Sauerstoffatome im Elektronenmikroskop direkt sichtbar gemacht
Scharfe Einblicke in Keramiken und Supraleiter
Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich haben mit einem Elektronenmikroskop einzelne Sauerstoffatome in einer bestimmten Klasse von Materialien, den Perowskiten, direkt sichtbar gemacht. Ihr Erfolgsrezept: Sie haben eine Technik entwickelt, um die im Mikroskop unvermeidlichen Abbildungsfehler zu korrigieren. Diese Fehler führen in kommerziellen Geräten zwangsläufig zu verschwommenen Bildern, die keine einzelnen Sauerstoffatome mehr erkennen lassen. Die Ergebnisse der Jülicher Wissenschaftler sind in der neuesten Ausgabe der renommierten Zeitschrift „Science“ veröffentlicht (Science, 7. Februar 2003).
Keramische Materialien auf der Basis von Oxiden mit Perowskitstruktur – zu ihnen gehören Barium- oder Strontiumtitanat – spielen eine große Rolle in der modernen Elektronik. Ihre Anwendung ist bereits heute weit verbreitet, zum Beispiel als Chip in Telefon- oder Geldkarten. Perowskite sind auch das Basismaterial für Hochtemperatursupraleiter und werden zukünftig zunehmend in der Mikroelektronik benötigt. Dort werden sie in dünnsten Schichten von nur einigen zehn bis einigen hundert Atomlagen eingesetzt. Eines der wichtigsten Probleme auf dem Weg dorthin ist die korrekte Einstellung des Sauerstoffgehaltes dieser Oxide, der dann über die große Zahl von Prozessschritten bei der Bauelementherstellung beibehalten werden muss. „Der Sauerstoffgehalt bestimmt kritisch die elektrischen Eigenschaften der perowskitischen Oxide“, erläutert Prof. Knut Urban vom Jülicher Institut für Festkörperforschung das Problem. „Da bereits das Fehlen weniger Sauerstoffatome in den elektrisch aktiven Zonen der dünnen Schichten deren Funktion ernsthaft beeinträchtigt, müssen diese mit quasi-atomarer Präzision hergestellt werden.“
Mit der Durchstrahlungselektronenmikroskopie lässt sich prinzipiell kontrollieren, ob diese atomare Präzision tatsächlich gegeben ist. Daher bemühen sich die Forscher seit Ende der Achtzigerjahre, die Sauerstoffatome im Mikroskop direkt sichtbar zu machen – bislang aber ohne Erfolg. Dabei ist das Grundprinzip der Elektronenmikroskopie einfach: Ein Elektronenstrahl durchdringt eine dünne Probe. Die austretenden Elektronen werden durch ein elektromagnetisches Linsensystem geführt und von diesem zu einem stark vergrößerten Bild zusammengestellt. Doch verschiedene Ursachen führen zu verzerrten Bildern, die keine einzelnen Sauerstoffatome mehr erkennen lassen.
Der Gruppe um Knut Urban ist hier nun ein Durchbruch gelungen: Die Wissenschaftler arbeiten mit dem bislang weltweit einzigen so genannten „aberrationskorrigierten“ Transmissionselektronenmikroskop. Das Problem der „sphärischen Aberration“ tritt bei Licht- wie bei Elektronenmikroskopen gleichermaßen auf: Licht- bzw. Elektronenstrahlen, die die Linsen des Mikroskops nahe dem Rand passieren, werden zu stark abgelenkt – das Bild verschwimmt. Doch mit speziell geformten magnetischen Linsen können die Forscher diesen bisher unvermeidlichen Abbildungsfehler korrigieren. Sie haben dem Elektronenmikroskop – bildlich gesprochen – eine Brille verordnet und so dessen Blick geschärft. Dieser Schritt erweist sich nun als außerordentlich erfolgreich: Er erlaubt nicht nur, erstmals den Sauerstoff atomar abzubilden, sondern man kann damit sogar den Sauerstoffgehalt in atomaren Dimensionen quantitativ messen. Ihre wegweisenden Ergebnisse haben Prof. Knut Urban und seine Mitarbeiter, der Mikroskopiespezialist Dr. Markus Lentzen und der Materialforscher Dr. Chun Lin Jia, in der neuesten Ausgabe von „Science“ veröffentlicht.
Die neuartige Korrekturtechnik haben die Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich zusammen mit Kollegen vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg und von der Technischen Universität Darmstadt in den Neunzigerjahren entwickelt – und damit den Prototyp einer völlig neuen Generation von Mikroskopen geschaffen: So werden im Laufe dieses Jahres weltweit die ersten kommerziellen aberrationskorrigierten Elektronenmikroskope ausgeliefert. Knut Urban ist überzeugt: „Dieses Verfahren wird auf vielen Gebieten der Materialforschung die klassische Art der hochauflösenden Elektronenmikroskopie ablösen.“
Informationen:
Dr. Renée Dillinger, Wissenschaftsjournalistin
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