Rechenmodell, um Sturmfluten besser beschreiben zu können
Steigende Meeresspiegel und Sturmfluten bedrohen unsere Küstenorte und Strände. Bereits seit 1993 liegt der durchschnittliche Anstieg bei über drei Millimetern pro Jahr.
„Der Meeresspiegel wird in den kommenden Jahren noch stärker ansteigen“, sagt Professor Arne Arns, Juniorprofessor für Küstenschutz und Küstendynamik an der Universität Rostock. Gemeinsam mit Professorin Maren Voss vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) informiert er am 19. Januar in einer neuen Veranstaltungsreihe „Universität im Rathaus“, was dies für niedrig gelegene Küstengebiete, also Regionen knapp ober- oder unterhalb des Meeresspiegels bedeutet.
Aktuelle Forschungen zeigten, so Arne Arns, dass Hochwasserschäden an den Küsten im 21. Jahrhundert deutlich zunehmen werden. Über Projektionen zu Meeresspiegelanstieg und Sturmfluten sowie die vielfältigen Formen von Küstenschutz arbeitet der Forscher in Kooperation mit Partnern aus Kiel, den USA und England. Sie haben ein Rechenmodell entwickelt, mit dem sich Sturmfluten besser beschreiben lassen. Doch wie gefährlich wird uns das Meer?
„Eine Sturmflut an der Küste sattelt auf immer höhere Basiswasserstände auf“, sagt der Experte für Wasserbau. „Eine Sturmflut, die heute im statistischen Mittel etwa alle einhundert Jahre auftritt, könnte Ende des Jahrhunderts dann deutlich häufiger, zum Beispiel jährlich über das Meer wüten“. Berechnungen würden zeigen, dass der aktuelle Bemessungswasserstand, d.h. der Wasserstand zur Festlegung der Höhe des erforderlichen Hochwasserschutzes in Warnemünde im Jahr 2100 etwa alle zwei Jahre auftreten könnte. Gegenwärtig gebe es unterschiedliche Szenarien, nach denen unterschiedliche Meeresspiegelentwicklungen skizziert würden. Kurzum: „Es gibt einen großen Strauß an Werten, der gefiltert und in Maßnahmen umgemünzt werden muss“, betont Arns.
500 000 Kubikmeter Sand
Tatsächlich verschwinden durch Brandung und Sturmfluten jährlich Teile der Strände und der Dünen. „Wir versuchen im Moment, die Strände zu erhalten. Dafür sind jedes Jahr enorme Sandaufspülungen notwendig“, sagt der Rostocker Küstenforscher. 65 Prozent der Ostseeküste in Mecklenburg-Vorpommern (MV) sei rückgangsgefährdet. Damit der Strand und die Dünen nicht irgendwann ganz verschwunden seien, müssten etwa 500 000 Kubikmeter Sand künstlich wieder aufgespült werden. Dieser werde vom Meeresgrund in der Umgebung abgesaugt und an die Küste gebracht. „Wir sprechen im Küstenschutz von einem weichen, naturnahen Küstenschutz“, sagt Arne Arns. „Jeder, der am Meer wohnt, muss sich der Gefahr bewusst sein. Subjektiv werde die aktuelle Situation als sehr sicher eingeschätzt, weil beispielsweise in Warnemünde durch den Küstenschutz eine geschützte Situation geschaffen werde.
„Aber es gibt ein Restrisiko!“ Die Schutzsysteme würden auf Wasserstände bemessen, die im statistischen Mittel alle zweihundert Jahre eintreten. Das heiße aber nicht, dass diese höheren Wasserstände erst in zweihundert Jahren auftreten, sondern sie könnten auch übermorgen kommen. „Wir werden uns mit dem Gedanken anfreunden müssen, bestimmte Gebiete aufzugeben“, sagt Professor Arns.
Professorin Maren Voss vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) betrachtet den Anstieg des Meeresspiegels noch aus einem ganz anderen Blickwinkel. Die Forscherin sagt: „In meiner Arbeitsgruppe untersuchen wir seit einigen Jahrzehnten die Auswirkungen der Eutrophierung und den sogenannten Küstenfilter. Bekanntermaßen sind die wichtigsten Quellen von Nährstoffen die Flüsse und andere diffuse Einträge, wobei letztere wenig untersucht sind. Leider sinken die Nährstofffrachten nur geringfügig und somit leiden die Gewässer unter den Folgen wie beispielsweise vermehrtes Algenwachstum und Sauerstoffmangel.“
Überdüngung durch Überflutung
Nun scheinen steigende Pegel und Sturmfluten sowie vermehrte Strandaufspülungen die Küstengewässer zusätzlich zu belasten. „Im Rahmen des Graduiertenkollegs ‚Baltic Transcoast‘ untersuchen wir seit über sechs Jahren Flächen an Land und in der angrenzenden Ostsee, um die Auswirkungen von Überflutungen und die Freisetzung von Stoffen aus terrestrischen Böden und marinen Sedimenten besser einordnen zu können“, betont Professorin Voss. Maßnahmen wie der Deichrückbau oder nicht mehr unterhaltene Deiche würden zu Überflutungen der anliegenden Landflächen, wie zum Beispiel des Hütelmoores bei Rostock oder der Drammendorfer Wiesen auf Rügen führen. In der Folge könne es zu Nährstofffreisetzungen und dadurch gesteigerten mikrobiellen Prozessen kommen, bei denen beispielsweise Spurengase (Stickoxid, Methan) gebildet würden, die wie das Kohlendioxid zur Erderwärmung beitragen. Bisher scheinen die Überflutungsfolgen aus Sicht der Wissenschaftler in Bezug auf die Spurengase jedoch gering und vernachlässigbar zu sein, weil beispielsweise Stickoxide, die nur über einen sehr kurzen Zeitraum gebildet werden.
„Was wir aber beobachten ist eine erstaunlich hohe Freisetzung von Nährstoffen aus vergleichsweise kleinen Flächen, die die Überdüngung unserer Küstengewässer zusätzlich verschärft“, sagt Maren Voss. „Ursache hierfür ist die frühere Nutzung der Böden als Agrarflächen. Durch diese meist jahrzehntelange Nutzung sind die Böden stark mit Nährstoffen angereichert. Wenn nun die Ostsee diese Flächen überströmt, sodass sie dauerhaft im Austausch mit angrenzenden Küstengewässern stehen, werden die Nährstoffe aus den Böden ausgewaschen und gelangen in den marinen Kreislauf.“ Wie lange diese Freisetzung andauere und welche konkreten Effekte dies lokal habe, „untersuchen wir derzeit an verschiedenen Standorten. Es scheint jedoch unausweichlich, dass diese wichtigen Küstenschutzmaßnahmen (wie der Deichrückbau) unerwünschte Nebeneffekte mit sich bringen, die in den Vorplanungen berücksichtigt werden sollten.“
Fächerübergreifend fragen – forschen – entdecken: Mit der Gründung der bundesweit ersten Interdisziplinären Fakultät im Jahr 2007 hat die Universität Rostock wissenschaftliche Maßstäbe gesetzt. Anlässlich ihres 15-jährigen Jubiläums veranstaltet die Interdisziplinäre Fakultät gemeinsam mit der Hanse- und Universitätsstadt Rostock die neue Gesprächsreihe „Universität im Rathaus“. Sie richtet sich an „alle, die es einfach wissen wollen“. Über Küstenschutz in Zeiten des Klimawandelns informieren am 19. Januar 2023 Prof. Maren Voß vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde sowie Juniorprofessor Arne Arns von der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät der Universität Rostock. Moderiert wird die Gesprächsrunde zum Thema „Überflutete Küsten contra Klimaerwärmung? Risiken und Chancen moderner Küstenschutzmaßnahmen“ von der freien Journalistin Maike Rademaker aus Berlin. Der Eintritt ist frei.
Text: Wolfgang Thiel
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
J.-Prof. Dr.-Ing. Arne Arns
Professur Küstenschutz und Küstendynamik
Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät
Universität Rostock
Tel.: +49 381 498-3760
arne.arns@uni-rostock.de
Prof. Dr. Maren Voß
Professorin für Marine Biogeochemie
Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde
Tel: +49 381 5197 209
maren.voss@io-warnemuende.de
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