Vor 100 Jahren: Potsdamer entdeckt kaltes Gas vor heißem Stern

Der Raum zwischen den Sternen ist nicht leer. Er enthält Gas und Staub. Dass es, für uns unsichtbar, kaltes interstellares Gas gibt, entdeckte vor 100 Jahren der Potsdamer Astronom Johannes Franz Hartmann. Als Instrument benutzte er u.a. den 1899 auf dem Potsdamer Telegraphenberg aufgestellten Großen Refraktor (Bild). Der Potsdamer Große Refraktor ist ein Doppelfernrohr mit 80 bzw. 50 cm Linsendurchmesser. Er wird zur Zeit restauriert.

Das Weltall enthält mehr als Sterne. Es ist u.a. angefüllt mit Gas und Staub. Diese interstellare Materie ist nicht nur außerordentlich dünn, sie ist wichtig: Aus ihr entstehen Sterne.

In Gegenden, wo gerade Sterne geboren sind, wie im Orionnebel, leuchtet das inter- stellare Gas. Woanders ist der fein verteilte Stoff kalt und unsichtbar. Dennoch ent- deckte Prof. Hartmann vor 100 Jahren nichtleuchtendes interstellares Gas. Im März 1904 erfuhr die Welt davon.

Hartmann war Spektroskopiker. Er zerlegte mit Hilfe von Prismen das Licht der Sterne in seine farblichen Bestandteile, ein Spektrum. Zuweilen bedient sich Natur der Regentropfen, um einen Regenbogen an den Himmel zu zaubern. Die Wassertröpfchen wirken wie die Prismen eines Spektralapparats. Bei Sternen ist es nicht ganz so einfach, Spektren zu gewinnen. Man braucht dazu große Teleskope. Ein Spektrum verrät vielüber den Stern, insbesondere die Stellen im Spektrum, wo Farbe fehlt. Eine dunkle Linie kündet vom Vorhandensein eines bestimmten chemischen Elements.

Hartmanns Augenmerk galt dem rechten der drei Gürtelsterne des Orion, delta-Orionis. Star-Trek-Fans kennen ihn unter dem Namen Mintaka. Ein Pariser Astronom hatte behauptet, es handele sich um einen spektroskopischen Doppelstern. Hartmann sollte das auf Geheiß seines Chefs, des Geh. Oberregierungsrats Vogel, nachprüfen. Es stimmte. 1000 Lichtjahre von uns entfernt umkreisen einander zwei Sterne, aneinandergekettet durch die Schwerkraft.

Hartmann fand die richtige Umlaufzeit heraus: 5 Tage 17 Stunden 34 Minuten. Bei dem ge- ringen Abstand der beiden Sterne voneinander — sie sind einander näher als der Merkur der Sonne —, ist das Sternenpärchen auch mit den größten Fernrohren nicht zu trennen. Aber spektroskopisch verraten sie sich durch ihre Umlaufbewegung. Mal kommt der Hauptstern auf uns zu, mal sein Begleiter. Das macht sich in einer periodischen Verschiebung der Spektralli- nien (Dopplereffekt) bemerkbar.

Berühmt machten Hartmann aber nicht die beweglichen Spektrallinen, vielmehr die ruhenden. Letztere konnten nicht vom Stern sein. Sie verrieten, „dass sich eine aus Calciumdämpfen bestehende Nebelmasse zwischen uns und dem Stern befindet“, so Direktor Vogel, als er der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin davon Meldung machte. Kalzium ist nur ein Spurenelement im Kosmos, aber das konnte Hartmann noch nicht wissen.

Der gebürtige Erfurter ist in der Welt herumgekommen. Der Potsdamer Große Refraktor verdankt ihm viel. Heute noch unterwirft man astronomische Optiken dem „Hartmanntest“, um ihre Güte zu beurteilen. Von Potsdam ging Hartmann 1909 nur ungern weg, zunächst nach Göttingen. Seine Osterformel, die kürzer als die von Karl Friedrich Gauß ist, einem anderen berühmten Göttinger, brachte ihn noch zu Lebzeiten in den le Brockhausil. Die zwanziger Jahre sahen ihn in La Plata. Jahrelang stand er der argentinischen Sternwarte als Direktor vor. Hartmann verstarb 1936, 71-jährig, in Göttingen.

Seine spektrografischen Aufnahmen sind wieder gefragt. Sie weilen z.Z. in Kanada und dienen einem höchst irdischen Zweck. Vielleicht, dass sich durch sie herausfinden lässt, ob es bereits um 1900 ein Ozonloch gab. Das Ozon der Stratosphäre sollte spektroskopische Spuren auf den Hartmannschen Photoplatten hinterlassen haben.

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Matthias Hassenpflug AIP

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