Anoma­lien von Neu­tro­nens­ter­nen ent­sch­lüs­seln

Ultrakalte Quantengase aus dipolaren Atomen bilden eine Plattform für die Simulation von Vorgängen im Inneren von Neutronensternen.
(c) Elena Poli / Universität Innsbruck

Unter der Leitung von Francesca Ferlaino und Massimo Mannarelli untersuchen Quantenphysiker und Astrophysiker gemeinsam die plötzliche Änderung der Rotationsgeschwindigkeit von Neutronensternen. Es ist ihnen nun gelungen, dieses rätselhafte Phänomen mit ultrakalten dipolaren Atomen numerisch zu simulieren. Die enge Verbindung von Quantenmechanik und Astrophysik ebnet den Weg für die Quantensimulation von stellaren Objekten.

Neutronensterne faszinieren die Wissenschaft seit ihrer ersten Entdeckung im Jahr 1967. Die für ihre periodischen Lichtblitze und ihre schnelle Rotation bekannten Überreste von Supernovae gehören zu den dichtesten Objekten im Universum. Ihre Masse ist vergleichbar mit jener der Sonne, komprimiert in einer Kugel mit einem Durchmesser von nur etwa 20 Kilometern. Neutronensterne zeigen ein eigenartiges Verhalten, das als „Glitch“ bekannt ist, bei dem der Stern plötzlich seine Rotation beschleunigt. Dieses Phänomen deutet darauf hin, dass Neutronensterne möglicherweise teilweise supraflüssig sind. In einer Supraflüssigkeit ist die Rotation durch zahlreiche winzige Wirbel gekennzeichnet, von denen jeder einen Teil des Drehimpulses trägt. Ein „Glitch“ tritt auf, wenn diese Wirbel aus der inneren Kruste des Sterns in seine feste, äußere Kruste entweichen und dadurch die Rotationsgeschwindigkeit des Sterns erhöhen.

Der Schlüssel zu dieser Studie liegt im Konzept des Suprafestkörpers – einem Zustand, der sowohl kristalline als auch supraflüssige Eigenschaften aufweist, und der als notwendige Bedingung für die Rotationsstörungen von Neutronensternen vorhergesagt wurde. Demnach nisten sich quantisierte Wirbel im Suprafestkörpers ein, bis sie kollektiv entweichen und von der äußeren Kruste des Sterns absorbiert werden, was dessen Rotation beschleunigt. Kürzlich wurden suprafeste Zustände in Experimenten mit ultrakalten, dipolaren Atomen realisiert. Dies bietet eine einzigartige Möglichkeit, die Bedingungen im Inneren eines Neutronensterns auf der Erde zu simulieren.

Verbindung zwischen Quantenmechanik und Astrophysik

Die aktuelle Studie von Forschern der Universität Innsbruck und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sowie der Laboratori Nazionali del Gran Sasso und des Gran Sasso Science Institute zeigt, dass in ultrakalten suprafesten Phasen Störungen auftreten können, die mit den Vorgängen im Inneren von Neutronensternen vergleichbar sind. Dieser Ansatz ermöglicht eine detaillierte Erforschung dieses Phänomens und seiner Abhängigkeit von Eigenschaften des Suprafestkörpers. „Unsere Forschung stellt eine enge Verbindung zwischen Quantenmechanik und Astrophysik her und bietet Einblicke in das Innenleben von Neutronensternen“, sagt die Erstautorin Elena Poli. Diese Vorgänge liefern wertvolle Erkenntnisse über die innere Struktur und Dynamik von Neutronensternen. Durch die Untersuchung dieser Ereignisse können die Wissenschaftler mehr über die Eigenschaften von Materie unter extremen Bedingungen erfahren.

„Diese Forschung demonstriert einen neuen Ansatz, um Einblicke in das Verhalten von Neutronensternen zu gewinnen, und eröffnet neue Wege für die Quantensimulation von stellaren Objekten in niederenergetischen Laboren auf der Erde“, betont Francesca Ferlaino.

Die Studie wurde kürzlich in Physical Review Letters veröffentlicht und unter anderem vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und dem Europäischen Forschungsrat ERC finanziell unterstützt.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Francesca Ferlaino
Institut für Experimentalphysik
Universität Innsbruck &
Institut für Quantenoptik und Quanteninformation
Österreichische Akademie der Wissenschaften
+43 512 507-52440
francesca.ferlaino@uibk.ac.at

Originalpublikation:

Glitches in rotating supersolids. Elena Poli, Thomas Bland, Samuel J. M. White, Manfred J. Mark, Francesca Ferlaino, Silvia Trabucco and Massimo Mannarelli. Phys. Rev. Lett. 131, 223401 DOI: https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.131.223401 [arXiv: https://arxiv.org/abs/2306.09698]

https://www.uibk.ac.at/de/newsroom/2023/rotationsanomalien-von-neutronensternen-entschlusseln/

Media Contact

Dr. Christian Flatz Büro für Öffentlichkeitsarbeit
Universität Innsbruck

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Physik Astronomie

Von grundlegenden Gesetzen der Natur, ihre elementaren Bausteine und deren Wechselwirkungen, den Eigenschaften und dem Verhalten von Materie über Felder in Raum und Zeit bis hin zur Struktur von Raum und Zeit selbst.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Astrophysik, Lasertechnologie, Kernphysik, Quantenphysik, Nanotechnologie, Teilchenphysik, Festkörperphysik, Mars, Venus, und Hubble.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Spitzenforschung in der Bioprozesstechnik

Das IMC Krems University of Applied Sciences (IMC Krems) hat sich im Bereich Bioprocess Engineering (Bioprozess- oder Prozesstechnik) als Institution mit herausragender Expertise im Bereich Fermentationstechnologie etabliert. Unter der Leitung…

Datensammler am Meeresgrund

Neuer Messknoten vor Boknis Eck wurde heute installiert. In der Eckernförder Bucht, knapp zwei Kilometer vor der Küste, befindet sich eine der ältesten marinen Zeitserienstationen weltweit: Boknis Eck. Seit 1957…

Rotorblätter für Mega-Windkraftanlagen optimiert

Ein internationales Forschungsteam an der Fachhochschule (FH) Kiel hat die aerodynamischen Profile von Rotorblättern von Mega-Windkraftanlagen optimiert. Hierfür analysierte das Team den Übergangsbereich von Rotorblättern direkt an der Rotornabe, der…