Ressourcenökologie am HZDR. Zwar wurde das sehr gefährliche Radionuklid Americium-241 während der Reaktorexplosion gar nicht freigesetzt. Dafür jedoch Plutonium-241, das mit einer Halbwertszeit von 14,4 Jahren in eben jenes Americium-241 zerfällt. Andere Radionuklide wie Cäsium oder Strontium werden langsam verschwinden – der Americiumgehalt wird jedoch weiter ansteigen und erst geschätzte 70 bis 80 Jahre nach dem Unfall seinen Höchstwert erreichen.
„Außerdem ist das Seltenerd-Metall Europium wichtiger Bestandteil einer Vielzahl von Hightech-Produkten. Während der Gewinnung oder auch durch eine unsachgemäße Entsorgung ist es möglich, dass Europium in die Umwelt freigesetzt wird. Als Analogon zum Calcium kann Europium den Zellstoffwechsel im menschlichen Körper empfindlich stören“, beschreibt Günthers Institutskollege Dr. Johannes Raff die zweite Motivation ihrer gemeinsamen Arbeit. Bei beiden Thematiken stellt sich den Forscher*innen die gleiche Frage: Treten verschiedene Pilzarten mit diesen Schwermetallen auf gleiche Weise in Wechselwirkung?
Die wunderbare Welt der Pilze
Pilze sind bemerkenswerte Lebewesen: Sie können im Extremfall weit über tausend Jahre alt werden und eine Ausdehnung von mehreren hundert Hektar und eine Biomasse von über 500 Tonnen erreichen. Bei der Anreicherung von Schwermetallen spielen die bisher vor allem betrachteten Fruchtkörper jedoch nicht die Hauptrolle, auch wenn deren Ernte und Verzehr das Einfallstor in die Nahrungskette des Menschen bildet. Es ist vor allem das unterirdische, feine Geflecht des Myzels, das insbesondere für die Aufnahme von Schwermetallen aus der Umwelt verantwortlich ist.
Für ihre Arbeiten haben die Forscher*innen mit dem Gemeinen Spaltblättling (Schizophyllum commune), dem Austern-Seitling (Pleurotus ostreatus) und dem Getigerten Sägeblättling (Lentinus tigrinus) holzabbauende Pilze ausgewählt, außerdem den sich von toter organischer Substanz ernährenden Rosablättrigen Egerlingsschirmling (Leucoagaricus naucinus). Diese Pilze haben sie mit der unmittelbaren Gegenwart von Europium konfrontiert. In früheren Arbeiten hatten sie bereits die Reaktion von Pilzen auf die Elemente Caesium, Strontium und Uran untersucht, da diese entweder wichtig für die Radiotoxizität sind oder Bestandteil des Kernbrennstoffs sind. Aus diesen Untersuchungen haben sie beispielsweise gelernt, dass der Spaltblättling große Mengen an Uran in seine Zellen aufnehmen kann, ohne dabei abzusterben. Auch aufgrund der hervorragenden technischen Ausstattung am Institut für Ressourcenökologie und der fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem Ionenstrahlzentrum des HZDR konnte das Team nun über eine Kombination von Spektroskopie und Mikroskopie den Zusammenhang zwischen dem Auftreten verschiedener Bindungsformen des Europiums und dem jeweiligen Bindungsort an oder in der Zelle aufklären.
Schwermetall-Appetit bei Pilzen: Unterschiedlich ausgeprägt
Ihre Ergebnisse belegen, dass die Pilze sehr unterschiedlich mit dem Schwermetall interagieren. Während zwar die Art der chemischen Wechselwirkung für alle Pilze ähnlich ist, sind die beteiligten Zellbestandteile und damit der Transport und die Aufnahme sowie auch die Orte der Anreicherung in der Zelle sehr unterschiedlich. Während zum Beispiel der Rosablättrige Egerlingsschirmling nur geringe Mengen Europium bindet, das fein verteilt in der Zelle immobilisiert wird, kann der Spaltblättling bis zu viermal mehr Europium im Vergleich zu den anderen Pilzen binden. Diese Art gehört zu den Weißfäule-Pilzen, also Pilzen, die den Holzbestandteil Lignin zersetzen können, um ihn für ihren Stoffwechsel zu verwenden. Sie bilden unlösliche europiumhaltige Niederschläge auf der Außenseite der Zellwand: ein Hinweis darauf, dass sich die Pilze gemäß ihrer Ernährungsphysiologie auch gegenüber Schwermetallen unterschiedlich verhalten.
Das Team verspricht sich vielfältige Anwendungen ihrer Erkenntnisse. Für Raff werden Methoden denkbar, mit denen beispielsweise Schwermetall-belastete Flächen wieder landwirtschaftlich nutzbar gemacht werden können: „Dafür müssen wir die molekularen Prozesse und den Transport innerhalb des Organismus jedoch noch genauer verstehen.“ Und Günther erinnert an ein Detail, dass die Rossendorfer schon eine Weile beschäftigt: „Dank des hohen Lebensalters mancher Pilzarten könnten radioaktive Stoffe teilweise bis zu ihrem Zerfall gespeichert werden. Deshalb könnten sie sich zum einen zur schnellen Strahlenschutzvorsorge und zum anderen auch zur Sanierung kontaminierter Böden eignen. Und wir sehen auch die Möglichkeit der Reinigung von belastetem Wasser: Hier ließen sich unsere Pilze als Trägermaterialien in Reinigungssäulen einsetzen.“ Außerdem wollen die beiden mit ihrer Arbeit Licht ins Dunkel des bisher nur lückenhaft verstandenen Verhaltens von Radionukliden in unserer Umwelt bringen. Dieses Wissen bildet die Voraussetzung für eine detaillierte Modellierung und Vorhersage, die wiederum wesentlich für eine realistische Risikoabschätzung sind.
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Die Arbeiten wurden im Rahmen des vom BMBF geförderten Kooperations-Projekts „BioVeStRa“ (Förderkennzeichen 15S9276A, Partner: Friedrich-Schiller-Universität Jena; Leibniz-Universität Hannover; Strahlenschutz, Analytik & Entsorgung Rossendorf e. V. – VKTA) durchgeführt.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Alix Günther | Dr. Johannes Raff
Institut für Ressourcenökologie am HZDR
Tel.: +49 351 260 2433 | +49 351 260 2951
E-Mail: a.guenther@hzdr.de | j.raff@hzdr.de
Originalpublikation:
Publikation:
A. Günther, A. Wollenberg, M. Vogel, B. Drobot, R. Steudtner, L. Freitag, R. Hübner, T. Stumpf, J. Raff, Speciation and spatial distribution of Eu(III) in fungal mycelium, in Science of The Total Environment, 2022 (DOI: 10.1016/j.scitotenv.2022.158160)
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