Wie sich Atome zu neuen Molekülen umordnen

Chemische Reaktionen, also die allgegenwärtige Umordnung von Atomen zu neuen Molekülen, geben Wissenschaftlern und Ingenieuren schon seit Jahrhunderten Rätsel auf. Nur durch das Verständnis des Ablaufs chemischer Reaktionen kann man heutzutage die Herstellung von Kunststoffen und Medikamenten verbessern oder die Zerstörung der Ozonschicht unserer Erde verhindern.

Eine der wichtigsten Klassen chemischer Reaktionen haben nun Wissenschaftler am Physikalischen Institut der Universität Freiburg erstmalig im Detail entschlüsseln können. In dieser interdisziplinären Arbeit zwischen Physik und Chemie, die in der neuesten Ausgabe des Fachmagazins Science erscheint, zeigen sie, dass die Umordnung der Atome während dieser Reaktion ganz anders abläuft als bisher angenommen (Science online, 11.01.08 DOI 1126/science.1150238)

Vor fünf Jahren begann PD Dr. Roland Wester als Projektleiter in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Matthias Weidemüller mit dem Bau einer speziellen Apparatur, in der einzelne chemische Reaktionen wie in einem Billiardspiel beobachtet werden können. Die Ausgangsstoffe bewegen sich dabei mit kontrollierter Geschwindigkeit aufeinander zu und reagieren miteinander. Dann werden die Geschwindigkeit der entstehenden Reaktionsprodukte mit einer Kamera sichtbar gemacht. „Am Anfang hatten wir nicht nur mit vielen ungelösten Problemen zu kämpfen, sondern auch mit den Zweifeln unserer Fachkollegen, dass diese Experimente jemals klappen würden. Heute verfügen wir über eine weltweit einmalige Apparatur zur Beobachtung einer Vielzahl chemischer Reaktionen.“ sagt Roland Wester.

In ihrer aktuellen Arbeit haben die Freiburger Wissenschaftler die Austauschreaktion von negativ geladenen Chlor-Atomen mit Iodmethan-Molekülen CH3I. Dabei entstehen das Molekül CH3Cl und ein negativ geladenes Jod-Atom. Die Freiburger Experimente förderten verschiedene unerwartete Effekte zu Tage. Entgegen der einfachen Vorstellung, die sich auch in vielen Chemie-Lehrbüchern findet, läuft diese Austauschreaktion bei geringen Chlor-Geschwindigkeiten nämlich nicht so ab, dass das Chlor-Atom sich dem CH3I-Molekül von einer Seite nähert und das Jod-Atom nach der Umordnung des molekularen Komplexes in entgegen gesetzter Richtung davonfliegt. Stattdessen dreht sich der Reaktionskomplex mehrfach in verschiedene Richtungen, so dass sich das Jod-Atom in unbestimmter Richtung vom Komplex löst. „Durch die Zusammenarbeit mit der Theorie-Gruppe von Prof. Dr. Bill Hase, Texas Tech University, USA, gelang es uns sogar noch einen weiteren, völlig unerwarteten, Reaktionsmechanismus zu entdecken, der bei höheren Geschwindigkeiten wichtig wird.“ erläutert Dr. Jochen Mikosch, der vor kurzem über die experimentellen Arbeiten in Freiburg promovierte. Diesem neuen Reaktionsmechanismus haben die Forscher gleich einen Namen gegeben. Sie nennen ihn den „Roundabout“-Mechanismus nach dem englischen Wort für Karussell und Kreisel.

Die untersuchten Austauschreaktionen spielen in Wasser und damit möglicherweise in biologischen Prozessen eine sehr große Rolle. Deshalb wollen die Forscher in Zukunft den Einfluss von Wassermolekülen auf die Reaktion untersuchen. Dabei geht es ihnen um bessere Vorhersagen des Ablaufs technologisch wichtiger Reaktionen und um das Verständnis chemischer Prozessen in lebenden Zellen. Vor allem aber sind Matthias Weidemüller und Roland Wester überzeugt, dass das Grenzgebiet zwischen Physik und Chemie, das durch die Verbindung aus Komplexität und Quantentheorie geprägt ist, noch viele weitere Überraschungen bereithält. „Unser Verständnis der modernen Quantenphysik erfährt derzeit einen Paradigmenwechsel. Man ging bislang davon aus, dass quantenmechanische Prozesse keinen nennenswerten Einfluss auf komplexe Vorgänge, insbesondere in der belebten Natur, haben. Inzwischen hat sich durch die Forschritte in der Erforschung komplexer Quantensysteme der Blick geweitet und ich bin sicher, dass man schon in naher Zukunft Hinweise auf Phänomene in der belebten Natur finden wird, bei denen die Quantenphysik eine entscheidende Rolle spielt“, meint Matthias Weidemüller. Diese zu entdecken ist für die Freiburger Wissenschaftler die große Herausforderung.

Kontakt:
Dr. Roland Wester
Lehrstuhl für Atomare und Molekulare Quantendynamik
Physikalisches Institut, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-5815
E-Mail: roland.wester@physik.uni-freiburg.de
Prof. Dr. Matthias Weidemüller
Tel.: 0761/2035740
E-Mail: matthias.weidemueller@physik.uni-freiburg.de

Media Contact

Rudolf-Werner Dreier idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-freiburg.de/

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