Tiefseebergbau und Erwärmung bedeuten Stress für Tiefseequallen
GEOMAR-Studie zu Auswirkungen von Sediment-Wolken.
Die offene Tiefsee beherbergt nicht nur eine der größten Tiergemeinschaften der Erde, sie ist auch einer wachsenden Zahl von Umweltbelastungen ausgesetzt. Unser Wissen über ihre Bewohner und deren Reaktion auf vom Menschen verursachte Stressfaktoren ist jedoch nach wie vor begrenzt. Eine neue Studie unter der Leitung von Forschenden des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel gibt jetzt erste Einblicke in die Stressreaktion einer pelagischen Tiefseequalle auf die Erwärmung des Ozeans und durch den Tiefseebergbau verursachte Sedimentwolken. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Wissenschaftler:innen heute im Fachmagazin Nature Communications.
Die Tiefsee beherbergt eine der größten Tiergemeinschaften der Erde, über die wir noch sehr wenig wissen. Dennoch ist sie bereits einer wachsenden Zahl von durch den Menschen verursachten Umweltbelastungen ausgesetzt. Wie reagieren ihre Bewohner auf diese Stressfaktoren? Eine neue Studie unter der Leitung von Forschenden des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, die heute im Fachmagazin Nature Communications erscheint, gibt erste Einblicke in die Stressreaktion einer pelagischen Tiefseequalle auf die Erwärmung des Ozeans und durch den Tiefseebergbau verursachte Sedimentwolken.
Ein besonderer und potenziell großer Umweltstressfaktor für Organismen in der Tiefsee ist die Störung der Umwelt durch den kommerziellen Abbau von Bodenschätzen. Obwohl der Abbau auf am Meeresboden lagernde Mineralien abzielt, die beispielsweise in Manganknollen vorkommen, werden dabei auch feine Sedimente aufgewirbelt, so dass sich Schwebstoff-„Wolken“ – sogenannte Plumes – bilden. Hochgepumptes Sediment muss nach der Ankunft auf dem Schiff wieder in die Wassersäule zurückgeführt werden. Da es derzeit keine Vorschriften dafür gibt, in welcher Wassertiefe das Sediment freigesetzt werden darf, können sich die so entstehenden Sedimentwolken über Dutzende bis Hunderte von Kilometern ausbreiten.
Der Tiefseebergbau würde sich daher nicht nur lokal auf die Tiergemeinschaften am Meeresboden auswirken, sondern auch in einem erheblich größeren Gebiet auf die in der darüber liegenden Wassersäule, dem Freiwasser oder Pelagial. Da sich in dieser Zone zwischen 200 und circa 4000 Metern Wassertiefe üblicherweise nur wenig Sediment befindet, ist davon auszugehen, dass die Tiere in diesem Bereich sehr empfindlich auf die durch den Bergbau verursachten Sedimentwolken reagieren.
Dies sei besorgniserregend, wie Dr. Helena Hauss, Co-Erstautorin der Studie und Forschungsdirektorin für Meeresökologie beim Norwegian Research Centre (NORCE), erklärt: „Das Pelagial ist von entscheidender Bedeutung für die Fähigkeit des Ozeans, Kohlenstoff zu speichern, aber seine Bewohner sind auch die Hauptnahrungsquelle für viele Fische, Tintenfische und Meeressäuger und stellen daher ein wichtiges Glied im marinen Nahrungsnetz dar. Sie haben sich unter weitaus stabileren Bedingungen entwickelt als die an der Oberfläche lebenden Tiere und sind daher potenziell anfälliger für sich ändernde Umweltbedingungen.“
Dr. Henk-Jan Hoving, Seniorautor und Gruppenleiter der Gruppe Tiefseeökologie am GEOMAR, fügt hinzu: „Pelagische Tiefseearten sind oft zerbrechliche, gallertartige und manchmal riesige Organismen mit niedrigen Stoffwechselraten, die in ihrer natürlichen Umgebung nur schwer zu beobachten und in Experimenten zu untersuchen sind. Ihre physische Verletzlichkeit macht sie möglicherweise besonders anfällig für Umweltstörungen. Gleichzeitig haben wir bei der Erforschung der Tiefsee bisher nur an der Oberfläche gekratzt, und der größte Teil der biologischen Vielfalt ist noch unbekannt, ebenso wie ihre Funktion im Ökosystem und ihre Toleranz gegenüber Veränderungen.“
Trotz der globalen Bedeutung von pelagischen Ökosystemen ist die Datenlage zu den artspezifischen Reaktionen von Tiefseearten auf Umweltstressoren dünn, und insbesondere pelagische Arten sind schwierig im Labor zu halten und experimentell zu untersuchen. Diese Lücke wollten die Forschenden mit der jetzt veröffentlichten Studie schließen. Zum ersten Mal untersuchten die Autor:innen die Stressreaktion einer Tiefseequalle, die wegen ihrer hutartigen Form auch als Helmqualle bekannt ist, auf simulierte Sedimentwolken. „Da die Bestimmung von ,Stress‘ bei einer Qualle nicht einfach ist, haben wir ihre Reaktion aus verschiedenen Blickwinkeln untersucht und die Erkenntnisse aus ihrer Physiologie, der Änderung in der Genaktivität und den mikrobiellen Symbionten auf der Außenseite der Qualle kombiniert“, erklärt Vanessa Stenvers, Co-Erstautorin der Studie und Doktorandin am GEOMAR und der Smithsonian Institution.
Der auffälligste visuelle Effekt des Schwebstoffs sei die Haftung von Sedimentpartikeln auf den Quallen gewesen, woraufhin die Quallen begonnen hätten, überschüssigen Schleim zu produzieren. „Obwohl der Schleim den Quallen dabei hilft, ihr Mikrobiom stabil zu halten, benötigt die kontinuierliche Schleimproduktion sehr viel Energie und kann einen erheblichen Teil des gesamten Energiehaushalts eines Tieres ausmachen“, fügt Stenvers hinzu.
Darüber hinaus zeigten die Quallen bei den höchsten Sedimentbehandlungen deutlich, dass sie unter Stress stehen, da sie die Aktivität von Genen, die mit Atmung, Immunsystem und Wundheilung zusammenhängen, sehr stark erhöhten. Das Team betont außerdem, dass Schwebstoffe bei Helmquallen eine schwerwiegendere Reaktion auslösten als ein Anstieg der Meerwassertemperatur um vier Grad Celsius. Aktuelle Klimaprojektionen gehen von einem Anstieg der Meerestemperaturen in der Tiefsee um ein Grad in den nächsten 84 Jahren aus, ein Anstieg um vier Grad wird nur in den extremsten Szenarien der Klimaerwärmung an der Oberfläche vorhergesagt. Die Autor:innen befürchten, dass Stressfaktoren, die zu einem erhöhten Energieverbrauch führen, wie sie es bei der Helmqualle beobachtet haben, mit einer erhöhten Nahrungsaufnahme kompensiert werden müssen. Da die Nahrung in der Tiefsee im Allgemeinen knapp ist, könnte dies letztlich zum Verhungern führen.
Auch wenn weitere Daten von verschiedenen Tiefseearten benötigt werden, um die Umweltauswirkungen des Tiefseebergbaus besser zu verstehen, könnte die Stressreaktion der Helmqualle repräsentativ für andere Gallerttiere sein. Gallertartige Tiere, die sich durch einen hohen Wassergehalt und gallertartiges Gewebe auszeichnen, sind ein häufiger Bestandteil von Tiefsee-Ökosystemen. Auf Basis ihrer Gesamtergebnisse mahnen die Forschenden zur Vorsicht in Bezug auf den Tiefseebergbau, da dieser zahlreiche der wichtigen Ökosystemleistungen der Tiefsee beeinträchtigen könnte.
Professor Andrew K. Sweetman, Mitautor von der Scottish Association for Marine Science, kommt zu dem Schluss: „Da der Tiefseebergbau in den nächsten zehn Jahren beginnen und die angrenzenden Lebensräume in der Wassersäule und am Meeresboden stören könnte, ist es wichtig, die kombinierten Auswirkungen von Bergbau und Meereserwärmung zu verstehen.“ Das Team hofft, dass seine Studie, die einen ersten Einblick in einige der möglichen Auswirkungen im Pelagial gibt, von Bergbauunternehmen und der Internationalen Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA) berücksichtigt wird, wenn es darum geht, Bergbaustrategien zu entwickeln, die die Umweltschäden so gering wie möglich halten.
Hintergrund:
Die Studie wurde im Rahmen des iAtlantic-Projekts (Integrated Assessment of Atlantic Marine Ecosystems in Space and Time) durchgeführt. iAtlantic ist ein multidisziplinäres Forschungsprogramm zur Bewertung des Zustands von Tiefsee- und Hochseeökosystemen im gesamten Atlantik. Es soll Erkenntnisse liefern, die für eine verantwortungsvolle und nachhaltige Bewirtschaftung der Ressourcen des Atlantischen Ozeans in einer Zeit beispielloser globaler Veränderungen von entscheidender Bedeutung sind. iAtlantic verfolgt einen ozeanweiten Ansatz, um die Faktoren zu verstehen, die die Verteilung, Stabilität und Anfälligkeit von Tiefsee-Ökosystemen steuern – einschließlich der Auswirkungen menschlicher Aktivitäten. Die Arbeiten erstrecken sich über das gesamte atlantische Becken, von der Spitze Argentiniens im Süden bis Island im Norden und von den Ostküsten der USA und Brasiliens bis zu den westlichen Rändern Europas und Afrikas. Entscheidend für den Erfolg von iAtlantic ist die internationale Zusammenarbeit zwischen Forschern in der gesamten atlantischen Region. Das Projektkonsortium umfasst 33 Forschungseinrichtungen aus Europa, Argentinien, Brasilien, Südafrika, Kanada und den USA und wird durch ein breiteres Netz von assoziierten Partnern ergänzt.
Förderung:
Das Projekt Integrated Assessment of Atlantic Marine Ecosystems in Space and Time (iAtlantic) wird durch das Programm Horizont 2020 der Europäischen Union unter dem Grant Agreement 818123 gefördert. Das Projekt ist am 1. Juni 2019 gestartet und endet am 31. März 2024.
Originalpublikation:
Original-Publikation:
Stenvers, V.I. et al (2023): Experimental mining plumes and warming trigger stress in a deep pelagic jellyfish. Nature Communications. doi: https://doi.org/10.1038/s41467-023-43023-6
Weitere Informationen:
http://www.geomar.de/n9206 Bildmaterial zum Download
http://www.iatlantic.eu Projekt-Website iAtlantic
https://www.iatlantic.eu/wp-content/uploads/2023/11/iAtlantic_Jellyfish_DSM_brie… Science Brief iAtlantic
http://www.norceresearch.no/en Norwegian Research Centre
https://www.sams.ac.uk/ Scottish Association for Marine Sciences
https://www.si.edu/ Smithsonian Institution
https://www.geomar.de/hhoving/forschungsgruppe Forschungsgruppe Deep-Sea Biology
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