Was aus Baumrinde alles gemacht werden könnte…
Schuhe, Taschen, Platten für den Möbelbau und Glasuren…
Weil die Borke kaum erforscht ist, wird sie als Abfallprodukt der Holzindustrie verbrannt. Wissenschaftlerin Charlett Wenig untersuchte das Biomaterial mit naturwissenschaftlichen Methoden und zeigt mögliche Verarbeitungsverfahren und Anwendungen auf.
Die First Nations Nordamerikas und die Indígenas des Amazonasgebiets bauten ihre Kanus aus Rinde. Aus Rinde waren im 19. Jahrhundert auch die Hütten der Holzfäller in bestimmten Regionen Österreichs. Alltagsgegenstände aus Birkenrinde herzustellen war in Finnland verbreitet. Und der preußische Baumeister Carl Gotthard Langhans (1732–1808) und der Hofzimmerermeister Johann Gottlob David Brendel (1753–1803) deckten das Dach und verkleideten die Fassade ihrer Einsiedelei am Jungfernsee bei Potsdam komplett mit Eichenborke. Das war 1796.
Lange her. Heutzutage wird Rinde als Bau- oder Designmaterial kaum noch verwandt. Als wenig wertvoll erachtet, Abfall eben, wird sie entsorgt. So kommt es, dass von den vier Millionen Kubikmetern Rinde, die jährlich in deutschen Sägewerken anfallen, 44 Prozent zur Energie- und Wärmegewinnung verbrannt werden. Oder sie landet als Mulch in Gartencentern. Nur 19 Prozent der Holzabfälle werden als Zusatzstoffe für Spanplatten recycelt. „Ursache dafür, dass solche Biomaterialien in der Bauwirtschaft und im Design kaum eine Rolle spielen, ist, dass wenig Wissen über ihre Struktur und die daraus resultierenden Eigenschaften vorhanden ist und somit auch nicht über ihre Verarbeitung und Anwendungen“, sagt Dr.-Ing. Charlett Wenig. Die Rinde macht zehn bis 20 Prozent des Gesamtvolumens eines Baumes aus.
Ihr Material musste sie sich in mordsschwerer Handarbeit selbst vom Baum schälen
Mit ihrer Dissertation „Sustainable Tree Bark Objects by Combining Science and Design“ („Nachhaltige Objekte aus Baumrinde durch Kombination von Wissenschaft und Design“) unternahm sie erste Versuche, diesem Nichtwissen Wissen entgegenzustellen: Sie untersuchte die Eigenschaften des Materials Rinde mit naturwissenschaftlichen Methoden und leitete Verarbeitungsmethoden sowie Anwendungen ab. Für ihre Dissertation, die sie am Fachgebiet Werkstofftechnik der TU Berlin vorlegte, erhielt sie 2023 den ersten Preis des Tiburtius-Preises.
Dr.-Ing. Charlett Wenig forschte an der Rinde der brandenburgischen Waldkiefer, der Stieleiche, der Europäischen Lärche und der Europäischen Weißbirke. Da sie für ihre Forschungszwecke große Stücke benötigte, musste sie die Rinde selbst rundherum vom Stamm schälen und das in mordsschwerer Handarbeit. „Auf die Rinden aus dem Sägewerk konnte ich nicht zurückgreifen, weil dort die Rinden in kleine Stücke zerkleinert werden“, erzählt Dr.-Ing. Charlett Wenig.
So gut wie die herkömmliche Spanplatte – ganz ohne chemisch hergestellten Leim
Nach dem Trocknen der Rinden unterzog sie sie verschiedenen Verarbeitungsverfahren. Das erste Verfahren war, die Rinden miteinander zu verpressen mit dem Ziel, Rindenplatten herzustellen, die mit konventionellen Verarbeitungsmethoden wie dem Sägen, Fräsen und/oder Bohren weiterverarbeitet werden können. Dafür wurden zwei Rindenstücken mit der Borkenseite zueinander im 90-Grad-Winkel übereinadergelegt und durch Druck und Hitze bei etwa 90 Grad Celsius, also mit wenig Energieaufwand, verpresst. Das Ergebnis: Mechanische Tests zu Biegesteifigkeit und -festigkeit sowie Querzugfestigkeit ergaben ähnliche Werte wie bei Spanplatten und das ganz ohne Einsatz von chemisch hergestellten Leimen, nur aufgrund der internen Klebeeigenschaften der Rinden. Wobei für eine optimale Verbindung der Wassergehalt der Rinde entscheidend ist – sie darf weder zu trocken noch zu feucht sein. „Durch das Verpressen entstanden Platten, die im Möbelbau als Regal- und Tischplatten zum Einsatz kommen könnten, da sie sich sägen, fräsen und bohren lassen. Zudem weisen sie eine Oberflächenqualität auf, die mit geschliffenen Oberflächen von Massivholz vergleichbar sind“, sagt Dr.-Ing. Charlett Wenig.
Leichte Architektur: begehbare Kugel
Das zweite Verfahren war die Behandlung der Rinden mit einer Glyzerin-Wasser-Lösung, um sie zu flexibilisieren. Während Stieleiche und Europäische Weißbirke sich nicht flexibilisieren ließen und die Europäische Lärche nur teilweise, verliefen die Versuche mit der brandenburgischen Kiefer vielversprechend. Zusammen mit Johanna Hehemeyer-Cürten von der Berliner Kunsthochschule Weißensee gelang es ihr, Kiefernrinde zu verweben und daraus eine Jacke und einen Rock zu nähen sowie Highheels, Sandalen und einen knöchelhohen Schuh mit Rinde zu besohlen. Hintergrund für diese Experimente ist, dass die Borke den Baum schützt – vor Hitze, Kälte, Fraßfeinden. Und Dr.-Ing. Charlett Wenig wollte herausfinden, ob Rinde auch so etwas wie die Schutzschicht für den Menschen werden könnte in Form von Kleidung. „Aufgrund meiner Forschungsergebnisse sehe ich das Potenzial von Rinde aber nicht in der Produktion von Bekleidung, sondern eher für Accessoires wie Taschen, Schuhe und Schmuck oder im Bereich des Designs für Interieur, als Verpackungsmaterial und temporäre, leichte Architektur“, resümiert die studierte Industriedesignerin. Im Rahmen ihrer Dissertation entstand aus flexibilisierter Kiefernrinde eine begehbare Kugel, die ein Gefühl vermittelte, wie es ist, von Baumrinde umgeben zu sein.
Besonders ihre Versuche, Rinde zu flexibilisieren, zeigten, dass Rinde nicht gleich Rinde ist: Die Analyse der Materialstrukturen der vier untersuchten Baumrinden offenbarten die Unterschiedlichkeit der Rinden. Diesbezüglich zu validen Ergebnissen zu gelangen war nur mit naturwissenschaftlichen Methoden möglich wie zum Beispiel der Micro-Computertomografie, die zerstörungsfreie 2D- und 3D-Strukturanalysen im Mikrometer-Bereich zulässt. Auf Grundlage solcher Ergebnisse lassen sich Anwendungen ableiten, die in der Praxis Bestand haben und dem bislang als wertlos angesehenen Abfallprodukt Rinde einen Mehrwert verleihen.
Verschiedene chemische Zusammensetzung – verschiedene Farbtöne
Da Rinde – wie bereits erwähnt – derzeit größtenteils verbrannt wird, deshalb riesige Mengen Asche zurückbleiben und bei bestimmten Verfahren der Glasurherstellung Asche verwendet wird, war das dritte Verfahren die Herstellung von Glasuren mit Rindenasche. Mit Hilfe der Massenspektroskopie analysierte Wenig die chemische Zusammensetzung der Aschen von Fichte, Kiefer, Europäischer Lärche, Europäischer Birke und der Stieleiche. Es zeigte sich, dass auch die chemische Zusammensetzung der Rinden divergierte, was in den verschiedenen Farbtönen der Glasuren sichtbar wurde. Die Farbpalette ihrer Glasuren reichte von beige über gelb und rosa bis hin zu dunkelbraunen Tönen. „Aus meiner Designperspektive war das Ergebnis ganz überzeugend. Aus industrieller beziehungsweise kommerzieller Sicht eher nicht, da sich die Farbtöne nicht eins zu eins reproduzieren ließen und Waren in einer Konsumwelt, die dem Standard frönt, dass ein Produkt haargenau dem anderen zu gleichen hat, schwer zu vermarkten sind“, urteilt Wenig.
„Die Motivation für meine Forschung sind einerseits die schiere Menge an Materialien aus Kunststoffen, die Böden und Gewässer verschmutzen, da sie sich wegen ihrer Komplexität nicht recyceln lassen. Und andererseits die Abwertung von Biomaterialien wie Rinde als Abfall und deren Anwendung deshalb weit unter den Möglichkeiten bleibt. Eine Erkenntnis aus meiner Forschung ist, dass Abfälle eben keine Abfälle sind“, so Dr.-Ing. Charlett Wenig. Um jedoch zu einem Verständnis über Biomaterialien wie die Rinde zu gelangen und ihr Potenzial als nachhaltiges Bau- und Designmaterial zu erschließen, müssen sie mit naturwissenschaftlichen Methoden untersucht werden. „Mit dieser Arbeit möchte ich auch einen Impuls geben, die Designausbildung auf eine naturwissenschaftliche Grundlage zu stellen“, so Wenig.
Weiterführende Informationen:
Die Dissertation „Sustainable Tree Bark Objects by Combining Science and Design“ finden Sie unter: https://pure.mpg.de/rest/items/item_3571204/component/file_3571205/content
Kontakt:
Dr.-Ing. Charlett Wenig
Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung
E-Mail: charlett.wenig@mpikg.mpg.de
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