Erste Schritte auf dem Weg zur Spin-Elektronik
Stuttgarter Max-Planck-Forscher gelingt es erstmals, die Wechselwirkung zwischen Elektronen-Spin und Kern-Spin in einem Halbleiter elektrisch zu messen und zu steuern
Bei der Spin-Elektronik sollen nicht nur die elektrische Ladung, sondern auch die Eigenrotation (Spin) von Elektronen und Atomkernen zur Verarbeitung und Kodierung von Informationen verwendet werden. Forschern des Stuttgarter Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung und des Garchinger Walter Schottky Instituts der Technischen Universität München ist es gelungen, die Wechselwirkung von Spins zwischen freien Elektronen und Atomkernen mit Hilfe einer komplizierten Feldeffekt-Transistor-Anordnung allein elektrisch zu messen und zu steuern (nature, 17. Januar 2002). Diese Ergebnisse eröffnen interessante Perspektiven für die Erforschung von Kern- und Elektronen-Spins in Nanostrukturen sowie für neue Konzepte in der Informationstechnologie.
In der Elektronik und Informationstechnologie sind Halbleiter deshalb so verbreitet, weil die für die Leitfähigkeit verantwortlichen freien Ladungsträger äußerst flexibel manipuliert bzw. mit Hilfe einer angelegten Spannung hin und her transportiert werden können, um logische Schaltvorgänge durchzuführen. Längerfristig kommt in der Informationstechnologie jedoch dem Spin der Elektronen oder sogar dem von einzelnen Atomkernen eine wachsende Bedeutung zu. Der Spin ist eine quantenmechanische Eigenschaft von Elementarteilchen. Man kann ihn vereinfacht als eine Drehung um die eigene Achse veranschaulichen – entweder im oder gegen den Uhrzeigersinn. Experten sprechen hierbei von aufwärts oder abwärts gerichtetem Spin. Da grundsätzlich nur zwei elementare Spinrichtungen möglich sind, liegt es nahe, diese als binäre Informationsträger zu verwenden. Festplatten sind ein alltägliches Beispiel dafür, wie der Spin zur Speicherung von digitalen Informationen mit Hilfe von magnetischen Feldern von einer in die andere Richtung dauerhaft „umgeklappt“ werden kann.
Besonders vorteilhaft wäre es jedoch, wenn man die Spinrichtung von Elementarteilchen – genauso wie die Ladungsträger in Halbleitern – auf elektrischem Weg durch Anlegen von Spannungen beliebig beeinflussen könnte. Davon verspricht man sich schnellere, leistungsfähigere Bauelemente, die gleichzeitig mehrere Funktionen in sich vereinigen, wie Speicherung, Logik und Kommunikation für die Datenverarbeitung. Noch in weiter Zukunft und zudem bislang spekulativ und kontrovers diskutiert wird die Nutzung manipulierter Spins für das sogenannte Quantencomputing. Beim Quantencomputer würden die beiden Spinzustände nicht länger nur als ‚0’ oder ‚1’ eines üblichen Bits dienen. Die quantenmechanische Überlagerung der beiden Spinzustände ergibt ein Quantenbit, in dem eine kontinuierliche Variation der Spinrichtung möglich ist. Rechner, die auf solchen Prinzipien aufbauen, könnten bei spezifischen Problemstellungen ein großes Maß an Parallelverarbeitung erreichen. Bereits heute berichten Forscher auf diesem Gebiet von Suchalgorithmen, die für das vollständige Durchsuchen großer Datenbanken von praktischer Bedeutung wären, sowie von Algorithmen zur Bestimmung von Primzahlen, die mit Hilfe eines Quantenrechners dramatisch schneller durchgeführt werden könnten. Die kühnsten, aber heute technisch noch nicht realisierbaren Vorschläge basieren auf beweglichen Elektronen in Nanostrukturen aus Halbleitermaterialien, die mit elektrischen Spannungen steuerbar sind und die den Spin isolierter Atomkerne sondieren und kontrollieren könnten.
Diese Zukunftsvisionen haben weltweit einen Wettlauf nach neuen Techniken ausgelöst, mit denen man die Richtung von Kernspins über mobile Ladungsträger in möglichst kleinen Bauelementen kontrollieren bzw. erkennen kann. Fortschritte sind dabei aber nur möglich, wenn man in diesen Nanostrukturen mehr über die mikroskopischen Wechselwirkungen zwischen den Spins der Atomkerne bzw. der Elektronen weiß und es gelingt, diese Spins von außen zu steuern. An solchen grundlegenden Fragen arbeiten Jurgen Smet und seine Kollegen am Stuttgarter Max-Planck-Institut für Festkörperforschung gemeinsam mit Wissenschaftlern der Gruppe von Gerhard Abstreiter am Garchinger Walter Schottky Institut der Technischen Universität München. Ihnen ist es jetzt gemeinsam gelungen, die Stärke der Spin-Wechselwirkung im Magnetfeld zwischen Elektronen und Atomkernen eines Halbleiterkristalls allein durch elektrische Widerstandsmessungen zu bestimmen (siehe Abb. 1).
„Abb. 1: Schematische Darstellung des von Jurgen Smet am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung verwendeten Bauelements, das von Wissenschaftlern um Gerhard Abstreiter am Walter Schottky Institut der Technischen Universität München entwickelt und perfektioniert wurde. Das technisch ausgefeilte elektronische Bauteil funktioniert im wesentlichen wie ein klassischer Feld-Effekt-Transistor, in dem durch eine angelegte Steuerspannung Vg Elektronen einen 20 nm dünnen Kanal befüllen können, so dass Strom zwischen den Source- und Drain-Kontakten fließen kann. Die Elektronen sind in ihren Bewegungen auf zwei Raumrichtungen beschränkt und die Amplitude der Gatespannung legt ihre Dichte n fest. Der ungewöhnliche Aufbau des Transistors sowie die Verwendung der über Jahrzehnte besonders ausgereiften Molekularstrahlepitaxie für AlGaAs-Verbindungen ermöglichen die Herstellung eines Bauelements, das sich durch extrem wenige Störungen bei gleichzeitig hervorragenden Regelungsmöglichkeiten für die Elektronendichte auszeichnet. Störstellen würden die hier ausgenutzten, äußerst empfindlichen Wechselwirkungen zwischen den Elektronen zerstören. Die Regelbarkeit der Elektronendichte ist zudem unverzichtbar für die Steuerung des Spinaustausch zwischen den Atomkernen des GaAs-Kristalls und den elektrostatisch induzierten Elektronen.“ |
Mit Hilfe einer Steuerspannung wird in einem extrem dünnen Kanal eines Feld-Effekt-Transistors eine bestimmte Zahl von Elektronen hervorgerufen. Zugleich wird überprüft, wie viel Widerstand diese Elektronen vorfinden. Bisher war bereits bekannt, dass Elektronen, die in ihrer Bewegungen auf zwei Raumrichtungen beschränkt sind, unter bestimmten Bedingungen nur einen verschwindend geringen Widerstand empfinden. In diesem Fall besteht zwischen dem außen vorgegebenen magnetischen Feld und der Anzahl der Elektronen ein einfacher Zusammenhang: der so genannte Quanten-Hall-Effekt. Die Stuttgarter Forscher stellten jetzt jedoch fest, dass der Quanten-Hall-Effekt bei einer ganz bestimmten Zahl von Elektronen zusammenbricht und dass diese Anzahl der Elektronen bzw. die dazu benötigte Steuerspannung entscheidend von der Ausrichtung der Kernspins im Halbleiterkristall abhängt. Die dadurch entdeckte Rückwirkung der Kernspinpolarisation auf die elektrische Leitfähigkeit des Transistors nutzen die Forscher als eine Art „Sonde“, mit der sie durch zeitabhängige elektrische Widerstandsmessungen genaue Informationen über die Spinzustände bekommen und die Stärke der Wechselwirkungen zwischen Elektronen- und Kernspins analysieren können. Ändert sich die Steuerspannung, bei der der Quanten-Hall-Effekt verschwindet, sehr schnell, ist die Wechselwirkung stark, im anderen Fall schwach.
Die von den Stuttgarter Wissenschaftlern gefundene „Sonde“ für die Kernspinpolarisation liefert Informationen über die Steuerspannung, mit der man den Kernspins gezielt umdrehen bzw. wieder in ursprünglicher Richtung zurückdrehen kann. Das Zurückdrehen des Kernspins verläuft etwa so: Kern- und Elektronen-Spins können sich gegenseitig über die sogenannte Hyperfein-Wechselwirkung beeinflussen. Diese Wechselwirkung erlaubt eine „Flip-Flop-Streuung“, bei der gleichzeitig sowohl die Spinrichtung eines Elektrons als auch die eines genau entgegengesetzt gerichteten Atomkerns umgekehrt werden (siehe Abbildung 2).
„Abb. 2: Karikaturartige Darstellung der Flip-Flop-Streuung zwischen Elektronen und Atomkernen. Die Eistänzer, Elektron und Atomkern, vertauschen bei der Annäherung ihre Drehrichtung. Voraussetzung für diesen Prozess ist die Einhaltung des Energieerhalts“ |
Dieses „Umdrehen“ gelingt allerdings nur dann, wenn dabei die Gesamtenergie erhalten bleibt. Normalerweise benötigt man tausendmal mehr Energie zum „Umklappen“ eines Elektronen-Spins als eines Kern-Spins. Diese Differenz verhindert unter normalen Umständen die Flip-Flop-Streuung, so dass der Spinaustausch zwischen Elektronen und Atomkernen eines Kristallgitters ausgeschlossen ist bzw. extrem langsam verläuft. Doch die Max-Planck-Forscher haben nun nachgewiesen, dass Elektronen ihren Spin ohne nennenswerte Energiezufuhr umdrehen, wenn sie in einer bestimmten Zahl vorhanden sind. Dieses Phänomen beruht auf einem äußerst komplizierten kollektiven Zusammenwirken dieser Elektronen unter dem Einfluss der abstoßenden Coulomb-Kräfte zwischen gleichen Ladungen, sowie auf der Neigung benachbarter Elektronen, die gleiche Spinrichtung anzunehmen. Die so entstehenden niederenergetischen, kollektiven Anregungen der Elektronen ermöglichen dann den Austausch ihres Spins mit dem der Atomkerne des Kristalls.
„Abb. 3: Bei zeitabhängiger Verschiebung der Steuerspannung verschwindet der Quanten-Hall-Effekt (rot umkreister weißer Punkt). Aufgetragen ist der Widerstand der Elektronen bei ihrer Bewegung als Funktion der Elektronendichte oder Steuerspannung. Blau bedeutet hoher Widerstand. Tritt der Quanten-Hall-Effekt auf, ist der Widerstand gering (grün – rot).“ |
Der Spin-Austausch kann mit der bereits erläuterten Sonde für die Kernspinpolarisation beobachtet und gesteuert werden. So ist es möglich, die aufgebaute Kernspinpolarisation gewissermaßen zu speichern, weil bei einer Steuerspannung bzw. Elektronenzahl, bei der keine niederenergetischen kollektiven Anregungen existieren, die Flip-Flop-Streuung abgeschaltet wird. Mit dieser Möglichkeit, erstmals Kernspins elektrisch manipulieren zu können, haben die Stuttgarter Wissenschaftler einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Spin-Elektronik erreicht.
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