Supraleitung versteckt Pseudolücke. Neue Erkenntnisse über Hochtemperatur-Supraleiter
Ohne elektrischen Widerstand in Metallen kann Strom am besten fließen, nahezu verlustfrei. Deshalb sind Physiker seit der Entdeckung der so genannten Hochtemperatur-Supraleitung im Jahre 1986 auf der Suche nach Möglichkeiten, Materialien zu finden, die schon bei Raumtemperatur „super“ leiten.
Allerdings hat man die Physik und den Mechanismus der Hochtemperatur-Supraleitung bis heute noch nicht vollständig verstanden. Oberhalb der kritischen Temperatur, bei der ein Supraleiter in den supraleitenden Zustand übergeht, hat man auch im Normalzustand ungewöhnliche Eigenschaften wie eine „Pseudolücke“ (ähnlich wie im supraleitenden Zustand) beobachtet. Eine Vermutung zur Erklärung dieses Verhaltens besteht darin, dass schon gepaarte Elektronen – die für die Supraleitung verantwortlichen Teilchen – oberhalb der kritischen Temperatur vorliegen. Zumindest für elektrondotierte Hochtemperatur-Supraleiter glauben nun Physiker von der Freien Universität Berlin, vom Walther-Meißner-Institut für Tieftemperaturforschung (WMI) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und von NTT (Japan), diese Theorie ausschließen zu können, wie sie in „Nature“ berichten.
Die Entdeckung von so genannten Hochtemperatur-Supraleitern, die erst bei einer kritischen Sprungtemperatur von etwa minus 180 Grad Celsius supraleitend werden, hatte vor mehr als 15 Jahren große Hoffnungen auf Anwendungen der Supraleitung sogar bei Raumtemperatur erweckt. Ein Grund, warum dieses Ziel in weite Ferne gerückt erscheint, liegt unter anderem darin, dass die komplexe Physik dieses makroskopischen Quantenphänomens bislang immer noch nicht richtig verstanden ist. In den vergangenen Jahren habe Forscher jedoch immer tiefere Einblicke in dieses spannende Gebiet der Festkörperphysik gewonnen. Eine theoretische Vorstellung, die prinzipiell die Möglichkeit von Hochtemperatur-Supraleitern mit noch höheren Sprungtemperaturen zulässt, ist die der so genannten „vorgeformten Paare“.
Dabei wird diskutiert, dass die für die Supraleitung verantwortlichen Elektronenpärchen sich schon weit oberhalb der kritischen Sprungtemperatur bilden, jedoch noch nicht mit anderen Pärchen quantenmechanisch wechselwirken, um gemeinsam den supraleitenden Gesamtzustand herbeizuführen. Dies geschieht dann eben erst bei der viel niedrigeren kritischen Temperatur. In einem bestimmten Temperaturbereich oberhalb der kritischen Temperatur erscheint also schon so etwas wie ein „Vorläuferstadium“ der Supraleitung. Innerhalb dieser theoretischen Vorstellung ist dieses Vorläuferstadium auch verantwortlich für eine so genannte Pseudolücke, die in vielen Experimenten beobachtet wird. Dabei tritt im Anregungsspektrum des Supraleiters oberhalb seiner Sprungtemperatur eine Lücke auf, die vergleichbar mit der wohlbekannten supraleitenden Energielücke (eine Mindestenergiemenge, die benötigt wird, um den supraleitenden Zustand zu überwinden), jedoch weit weniger ausgeprägt ist. Man kann sich nun vorstellen, dass noch höhere Sprungtemperaturen erreicht werden können, wenn es durch einen schlauen Trick gelänge, das Vorläuferstadium der Supraleitung in echte Supraleitung zu verwandeln.
Jüngste Forschungsergebnisse zu einer speziellen Sorte von Hochtemperatur-Supraleitern, den elektrondotierten Hochtemperatur-Supraleitern, widersprechen jedoch leider diesem Gedankengebäude. Forscher um Lambert Alff am Walther-Meißner-Institut in Garching konnten in Zusammenarbeit mit der Freien Universität Berlin und NTT (Japan) zeigen, dass zumindest für diese elektrondotierten Hochtemperatur-Supraleiter besagte Pseudolücke nicht auf ein Vorläuferstadium der Supraleitung zurückzuführen ist. Sie fanden heraus, dass sich die Pseudolücke in den untersuchten Materialien erst unterhalb der Sprungtemperatur bildet. Die Pseudolücke ist also bei elektrondotierten Hochtemperatur-Supraleitern sozusagen durch die Supraleitung versteckt. Unterdrückt man jedoch die Supraleitung vollständig durch ein Magnetfeld, so tritt die Pseudolücke wieder zu Tage. Auch dies besagt, dass die Pseudolücke nicht durch eine Art Vorläufersupraleitung hervorgerufen werden kann.
Wenn diese Ergebnisse generell auf andere Hochtemperatur-Supraleiter, die alle eine sehr ähnliche Struktur besitzen, bei denen die Pseudolücke aber oberhalb der kritischen Temperatur beobachtet wird, verallgemeinert werden können, könnte man die Theorie der Vorläufersupraleitung ausschließen. Nicht ausschließen sollte man jedoch die Vorstellung von Supraleitern bei noch höheren kritischen Temperaturen. Denn erst ein genaues Verständnis der Hochtemperatur-Supraleitung wird endgültig die Frage klären, ob höhere Sprungtemperaturen innerhalb dieser Materialgruppe erreicht werden können. Immerhin wurde vor Entdeckung der Hochtemperatur-Supraleitung die maximal mögliche Sprungtemperatur auf etwa minus 250 Grad Celsius abgeschätzt, eine Grenze, die inzwischen nicht nur durch die Hochtemperatur-Supraleiter klar überschritten ist.
Literatur:
L. Alff, Y. Krockenberger, B. Welter, M. Schonecke, R. Gross, D. Manske & M. Naito, „A hidden pseudogap under the ’dome’ of superconductivity in electron-doped high-temperature superconductors“, in Nature 422, 698 (2003)
Weitere Informationen erteilen:
Dr. Dirk Manske
Institut für Theoretische Physik
der Freien Universität Berlin
Arnimallee 14, 14195 Berlin,
Tel.: 030 ´- 838-53042
E-Mail: dmanske@physik.fu-berlin.de
Dr. Lambert Alff
Walther-Meißner-Institut für Tieftemperaturforschung
der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
E-Mail: Lambert.Alff@wmi.badw.de
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