Wie die Nähindustrie wieder nach Europa kommen könnte
100.000 Euro DBU-Gelder für automatisierten Nähroboter
Osnabrück. Die goldenen Zeiten der Nähindustrie mit vielen Standorten in Deutschland und Europa liegen schon eine Weile zurück. Billiglohnländer in Asien statt Europa wurden die neuen Produktionsstätten vieler Unternehmen. Das Startup Adotc aus Berlin will diese Entwicklung nun umkehren – und setzt dabei auf Digitalisierung: Vollautomatisierte Nähroboter sollen einer Wiederansiedlung der Nähindustrie in Europa den Weg ebnen – und dabei zugleich Millionen Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) einsparen. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) fördert das Projekt mit etwa 100.000 Euro.
Riesige Einsparpotenziale allein in Deutschland
Deutschland importiert laut Umweltbundesamt (UBA) bis zu 90 Prozent aller angebotenen Textilien. Allein aus China und Bangladesch stammt mehr als 40 Prozent der verkauften Kleidung, so das Statistische Bundesamt. Eine Steigerung der Textil-Produktion in Deutschland ist zwar wegen stark begrenzter Personalressourcen und hoher Personalkosten selten rentabel. Aus klimapolitischer Sicht hätte das jedoch positive Effekte. DBU-Generalsekretär Alexander Bonde: „Wenn mittelfristig 10 bis 15 Prozent der Bekleidungsindustrie wieder bei uns heimisch werden würde, wären Einsparpotenziale von jährlich rund 1,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten möglich – allein für den deutschen Markt.“
Komplettpaket mit Robotertechnik, Sensoren und Greifern
Damit eine Wiederansiedlung der Nähindustrie in Deutschland und Europa gelingen kann, will die Berliner Firma Another Dimension of Textile Configuration (Adotc) eine digital vernetzte Roboternähzelle entwickeln, die sämtliche Textilien vollautomatisch zusammennähen kann. Üblich ist bisher, verschiedene Teile eines Produkts maschinell herzustellen, um diese anschließend per Hand zusammenzuführen. „Eine Herausforderung bei der Automatisierung der Textilherstellung sind die Stoffe und Nähgarne“, sagt Adotc-Mitgründer Dr. Yves-Simon Gloy. Diese seien „biegeschlaff“, also extrem schwer in eine für die Dauer der Produktion permanente Form zu bringen. Ziel des Unternehmens ist deshalb eine volle Automatisierung des Nähprozesses. Geplant ist nach Firmenangaben ein Komplettpaket inklusive Robotertechnik, Sensoren und Greifern sowie einer App für die Produktionsüberwachung. Textilfirmen könnten dieses dann schlüsselfertig erhalten und sowohl auf ihre bereits vorhandenen Nähmaschinen als auch auf ihre konkreten Produkte anwenden. Bislang wurde bereits ein erster Prototyp des Nähroboters realisiert. Daraus soll ein praxistauglicher Demonstrator werden.
Reduktion von Transport, Retouren und Abfall
Peter Brunsberg, ebenfalls Adotc-Mitgründer, erläutert die umwelttechnischen Vorteile der geplanten Entwicklung: „Durch die Rückverlagerung der Textilproduktion nach Europa fallen erstens lange Transportwege weg, es können also CO2-Emissionen vermieden werden.“ Zweitens solle der voll automatische Nähroboter eine deutlich individuellere Fertigung der Kleidung ermöglichen, wodurch sich die Zahl der Retouren reduzieren lasse. Und drittens kann laut Brunsberg die Fertigung künftig stärker an der tatsächlichen Nachfrage orientiert werden, was die im Herstellungsprozess anfallenden Abfallmengen verringere. „Die Produktion wird also deutlich nachhaltiger“, so Brunsberg. Wichtig ist ihm: „Wir wollen keine Fachkräfte in der europäischen Nähindustrie durch Automatisierung ersetzen. Expertinnen und Experten auf dem Gebiet sind schon jetzt rar und essenziell für die standortnahe Produktion. Durch unser Angebot kann eine zusätzliche Fertigung hier vor Ort stattfinden, die mit der vorhandenen Anzahl an Personal überhaupt nicht möglich wäre.“
Gute Mischung aus wissenschaftlicher und praktischer Expertise
„Uns haben vor allem die große Innovationskraft, der Umweltvorteil und das Team überzeugt. Es bringt eine gute Mischung aus wissenschaftlicher und praktischer Expertise in die Entwicklung ein“, erläutert der zuständige DBU-Referent Dr. Michael Schwake. Hinter Adotc stehen mit Gloy und Brunsberg zwei in der Textilbranche erfahrene und gut vernetzte Akteure. Gloy habilitierte zum Thema „Industrie 4.0 in der Textiltechnik“, ist Autor von mehr als 270 Fachartikeln sowie Privatdozent für „Digitalisierung und Automatisierung in der Textiltechnik“ an der RWTH Aachen. Brunsberg gründete 1997 den Taschenhersteller Bagjack in Berlin, der seither Rucksäcke, Taschen und Accessoires ausschließlich in Deutschland herstellt und weltweit vertreibt. „Der Ansatz der Firma Adotc wirkt mit standortnaher und nachfrageorientierter Produktion direkt in das alltägliche Leben der Menschen in Europa hinein und kann es positiv verändern“, so Schwake.
Weitere Informationen:
https://www.dbu.de/news/ Online-Pressemitteilung
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