Wie Gas und Staub sich zu neuen Sternen zusammenballen
Der Raum zwischen den Sternen ist keineswegs leer. Er enthält Gas und Staub, allerdings unter extremen Bedingungen: Die Temperaturen liegen mit weniger als minus 260 Grad Celsius nur knapp über dem Absoluten Nullpunkt, die Dichte ist unvorstellbar gering – ein Vakuum, das sich auf der Erde nicht verwirklichen lässt.
Dennoch entstehen aus dieser interstellaren („zwischen den Sternen“ vorkommenden) Materie auch heute noch neue Sterne. Um solche Vorgänge zu enträtseln, haben Wissenschaftler die Astrophysik ins Labor geholt. Über dieses faszinierende Thema berichtet der Preisträger des erstmals in diesem Jahr verliehenen „Minerva Award“, Prof. Daniel Zajfman, The Weizmann Institute of Science, Rehovot, Israel, in einem Öffentlichen Vortrag (in englischer Sprache) am 23. September 2003, um 19.00 Uhr, in der Alten Universität Heidelberg.
Wichtigstes Instrument bei den Untersuchungen Zajfmans ist der Test Storage Ring (TSR) des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg. Damit lassen sich ultrakalte Molekülsorten wie sie im Weltraum vorkommen, herstellen. Und so die grundlegenden physikalischen und chemischen Prozesse untersuchen, die schließlich dazu führen, dass neue Sonnen erstrahlen – aber auch neue Planetensysteme entstehen.
Seit über zwölf Jahren arbeitet Prof. Daniel Zajfman – er wurde 1959 in Belgien geboren und ist 1979 nach Israel ausgewandert – mit Prof. Dirk Schwalm und Prof. Andreas Wolf am Max-Planck-Institut für Kernphysik zusammen. Mehr als 60 wissenschaftliche Arbeiten über Forschungsergebnisse aus Deutschland stammender Studenten am Weizmann-Institut und ihrer Kollegen aus Israel am Heidelberger Max-Planck-Institut sind inzwischen über das Thema veröffentlicht worden.
Ein extrem schwieriges Unterfangen: Versucht man doch in Labors auf der Erde die kosmischen Zustände und Wechselwirkungen zu verstehen, die Tausende von Lichtjahren entfernt stattfinden und das Geschehen in der interstellaren Materie bestimmen.
Die interstellare Materie besteht im wesentlichen aus Gas, also frei umher schwirrenden Atomen und Molekülen, aber auch aus festen, mikroskopischen Partikeln, dem kosmischen Staub. Im Weltall sind diese Bestandteile unterschiedlich dünn verteilt; im interstellaren Gas kommt durchschnittlich nur ein einziges Atom pro Kubikzentimeter Raum vor.
Dass in der Eiseskälte des Alls unter extrem geringem Druck sich Atome begegnen und zu Molekülen zusammenschließen können, galt lange Zeit als äußerst unwahrscheinlich. Erst als die technische Entwicklung immer feinere Analysen der Strahlung aus dem Weltraum möglich gemacht hat, zeigte sich: „Zwischen den Sternen gibt es mehr unterschiedlich aufgebaute Moleküle als in den Sternen selbst“, bestätigt Prof. Zajfman. Mehrere Dutzend solcher Weltraummoleküle sind inzwischen anhand ihrer „spektralen Fingerabdrücke“ gefunden worden.
Moleküle sind mehr oder weniger zerbrechliche Atomverbände. Im Weltraum sind sie harten Belastungen ausgesetzt, beispielsweise durch Schockwellen oder energieintensive Strahlung. Wenn sie von Lichtteilchen oder anderen Molekülen getroffen werden, beginnen sie unterschiedlich schnell zu rotieren und zu schwingen und wirken dann wie kleine Sendeantennen. Sie strahlen dabei elektromagnetische Wellen ab, die wegen der niedrigen Temperaturen in den „galaktischen Kühlschränken“ vor allem im energiearmen Radio- und Infrarot-Bereich mit Teleskopen auf der Erde nachgewiesen werden können. Dabei liefern die Spektrallinien solcher Moleküle nicht nur Informationen über die chemische Zusammensetzung der interstellaren Materie, sondern auch über wichtige physikalische Eigenschaften wie Temperatur, Dichte, Bewegungen oder magnetische Felder.
Im nahezu leeren Weltraum geschieht es nur äußerst selten, dass freie Atome zufällig zusammenstoßen und sich zu Molekülen vereinen. Wesentlich besser stehen die Chancen, wenn einer der Partner elektrisch geladen ist und somit seine Anziehungskraft wächst. Er braucht nur ein Elektron zu verlieren, etwa durch den „Beschuss“ mit intensiver kosmischer Strahlung: Neutrale Atome werden so zu elektrisch geladenen Ionen, ebenso wie Moleküle, sofern sie nicht völlig zerschlagen werden, zu chemisch aggressiven „Radikalen“. Welche Rolle allerdings die kosmischen Staubteilchen spielen, ist bislang weitgehend unbekannt. Zwischen diesen Teilnehmern findet die „kalte, interstellare Chemie“ statt – dies ist das Arbeitsgebiet von Prof. Zajfman.
Prof. Zajfman ist weltweit anerkannter Spezialist für elektrisch geladene Moleküle, besonders von Wasserstoff, einfachen Kohlenwasserstoff-Verbindungen und ionisiertem Sauerstoff. Damit versucht Prof. Zajfman die grundlegenden physikalischen Kräfte besser zu verstehen, die dafür verantwortlich sind, dass im interstellaren Raum Moleküle entstehen, erhalten bleiben oder zu Bruchstücken zerfallen. Für solche atomare Basisdaten, die auch auf der Erde etwa für die Chemie von entscheidender Bedeutung sind, gibt es bisher vor allem aus der Theorie abgeleitete Näherungsberechnungen, doch kaum exakte Messungen, schon gar nicht unter den „exotischen“ Bedingungen der interstellaren Materie.
Am Test Storage Ring des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Kernphysik ist es dem deutsch-israelischen Forscherteam nun gelungen, einige Prozesswege aufzuklären, über die Moleküle im interstellaren Raum entstehen oder in einzelne Atome zerbrechen und welche Energien dabei freigesetzt werden. Das hat auch den Vergleich der von weit entfernten Weltraummolekülen ausgesendeten Spektren mit den im Labor gewonnenen Daten wesentlich verbessert und neue allgemeine Erkenntnisse über die interstellare Materie gebracht.
Bei seinen Forschungsarbeiten hat Prof. Zajfman außerdem ein naheliegendes Gebiet für seine Untersuchungen entdeckt. Den in Höhen zwischen 80 und 480 Kilometern über der Erdoberfläche Ionosphäre genannten Teil der Lufthülle. Intensive Strahlung von der Sonne trifft auch hier auf häufig vorkommende Moleküle, die dadurch ionisiert werden, also Elektronen einfangen oder verlieren. „Chemische Reaktionen, die in der Ionosphäre stattfinden, beeinflussen die gesamte Atmosphäre“, sagt Prof. Zajfman. „Daraus folgt, dass sie auch unser Überleben auf dem Planeten beeinflussen.“
Mit einer neuartigen, so genannten Ionenstrahlfalle hat Prof. Zajfman unterdessen ein weiteres Instrument für seine Untersuchungen entwickelt. Damit lassen sich, ähnlich wie im Heidelberger Test Storage Ring, mit Hilfe elektrostatischer Felder „Wolken“ aus ionisierten Molekülen speichern – in einer mit nur 50 Zentimetern Länge ungewöhnlich kompakten Anlage. Darin pendeln die Ionen zwischen zwei „Spiegeln“ hin und her, ehe sie auf ein Ziel losgelassen und die Reaktionsprodukte identifiziert und gemessen werden können.
Weil in den Zajfmanschen Ionenstrahlfallen auch größere Teilchen unabhängig von ihrer Masse eingeschlossen werden können, haben völlig unerwartet inzwischen auch andere Forschungsgruppen diese Technik übernommen: Zum Beispiel Biologen für Experimente mit langgestreckten Molekülen wie der DNA oder sogar ganzen Viren.
Prof. Zajfmans Forschungsergebnisse stellen einen wichtigen Beitrag dar, die fundamentalen Vorgänge aufzuspüren, durch die sich die interstellare Materie in manchen Regionen des Weltalls so stark zusammenballt, dass unter der Wirkung der Schwerkraft die Temperaturen gewaltig ansteigen und schließlich die nukleare Kernverschmelzung beginnt: Ein neuer Stern ist geboren. Ähnlich sind so vor schätzungsweise sechs Milliarden Jahren auch unsere Sonne und ihre Planeten einschließlich der Erde entstanden.
Weitere Informationen erhalten Sie von:
Prof. Dirk Schwalm
Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
Tel.: 06221 516 – 360
Fax.: 06221 516 – 602
E-Mail: schwalm@mpi-hd.mpg.de
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