Supraleiter Lithium
Das leichteste Metall wird bei minus 257 Grad und unter extrem hohem Druck zum Supraleiter mit einer der höchsten bisher beobachteten Sprungtemperaturen unter allen chemischen Elementen.
Supraleitung in Lithium haben Wissenschaftler der Hochdruckgruppe am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz und des Geophysical Laboratory of the Carnegie Institution in Washington/USA, entdeckt (Sciencexpress, 17. Oktober 2002). Sie erreichten diesen Erfolg zur gleichen Zeit wie eine japanische Forschergruppe, die ihre Ergebnisse eine Woche zuvor in „Nature“ veröffentlicht hatte (Nature, 10. Oktober 2002). Der Übergang zur Supraleitung tritt in Lithium bei einer Temperatur von 9 Kelvin (264 Grad Celsius) und einem Druck von 230.000 Atmosphären (23 GPa) ein, wobei diese so genannte Sprungtemperatur bei einem Druck von 80 GPa sogar auf 16 Kelvin ansteigt. Das ist eine der höchsten Sprungtemperaturen eines chemischen Elements; doch sie liegt viel niedriger als theoretisch vorausgesagt. Aus Sicht der Forscher können diese Ergebnisse helfen, die Theorie zur Supraleitung so weiter zu entwickeln, dass sich die Sprungtemperatur eines Elements künftig schon vor einem Experiment genau voraussagen lässt.
Supraleitung tritt dann auf, wenn ein Material bis auf eine bestimmte Temperatur, die so genannte Sprung- oder Übergangstemperatur, abgekühlt wird und der elektrische Widerstand verschwindet. Dieser Effekt, bereits 1911 von dem niederländischen Physiker Heike Kamerlingh Onnes entdeckt, ist bis heute noch nicht vollständig verstanden. Besonders schwierig gestaltet sich die Vorhersage, bei welcher Temperatur tatsächlich der Übergang in den supraleitenden Zustand eintritt. Deshalb ist die Untersuchung von Lithium und anderen metallischen Elementen weiterhin von fundamentaler Bedeutung .
Lithium ist das „einfachste“ und leichteste Metall. Seine Kristallstruktur ist hochsymmetrisch und seine elektronischen Eigenschaften lassen sich durch ein Modell gut beschreiben. Doch Supraleitung konnte bisher in Lithium bei normalem Druck nicht nachgewiesen werden. Deshalb fand dieses Metall erst dann wieder gesteigertes Interesse in der Forschung, als Wissenschaftler im Jahr 2000 voraussagten, dass dieses Element unter erhöhtem Druck verschiedene Strukturumwandlungen durchlaufen könnte, die möglicherweise zu einem Zustand „gepaarter Atome“ geringer Symmetrie und Quasi-Isolator-Eigenschaften führen würden, ähnlich dem des molekularen Wasserstoffs.
Weltweit starteten seither viele Experimente und theoretische Untersuchungen zu Lithium. Die experimentellen Untersuchungen werden sehr erschwert, da Lithium hochreaktiv und in einem Hochdruckexperiment sehr schwierig zu handhaben ist. Im Jahr 2000 gelang es erstmals, eine Hochdruckphase von Lithium mit Hilfe der Röntgenbeugung nachzuweisen. Diese so genannten Phasenübergänge waren begleitet von einer starken Elektron-Gitter-Kopplung; Berechnungen ließen daraufhin erwarten, dass Supraleitung in Lithium bei einer Sprungtemperatur zwischen 60 und 80 Grad Kelvin eintreten könnte.
Nur zwei Jahre später ist es jetzt zwei Forschergruppen unabhängig voneinander zur gleichen Zeit gelungen, Supraleitung in Lithium tatsächlich nachzuweisen. Ihre Entdeckung veröffentlichte die japanische Gruppe am 10. Oktober 2002 in „Nature“, und das Team aus dem Max-Planck-Institut für Chemie und des Geophysical Laboratory am 17. Oktober in „Sciencexpress“. Die Forscher der Universität Osaka/Japan stellten fest, dass der elektrische Widerstand in Lithium bei einem Druck oberhalb von 30 GPa (300.000 Atmosphären) stark zurückggeht, und dass dieses Phänomen bei Anlegen eines starken magnetischen Feldes vollständig in sich zusammenbricht – klare Indizien für den supraleitenden Zustand. Die Wissenschaftler beobachteten zudem, dass die Sprungtemperatur bei 48 GPa auf 20 Kelvin ansteigt – die bisher höchste Sprungtemperatur unter allen chemischen Elementen .
Die in „Sciencexpress“ veröffentlichte Studie der Hochdruck-Gruppe des Mainzer Max-Planck-Instituts für Chemie und des Geophysical Laboratory of the Carnegie Institution in Washington/USA stimmt mit den Ergebnissen der japanischen Wissenschaftler grundsätzlich überein. Die Mainzer Forscher nutzten eine neuartige Diamant-Hochdruck-Zelle, in der Lithium von Diamant-Stempeln zusammengepresst wird und sein elektrischer Widerstand sowie der Einfluss eines magnetischen Feldes gemessen werden können. Die Forscher stellten fest, dass die Sprungtemperatur bei Lithium von 9 Kelvin bei einem Druck von 23 GPa bis auf 16 Kelvin bei 80 GPa ansteigt.
„Die experimentell gemessene Sprungtemperatur für Lithium steht offensichtlich im Widerspruch zu den in der Theorie vorausgesagten, viel höheren Werten“, sagt Mikhail I. Eremets, einer der Autoren der „Science online“-Veröffentlichung. „Von daher brauchen wir jetzt ganz neue theoretische Verfahren, ähnlich jenen, die für metallischen Wasserstoff vorgeschlagen wurden. Ziel ist eine Theorie, mit der die Sprungtemperatur eines Materials schon vor dem Experiment exakt vorausgesagt werden kann.“
Den Mainzer Max-Planck-Wissenschaftlern war es erst kürzlich gemeinsam mit ihren Kollegen aus Washington gelungen, Supraleitung in Bor, einem weiteren leichten Element , nachzuweisen (Mikhail I. Eremets, Viktor V. Struzhkin, Ho-kwang Mao, and Russell J. Hemley: Superconductivity in Boron, Science 2001 July 13; 293: 272-274). Sie fanden mit 11 Kelvin bei Born eine relativ hohe Sprungtemperatur, die sich – wie bei Lithium – mit steigendem Druck noch erhöht.
Die neuen Erkenntnisse geben der experimentellen und theoretischen Forschung über Supraleiter insgesamt starken Auftrieb, vor allem bei der Suche nach Hochtemperatur-Supraleitfähigkeit in Verbindungen aus leichten Elementen bei normalem Druck. Zudem sind diese Ergebnisse wichtig für die Suche nach Supraleitung in Wasserstoff, dem leichtesten aller chemischen Elemente . Die Theorie sagt bisher voraus, dass molekularer Wasserstoff bei einem Druck von 300 bis 400 GPa schon bei Raumtemperatur metallische Eigenschaften annimmt und zum Supraleiter wird.
Dr. Mikail Eremets
Max-Planck-Institut für Chemie, Mainz
Hochdruck-Gruppe
Tel.: 06131-305-312
E-Mail: eremets@mpch-mainz.mpg.de
Dr. Viktor Struzhkin
Geophysical Laboratory of the Carnegie Institution of Washington, DC, USA
Tel.: 001-202-478-8952
E-Mail: Struzhkin@gl.ciw.edu
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